»Kommt her, ihr könnt einen kurzen Blick ins Innere werfen. Hinterher schnappe ich mir den Holographen und wir müssen alles wieder sorgfältig vor neugierigen Blicken verbergen. Wer möchte zuerst?«, rief Solaras in die relative Dunkelheit. Das schwache Licht der Sterne verlieh dem unwirklich erscheinenden Szenario etwas Feierliches.
Zwei Stunden später saß die Gruppe keuchend im letzten Bus dieses Tages nach Tel Aviv, den sie gerade noch erwischt hatten. Niemand sprach, jeder hing seinen persönlichen Gedanken nach. Die beiden Jungs knabberten hart an der Tatsache, mit zwei leibhaftigen Außerirdischen in einem Omnibus zu sitzen.
Erst als Solaras und Kalmes wieder allein und vom Busbahnhof auf dem Weg zum Strand waren, schmiegte sich die Frau müde an die Schulter ihres geliebten Tiberianers.
»Hoffentlich haben wir da heute keinen riesengroßen Fehler gemacht. Ich traue den beiden nicht«, sagte sie leise.
»Uns blieb leider keine andere Möglichkeit, um in nächster Zeit überleben zu können, Kalmes. Ich bin mir nahezu sicher, dass die beiden Luftikusse wohl kaum auf Dauer den Mund halten werden. Daher müssen wir zusehen, dass wir so schnell wie möglich dieses ungastliche Land verlassen. Sobald ich Levi kein Geld mehr schulde, wird es aus und vorbei mit der Rücksicht sein. Er wird dann die Information über den Raumgleiter zu barer Münze machen wollen. So langsam erkenne ich die terrestrischen Strukturen«, antwortete er traurig.
»Warum können wir nicht einfach mit dem getarnten Raumgleiter nach Deutschland fliegen und ihn dort verstecken?«
»Weil man in dieses ferne Land nicht einfach einreisen darf. Man braucht Papiere von der Grenze, eine Registrierung, sagt Aaron. Wir müssen die Einwanderung von Beginn an auf legale Füße stellen.«
»Verstehe einer die Terraner.«
*
In der folgenden Woche übernachteten Kalmes und Solaras mehrfach auf dem Fußboden in Levis Zimmer, weil es draußen immer wieder Regenschauer gab. Auch an diesem Donnerstag im Dezember saßen sie im Schneidersitz auf dem abgetretenen Teppich. Levi machte die beiden Außerirdischen auf seinem Notebook mit der Errungenschaft namens Internet vertraut.
»Wir haben auf Tiberia ähnliche Systeme, auch wenn diese erheblich interaktiver und mit Gestensteuerung ausgestattet sind. Was ich aber hier überhaupt nicht verstehen kann: Wieso kommt bei euch jeder Benutzer wahllos an sämtliche Informationen und an ein Riesenangebot an total überflüssigen Inhalten heran?«
»Überflüssig? Was meinst du damit?«
»Na, du hast mir doch vorhin so eklige Sexseiten, Spiele und Unterhaltung gezeigt. Du weißt schon, das, wo man vor dem Bildschirm sitzt und sich stundenlang Szenen aus dem Leben fremder Leute ansieht. Das ist alles vollkommen sinnlos.«
»Du meinst Kinofilme? Das Glotzen macht einfach nur Spaß, okay? Genau wie PCGames. Mann, habt ihr auf eurem komischen Planeten denn niemals Freude, oder tut in eurer Freizeit etwas einfach zum Zeitvertreib?«
»Oh nein. Lebenszeit ist viel zu kostbar, als dass man sie auf solche Weise vergeuden würde. Wir erleben jeden Augenblick unseres Lebens intensiv. Soweit wir Computersysteme nutzen, geschieht das zum Zwecke des Informationsgewinns. Man gibt seine Kennung ein und kommt dadurch ausschließlich in Bereiche hinein, die der jeweiligen Sektion, also dem Arbeitsund Lebensbereich, und der Funktion des Benutzers innerhalb dieser Gemeinschaft gerecht werden. Niemand verbringt längere Zeit an jenen Geräten, und wozu sollte er das auch tun?«
Levi sah zu Aaron hinüber, der mit den Augen rollte.
»So. Bevor wir uns die Jobportale ansehen, bist du uns eine Vorführung deiner Technik schuldig.« Er zeigte auf den Stoffbeutel, der den Holographen beherbergte.
