Carberry trieb die Klopfer an.
„Hurtig-hurtig, ihr Miesmuscheln!“ lästerte er. „Nicht so tranig, wenn ich bitten darf. Mister Davies, zu was hast du eigentlich deinen verdammten Haken, was, wie?“
„Bestimmt nicht, um so dusselige Fragen zu beantworten, wie du eben eine gestellt hast, Mister Carberry!“ lästerte Matt Davies zurück und hieb seinen scharfgeschliffenen Prothesenhaken krachend in ein traubenartiges Gebilde zusammengewachsener Seepocken, daß die Stücke nur so davonspritzten.
„Hau nicht die Bordwand durch!“ motzte Carberry.
„Leck mich am Arsch, Mecker-Eddy!“
„Wie nennst du mich?“
„Mecker-Eddy.“
„Das geht mir aber entschieden zu weit, Mister Davies. Hiermit verwarne ich dich.“
„Ich werd’s mannhaft ertragen“, entgegnete Matt Davies grinsend und schmetterte das Pockengebilde mit einem Hieb von der Bordwand.
„Sehr gut, Mister Davies“, lobte Carberry. „Ich sehe, du entwickelst dich zum Meisterklopfer.“
„Du bist ja nur neidisch, weil du keinen so schönen Haken hast, Mister Carberry. Und weil du dir ständig mit dem Hammer auf den Daumen kloppst, was mir nie passieren kann, weil ich keinen Hammer brauche.“ Und unter Matts Hieb zerplatzte eine weitere Muschelansammlung.
Tatsächlich arbeiteten Matt Davies und Jeff Bowie, die beiden „Hakenmänner“, wie sie manchmal genannt wurden, schneller und erfolgreicher als die anderen. Und es gab ihnen eine Art Selbstwertgefühl, das ihnen den Verlust einer Hand ersetzte.
„Da hast du recht, Matt“, sagte Carberry. „Neidisch werden könnte man. Erinner mich nicht an meinen linken Daumen. Der ist schon ein Stück breiter geworden.“ Er stieß Matt mit dem Ellbogen an und raunte: „Magst du ’n Schluck aus der Pulle?“
„Her damit!“
Matt gluckerte einen. Dann Carberry. Sie grinsten sich an und wüteten weiter.
Hasard ließ eine Stunde später einen zweiten Brandsatz „Pfirsichblüten“ hochschießen. Dieses Mal waren keine Kerle zu sehen. Vielleicht waren sie schon in Deckung gegangen, als sie das Jaulen hörten. Aber das machte nichts. Hasard betrieb psychologische Kriegführung. Er wußte, daß sich die Kerle über das Feuerwerk beunruhigten.
Und um diese Unruhe, die sicher auch mit Furcht gepaart war, noch ein bißchen anzuheizen, ließ er im Flachschuß ein paar Brandsätze vom Typ „Feuerbäume“ zu den Inseln sausen, auf denen sie die Kerle gesehen hatten.
Das war eine Pracht in der Dunkelheit, die sich plötzlich von bunten Blitzen erhellte. Wenn die Feuerbäume zerplatzten, bildeten sie riesige Verästelungen in roten, grünen und weißen Farben. Diese Dinger waren ähnlich dem Griechischen Feuer nicht zu löschen.
Als sie jetzt auseinanderbarsten, zickzackten sie in wilden Bahnen kreuz und quer durchs Dünengelände – und das mit sicht- und hörbarem Erfolg. Da schnellten brüllende Gestalten hoch und führten Veitstänze auf. Sie schlugen kreischend und heulend um sich, einige rasten gar in Kuhlen, in denen noch Wasser stand, und warfen sich hinein. Ein paar rissen sich die Kleidung vom Leib und rannten nackend davon. Der Scheitan saß ihnen auf den Fersen.
Ja, das waren schlechte Zeiten für die Krieger vom Raubstamm der Joasmäer. Sie würden ja gerne kämpfen, aber doch nicht mit diesen weißen Teufeln mit ihren ätzenden Krallen, die aus dem Nichts heraus nach ihnen griffen wie zustoßende Vipern.
Mitternacht. Die Wahnsinnsarbeit war geschafft. Sie hatten wirklich wie die Kesselflicker geschuftet. Ferris Tucker baute mit ein paar Mannen das Gerüst ab und ging noch einmal mit Hasard ums ganze Schiff herum. Das Wasser war abgelaufen, sie befanden sich auf Sand, allerdings einem Sand, der von zerborstenen Muscheln bedeckt war, einer ziemlich dicken Schicht.
