»Die sind wir«, bestätigte Solaras.
»Habt ihr das Zeug dabei?«
»Selbstverständlich.« Solaras fischte das aromatisch duftende Päckchen aus seiner Jackentasche und legte es vor dem Mann auf den umgedrehten Bierkasten, den er als Tisch benutzte.
Der Fette griff gierig danach, schnupperte kurz daran und legte es auf eine Waage, die in einem wackligen Regal hinter seinem Rücken gestanden hatte.
»Gut, das Gewicht passt. Levi hätte aus alter Freundschaft allerdings ruhig ein Gramm mehr hineintun können, nachdem ich das Risiko mit euch eingegangen bin. Rührt euch nicht von der Stelle! Solltet ihr mich übrigens verpfeifen, würdet ihr ins Gras beißen. Ich hoffe, das ist euch bewusst.«
Ächzend und stöhnend erhob sich der Fleischberg, schlurfte an die rückwärtige Wand des Verschlags, wo sich quietschend eine Tür öffnete. Helles Licht fiel heraus und man sah Geräte auf langen Tischen stehen. Kalmes reckte den Hals, sah Solaras fragend an, doch der zuckte nur mit den Schultern.
»Erstaunlich, was sich in dieser verdreckten Siedlung so alles verbirgt. Vielleicht ist das da hinten die eigentliche Fälscherwerkstatt?«, raunte sie ihm zu.
»Schon möglich. Still, er kommt zurück!«
Der Unbekannte schloss die Tür, schob mühevoll das Regal davor. Er reichte den Tiberianern zwei nagelneue Pässe über den staubigen Bierkasten.
»Die sind glatt noch viel schöner als echte«, brüstete er sich.
»Nein, im Ernst, unsere Pässe sind von offiziell ausgestellten Papieren absolut nicht zu unterscheiden. Mein Kompagnon kommt über Beziehungen an die OriginalBestandteile. Es lebe die Korruption im Öffentlichen Dienst!«
»Gut zu wissen«, sagte Kalmes verbindlich. »Aber verraten Sie mir eines: Sie verdienen damit doch sicher ziemlich gut. Wieso hausen Sie dann in diesem Dreckloch?«
Der Mann quiekte vor Vergnügen. In diesem Moment erinnerte er mehr denn je an ein fettes Schwein.
»Ich, hier wohnen? Aber nicht doch! Das ist nur der äußere Rahmen für meine Geschäfte. Ihr wärt erstaunt, wenn ihr meinen tatsächlichen Wohnsitz sehen würdet. Nun hört gefälligst auf, mich auszufragen, bevor ich misstrauisch werde und euch einen Kopf kürzer machen lasse«, fügte er mit überheblicher Miene hinzu.
Kalmes und Solaras zogen es vor zu verschwinden. Sie existierten auf Terra nun offiziell als das israelische Ehepaar Joshua und Maria Goldberg, wohnhaft in Tel Aviv, und dieses Gefühl war einfach unbeschreiblich. Keine faulen Ausreden, kein Vertrösten waren künftig mehr notwendig, nicht bei Arbeitgebern und nicht bei möglichen Polizeikontrollen. Die frischgebackenen Goldbergs trugen ihre Pässe wie einen Schatz nach Hause.
Mars, 02. September 2023 nach Christus, Samstag
Das Marsforming Projekt der tiberianischen Siedler ging nun schon ins achte Jahr. Die bestens getarnten, pyramidenförmigen und komplett mit rötlichen Plantolaan Elementen verkleideten AtmosphärenKraftwerke funktionierten einwandfrei. Ein paar TUN beziehungsweise Jahre noch, dann würde man auf dem Mars wieder ohne Hilfsmittel atmen können.
In der Gegend rund um die Kraftwerksanlage bildeten sich sogar bereits Wolken am rötlichen Himmel, die für erste Regenfälle sorgten. Erst in der vergangenen Woche waren dort Samen diverser Nutzpflanzenarten in den staubigen Boden gesetzt worden. Man hatte das Saatgut im Vorfeld auf Tiberia extra widerstandsfähig gezüchtet. Vielleicht gelänge es ja in Kürze, Nahrung anzubauen. Dies wäre zweifellos ein riesengroßer Schritt in Richtung Reaktivierung, der es ermöglichen würde, noch mehr Menschen und Material auf den Mars zu transferieren.