Solaras nickte, nestelte an der Schnur, die den Beutel verschloss. »Ist deine Zimmertür abgesperrt?«
»Ja. Nur keine Sorge, niemand bekommt dein abgefahrenes Alien-Zeugs zu sehen. Nun leg schon los!«
Der etwa vierzig Zentimeter hohe, anthrazitgraue Holograph in Form einer Schachtel mit Loch an der Oberseite stand auf einem kleinen Opiumtisch. Solaras drückte den rechten Daumen auf eine nicht näher gekennzeichnete Stelle am Gehäuse, und das Ding erwachte augenblicklich zum Leben. Ein Spinnennetz aus feinen Ritzen im Material wurde rundum sichtbar. Grünliches Licht drang aus ihnen nach draußen, wanderte flimmernd über die Wände des rechteckigen Zimmers.
»Ist das Ding kaputt?«, wollte Aaron wissen.
»Nein. Ich aktiviere jetzt die Übertragung. Ihr bekommt einen Asteroideneinschlag zu sehen. Bitte nicht erschrecken, die Bilder sind ziemlich eindrucksvoll. Macht euch zu jeder Zeit bewusst, dass dies alles bloß künstliche Trugbilder sind«, erläuterte der Tiberianer. Er vollführte ein paar elegante Gesten über dem Gerät.
Was nun folgte, ließ den beiden Terranern augenblicklich den Atem stocken. Flapsige Bemerkungen über schwule Bewegungen blieben ihnen im Halse stecken. Samtige Schwärze erfüllte den gesamten Raum, und in dieser manifestierten sich binnen Sekunden diverse Himmelskörper. Aaron wich unwillkürlich zurück, als ein faustgroßer Asteroid in Richtung seiner Magen gegend flog. Am Rande der Übertragung liefen senkrecht türkisfarbene Zahlenreihen die Wände hinunter, vermutlich Koordinaten oder sonstige Berechnungen.
Der unregelmäßig geformte Brocken aus Stein und Eis steuerte direkt auf eine wohlbekannte blaue Murmel zu, zog einen Schweif aus pulverisiertem Trockeneis hinter sich her. Gestochen scharf war jeder noch so kleine Partikel zu erkennen.
»Alter …!«, hauchte Levi.
Wenige Augenblicke später rauschte der finstere Asteroid mit furchterregenden Geräuschen in die Erdatmosphäre, erzeugte dort ein Feuerspektakel. Monströse Feuerlohen umfingen die Betrachter. Die Illusion war so perfekt, dass sie brachiale Hitze zu spüren glaubten. Aaron hyperventilierte vor Schreck.
Der kantige Asteroid schlug mit einem dumpfen Knall auf einer Landmasse ein, die von oben wie ein Waldgebiet ausgesehen hatte. Ein kapitaler Krater entstand, massenhaft Material wurde hoch geschleudert. Die umstehenden Bäume bogen sich zu Boden, verdampften einfach. Wieder glaubten Aaron und Levi, Gesteinsbrocken ausweichen zu müssen. Dann kam hörund sichtbar die Druckwelle, gefolgt von einem Furcht erregenden Feuerregen. Die Übertragung änderte die Perspektive. Nun glaubte man, auf einem öden, brennenden Planeten zu stehen, auf dem es heiße Asche regnete.
»Aufhören … bitte ! Ich ertrage das nicht länger«, jammerte Aaron und hob abwechselnd seine Füße an, um dem qualmenden Erdboden zu entkommen. Ein dunkler, sich ausbreitender Fleck entstand am Hosenstall seiner Jeans. Er hatte sich vor Erregung in die Hosen gepinkelt.
Solaras bemerkte, welch fatale Wirkung seine kleine Vorführung erzeugte, vollführte wieder ein paar Gesten und schaltete damit den Holographen ab.
Die totale Stille, die jetzt im Raum entstand, war fast greifbar. Schließlich fand Levi seine Sprache wieder.
»Du hast es gerade nötig, über uns herzuziehen, weil wir Spielfilme lieben! Und was, bitteschön, war das da? Das ist die Mutter aller 3 DSimulationen. Dermaßen realistische Effekte kriegen unsere FXExperten gar nicht hin. Mensch, anstatt als Zimmermannsgehilfe zu arbeiten, solltest du nach Hollywood gehen. Die würden deine Technik mit Kusshand nehmen!«
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