Vom Achterdeck der „Wappen von Kolberg“ signalisierte nun auch Arne von Manteuffel Gefechtsbereitschaft. Per Handzeichen gab Hasard die Bestätigung, daß er verstanden hatte.
Wenige Minuten später zeichnete sich bereits die dickbauchige Silhouette der „Santissima Madre“ im Mondlicht ab. Auf die Entfernung sah die Wasseroberfläche aus wie gekräuseltes flüssiges Blei. Hasard und Ben Brighton beobachteten die spanische Galeone ununterbrochen mit dem Kieker.
Dort war es an Deck noch immer ruhig. Die Wachen schienen keinen Verdacht geschöpft zu haben. Daran, daß ihnen die englische und die deutsche Galeone mit wechselndem Abstand folgten, hatten sie sich offenbar gewöhnt.
„Daß du ihnen entwischt bist, haben sie noch nicht bemerkt“, sagte Ben Brighton kopfschüttelnd.
„Dann gibt es für sie ein böses Erwachen“, entgegnete der Seewolf grinsend.
Zügig schmolz die Distanz zwischen Verfolgern und Verfolgten zusammen. Als die „Isabella“ und die „Wappen“ bis auf vier Kabellängen heran waren, wurde auf der „Santissima Madre“ alarmierendes Gebrüll laut. Denn daß die beiden Verfolgerschiffe sich nun zur von achtern aufsegelnden Zange formiert hatten, mußte auch der einfältigsten Deckswache klar werden.
„Mister Conroy!“ brüllte der Seewolf.
„Sir?“
„Gib ihnen Zunder von der Back!“
„Aye, Sir!“ Der Stückmeister wirbelte herum und war mit wenigen langen Sätzen an Ort und Stelle.
Ben Brighton signalisierte den deutschen Gefährten, daß der erste Angriff mittels der Drehbassen erfolgen sollte. Shane und Batuti erhielten Order, sich solange zurückzuhalten, bis die ersten Schüsse gefallen waren.
Entnervtes Geschrei war von der „Santissima Madre“ zu hören, als die beiden Galeonen mit rauschender Fahrt herannahten. Das Verhängnis ließ sich nicht mehr aufhalten, viel zu spät hatten die Spanier begriffen, daß die Faust in ihrem Nacken zum Zuschlagen ansetzte.
Hasard dachte an Rodriguez de Coria, der in diesen Minuten wahrscheinlich Befehl gab, den gottverdammten Bastard Killigrew aus der Vorpiek zu holen und ihn als Geisel an den Mast zu binden. Vielleicht erlitt das „Onkelchen“ einen neuen Ohnmachtsanfall, wenn sich herausstellte, daß sich der Gefangene heimlich empfohlen hatte.
Beide Drehbassen auf der Back waren feuerbereit. Al Conroy ließ es sich nicht nehmen, diese erste, wichtige Aufgabe selbst zu erledigen. Geduckt stand er an dem schwenkbaren Hinterlader an Steuerbord und taxierte die sich rasch verringernde Entfernung, während die „Isabella“ sich dem Spanier von Steuerbord achteraus näherte.
Die Kommandos der Dons waren jetzt schon deutlich zu hören. Al Conroy grinste. Sie bemühten sich verzweifelt, ihre Geschütze noch zu klarieren.
Sorgfältig visierte er an. Dann stieß er blitzschnell die Lunte ins Zündloch, ohne den Lauf auch nur um einen Bruchteil zu versetzen. Brüllend entlud sich das Geschütz in seiner Gabellafette.
Das Krachen des ersten Schusses zerfetzte die Stille der Nacht.
Und dann ging es Schlag auf Schlag.
Al Conroy wartete den Erfolg der ersten Ladung nicht ab. Er hastete zur Drehbasse an Backbord, während Bob Grey und Sam Roskill das abgefeuerte Geschütz bereits nachluden. Auch auf der Back der „Wappen von Kolberg“ blitzte es jetzt auf. Ohne Zeit zu verlieren, jagte Al Conroy die zweite Drehbassenladung hinüber.
Im selben Moment stiegen zischend Leuchtspuren aus den Marsen der „Isabella“ auf. Big Old Shane und Batuti konnten Ihre Brandpfeile gezielt abschießen.
Nachdem der Pulverrauch von der Back verflogen war, stimmten Al Conroy und die anderen triumphierendes Gebrüll an.
Das Ruderblatt der „Santissima Madre“ war davongeflogen, trieb platt auf der Oberfläche und entfernte sich immer mehr. Auf einen Schlag war die Galeone steuerlos.