„Sauber-sauber“, murmelte Hasard und strich da und dort über die Planken des Unterwasserrumpfes, der teilweise einen faustdicken Panzer getragen hatte. Er war verschwunden und hatte sich ringsum auf dem Sand abgelagert. Die Planken hatte Ferris Tucker bereits mit einem neuen Harpüseanstrich versehen, einem Schutzmittel aus Teer und Schwefel gegen Wurmfraß und Rott.
„Das Plankenholz ist in Ordnung“, sagte Ferris Tucker zufrieden. „War eine Scheißarbeit, hat sich aber gelohnt.“
„Das meine ich auch, vor allem, was das Gewicht betrifft, das wir losgeworden sind“, sagte Hasard. Er dreht sich zu Carberry um. „Ed, kümmerst du dich bitte um die Ankertrosse? Nimm ein paar Männer mit. Ihr braucht das gekappte Ende ja nur neu am Ankerroring anzuschlagen. Holt die Lose durch, die Trosse ist zur Zeit nicht belegt.“
„Geht klar, Sir“, sagte der Profos und rief Matt Davies, Stenmark und Batuti zu sich. Sie schnappten sich die Trosse, die aus der Steuerbordklüse hing, und zogen mit ihr los in Richtung des gekappten Ankers.
Will Thorne hatte in das Ende bereits ein großes Auge gespleißt, an dem ein Ankerschäkel hing. Sie brauchten den Schäkel praktisch nur am Roring anzuschäkeln.
Carberry vorneweg, trotteten sie hintereinander in die Dunkelheit, die Trosse über der Schulter. Der Weg wurde zuletzt wegen des Trossengewichts etwas mühsam, und sie atmeten auf, als sie fast genau auf den Anker stießen, der sich auf der einen Seite mit Flunke und Arm bis zum Ankerkreuz tief in den Sand eingegraben hatte. Der saß bombenfest und würde erst auszubrechen sein, wenn die Trosse auf und nieder stand.
„Ist auch ’ne neue Art, zu Fuß zum gekappten Anker zu latschen, um die Trosse wieder anzuschlagen“, brummte Carberry kopfschüttelnd. „Wenn ich das mal meinen Enkeln erzähle, meinen die bestimmt, Opa Ed habe nicht mehr alle Tassen im Spind.“
„Hast du recht“, sagte Matt Davies tiefsinnig und half Carberry mit seinem Haken, den alten Schäkelbolzen aufzuschrauben, der verdammt fest saß. Wenn das sonst der Fall war, nahm man dafür einen Marlspieker. Matt erledigte das mit seinem Haken – wieder ein Vorteil, den er mit dieser „künstlichen Hand“ hatte.
Sie schlugen die Resttrosse ab, die noch eine Länge von etwa drei bis vier Yards hatte. Carberry schraubte den alten Schäkelbolzen wieder ein.
„Willst du diesen Gammelrest samt Schäkel mit zurück an Bord nehmen?“ fragte Matt. Er wußte, daß der Profos zur Eichhörnchensorte gehörte, die nichts fortwarf und alles einsammelte, was noch irgendwie brauchbar erschien. Nur war bei diesen Typen alles brauchbar.
„Soll das hier vielleicht liegenbleiben?“ schnauzte Carberry. „Auch ein Ankerplatz muß saubergehalten werden!“
Das war wieder einmal so ein Argument, das einem die Stiefel ausziehen konnte.
„Ah so“, sagte Matt trocken, „dann hätten wir natürlich noch ’ne Harke mitnehmen müssen.“
„Harke? Wieso Harke?“
„Um den Ankerplatz zu harken“, erwiderte Matt, sich umblickend, „und ungebührliche Muscheln sowie anderes Zeug tunlichst zu entfernen.“
Batuti, Stenmark und Matt feixten bis zu den Ohren, was den Profos jedoch nicht weiter anfocht. Er war bereits damit beschäftigt, die Trosse von der „Santa Barbara“ näher heranzuzerren, um sie am Roring einschäkeln zu können.
„Helft mal!“ knurrte er.
„Still!“ zischte Batuti. Er stand plötzlich gespannt und lauernd da.
Carberry ließ die Ankertrosse fallen und drehte sich um. Über seine Schulter hing der „Gammelrest“. Wie die anderen spähte er in die Richtung, in die Batuti deutete.
Aus der Dunkelheit schlichen sechs Gestalten heran. Sie stoppten jäh, als sie die vier Männer sahen.
„Na? Kommt nur näher, ihr kleinen Scheißerchen!“ lockte der Profos. „Wolltet wieder an der Trosse rumschnippeln, was, wie? Na wartet, ihr bösen Buben …“
Ein Messer wirbelte auf ihn zu. Er duckte sich, das Messer flog über ihn weg. Die sechs Kerle stürmten auf sie los.
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