Inzwischen war im Chryse Becken eine richtige kleine Stadt aus ultraleichten, miteinander verbundenen und fest im Boden verankerten Habitatmodulen entstanden. Sie boten jedem der einhundertachtunddreißig Missionsteilnehmer ein komfortables, wenn auch sehr beengtes Heim auf Zeit.
Der monströse Raumfrachter Deep Red Planet schaffte, auf Regentin und Missionsleiterin Alannas Geheiß, unermüdlich neues Baumaterial heran. Die handverlesenen Arbeiter der Marsforming Mission wurden jeweils nach sechs UINAL harten Dienstes ausgetauscht, damit sie in der rauen, unwirtlichen Umgebung nicht erkrankten.
Und jetzt bekamen sie zum ersten Mal ungebetenen Besuch. Die tiberianischen Wissenschaftler empfanden es als ärgerlich, dass die neugierigen Eindringlinge von Terra ausgerechnet in der Cydonia Region herumschnüffelten. Wäre das nicht der Fall gewesen, so hätten sie das kleine Strahlungsleck im Reaktor beheben und ihre wabenförmig aufgebaute Siedlung rund um die alte Halle der Regenten aufschlagen können. Es galt als ziemlich sicher, dass sämtliche Installationen nach all der Zeit noch intakt sein müssten. Die meterdicken Felswände schirmten das innen liegende Bauwerk zuverlässig gegen klimatische Einflüsse ab.
Mit Argusaugen wurde jeder Schritt der Terraner beobachtet. Keinesfalls durften sie bemerken, dass der Rote Planet im Begriff stand, wieder von Menschen besiedelt zu werden. Sie hätten sonst unter Garantie eigene Besitzansprüche angemeldet, und wenn es nur zum Abbau von Bodenschätzen gewesen wäre.
Es reichte Regentengattin Alanna vollauf, dass die mutmaßlich sechsköpfige Missionscrew von Terra nach dem Verlassen der Landekapsel unverzüglich eine leuchtend blaue Fahne mit im Kreis angeordneten Sternen in den Boden gerammt hatte, so als könne man wegen dieser lächerlichen Geste den gesamten Planeten für sich beanspruchen. Die Ablösung hatte die Aufzeichnung mit der Deep Red Planet durch den Zeittunnel zu ihr ins Tiberia des 22. Jahrhunderts transportiert.
›Typisch! Genau wie auf Terra … wo immer diese raffgierigen Heuschrecken auftauchen, reißen sie sich alles unter den Nagel‹, dachte sie wütend.
Der Mars war ihre Stammheimat, verdammt noch mal, nicht diejenige dieser degenerierten, kriegerischen Affen. Am liebsten hätte sie die Aurora Missionsteilnehmer töten lassen und damit die Rückkehr der Raumkapsel nach Terra verhindert. Doch was wäre die Folge davon gewesen? Eine weitere Mission, noch mehr wissbegierige Terraner … so wartete sie zähneknirschend ab und schmiedete finstere Pläne.
Terra/Mars, 12. September 2023 nach Christus, Dienstag
Die sechs Astronauten der ESA Aurora Mission verließen den Mars mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Natürlich, sie hatten großartige Entde
ckungen gemacht, die ihnen auf der Erde Ruhm und Ehre auf Lebenszeit bescheren würden. Aber es hätte eben noch so viel mehr zu erforschen gegeben. Sie hatten lediglich an der toten Oberfläche eines faszinierenden Himmelskörpers gekratzt.
Nach dem Fund der großen Versammlungshalle waren sie unter dem Sand auf einige erheblich kleinere, fast vollständig verfallene Bauwerke in der weiteren Umgebung gestoßen, die sie jedoch wegen des nahen Strahlungslecks nicht näher untersuchen konnten. Es wäre auch zwecklos gewesen, denn außer den Grundmauern gab es dort offenbar nichts mehr zu sehen.
Thomas Maier war untröstlich. Seine Träume, eine unterirdische Stadt in den Lavaröhren zu finden, hatten sich nicht erfüllt. Das Areal um den Olympus Mons war einfach viel zu weitläufig. Die Wahrscheinlichkeit, zufällig auf den Eingang zu einer weiteren Lavaröhre zu stoßen, entsprach in etwa der eines Lottosechsers. Der oxidrote Sand lagerte sich in Dünen überall ab, verbarg alles unter seinem Mantel.
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