Den Dons mußte der Schreck mächtig in die Knochen gefahren sein. Während sie versuchten, ihre Geschütze zu klarieren, fauchten hoch über ihnen die Brandpfeile in die Segel. Gierige Flammen fraßen sich züngelnd ins Tuch, und der rötliche Feuerschein erhellte die Wuhling an Deck.
Wie Hasard und Arne vereinbart hatten, fielen beide Galeonen ab. Während die „Wappen von Kolberg“ in Warteposition auf Tuchfühlung blieb, schloß die „Isabella“ zur „Santissima Madre“ auf.
Alle Segel des Spaniers standen bereits in hellen Flammen. Shane und Batuti setzten nun Pulverpfeile ein – Brandpfeile, deren Schäfte mit Schwarzpulver gefüllt waren. Beim Einschlag in die Decksplanken entstanden kleine Detonationen, die zwar keinen größeren Schaden anrichteten, ihre Wirkung auf die spanische Decksmannschaft aber dennoch nicht verfehlten. Chaos entstand. Die Demoralisierung der Crew begann, bevor sie ihre Geschütze gefechtsbereit hatten.
Sekunden später war die „Isabella“ längsseits. Die Segel wurden aufgegeit, und auf einen Abstand von weniger als zwei Kabellängen feuerten Al Conroy und seine Geschützcrews die erste Breitseite ab.
Mit urgewaltigem Donnern entluden sich die schweren Bronzerohre. Wie feurige Lanzen stachen die Mündungsblitze weit aus den Stückpforten. Während die Blockräderlafetten zurückrollten und von den Brooktauen gehalten wurden, krängte die „Isabella“ unter dem Rückstoß weit nach Backbord. Grauschwarz wölkte der Pulverrauch auf und versperrte sekundenlang die Sicht.
Das Bersten und Splittern der Einschläge drang durch den Nachhall der Breitseite. Schreie gellten markerschütternd. Dann, als sich die Lage der englischen Galeone wieder stabilisierte, verflüchtigte sich auch der Pulverrauch.
Der Großmast der „Santissima Madre“ neigte sich nach Steuerbord, wie ein kranker Baum, der vom Sturm gefällt wurde. In das Flammenmeer seiner brennenden Segel gehüllt, kippte der Mast außenbords, wo die Flammen zischend erloschen. Zurück blieb der Mastfuß als weißfaseriger Stumpf.
Die weiteren Einschüsse hatten das Schanzkleid des Spaniers in Fetzen gehackt. Fock und Besan standen noch wie schwarze Riesenfinger im Flammenschein der brennenden Segel. Vorn löste sich die Fockmarsrah und krachte in einem Funkenregen auf die Back.
Abermals gellten Schreie. Die Silhouetten von hin und her hetzenden Menschen waren zu erkennen. Zwei, drei sprangen über Bord. Weitere waren im Begriff, ihnen zu folgen. Vom Achterdeck brüllten die Offiziere Befehle und versuchten, den Rest an Widerstandswillen aufrechtzuerhalten.
Der Seewolf verzichtete auf eine weitere Breitseite und gab den Befehl zum Entern. Von Steuerbord schloß die „Wappen von Kolberg“ zur „Santissima Madre“ auf. Die Arwenacks und die Crew Arne von Manteuffels waren bereits hervorragend aufeinander eingespielt.
Das Weitere lief in der Schnelle von wenigen Augenblicken ab. Unaufhaltsam glitten die beiden Galeonen von Backbord und von Steuerbord an den waidwund geschossenen Spanier heran.
Die Seewölfe stimmten ihren alten Kampfruf aus Cornwall an, und wie Donner hallte es zu den Dons hinüber.
„Ar – we – nack! Ar – we – nack!“
Auch die Männer um Arne von Manteuffel fielen mit ein. Während schon die Enterhaken flogen und sich ins zerborstene Holz der „Santissima Madre“ krallten, behielten die Arwenacks und die Deutschen ihren Kampfruf bei. Ihr ganzer Zorn entlud sich darin – ihr Zorn über das niederträchtige Verhalten des Verbrechers de Coria. Arne hatte keinen geringeren Anlaß, seiner Wut Luft zu verschaffen, als es für Hasard der Fall war, war doch Arnes Vater auf gemeinste und hinterhältigste Weise von de Coria erniedrigt worden.
Die Bordwände stießen mit dumpfem Laut gegeneinander, und das Angriffsgebrüll der Männer steigerte sich noch, als sie sich von beiden Seiten auf die spanische Galeone hinüberschwangen. Verzweifelt versuchten die Spanier, auf der Kuhl einen Verteidigungsring aufzubauen. Ihre Geschütze mußten sie im Stich lassen, mehrere Rohre waren ohnehin von der Breitseite der „Isabella“ aus den Lafetten gerissen worden.
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