Was beim ersten Angriff in der Nacht geschehen war, kannte Hassan al-Karab ja nur aus den Berichten und Aussagen seiner Kerle. Doch den heutigen Angriff hatte er selbst beobachtet, und auch er war bestürzt über die Wildheit der Abwehr. Wahre Teufel waren das, keine furchtsamen Handelsfahrer, die bereits kapitulierten, sobald sie eine blitzende Säbelklinge sahen.
Am furchtbarsten jedoch waren neben der Geschicklichkeit, mit der sie ihre Waffen handhabten, diese jaulenden und kreischenden Feuergeschosse und ihre infernalische Wirkung, wenn sie unter Getöse zerplatzten und nach allen Seiten ihren Funkenregen verschleuderten. Dieses Teufelszeug hatte sogar noch auf dem Wasser gebrannt. Es war unfaßbar.
Nein, das waren keine Handelsfahrer. Und jetzt zweifelte Hassan al-Karab auch daran, daß sie eine Frauenladung an Bord hatten. Es war fast schon gleichgültig, wer sie sein mochten. Doch was sie getan hatten, das schrie nach Rache. Sie hatten gewagt, ihn, das erhabene Oberhaupt des Stammes, zu verhöhnen, zu beleidigen und zu demütigen.
Hassan al-Karab war nicht gewillt, das hinzunehmen. Seine Autorität als Stammesführer stand auf dem Spiel. Er konnte nicht dulden, daß seine Krieger vor dem Gegner mehr Angst hatten als vor ihm, dem Erhabenen, dem Unbesiegbaren.
Unter den schmähenden Buh-Rufen der Christenhunde ließ Hassan al-Karab das Boot zu dem anderen Zweimaster pullen, der nordöstlich der Galeon ankerte.
Dort empfing ihn der Kapitän – Mansur Naffah, ein stiernackiger Mann, dem das rechte Ohr fehlte. Die Narbe von einem Säbelhieb, der ihm diesen Verlust eingebracht hatte, zog sich von dort schräg nach unten über die Wange bis zum rechten Mundwinkel. Mansur Naffah bot keinen erfreulichen Anblick, was seine Visage betraf. Dafür war er ein sturer Ochse und genau richtig für das, was Hassan al-Karab plante.
„Du wirst dein Schiff gegen die Christenhunde Steuern“, eröffnete ihm der Erhabene, „und zwar brennend, um auch ihr Schiff in Brand zu setzen. Das ist eine Auszeichnung, und wenn du dabei stirbst, wird sich Allah deiner annehmen und dir im Garten der Lust ein Zelt errichten, wie es dem tapferen Krieger gebührt. Aber du brauchst nicht zu sterben. Wenn du dich bis auf eine Schiffslänge der Galeone genähert hast, darfst du in das Boot steigen, das du nachschleppst. Vorher mußt du das Ruder festsetzen. Wenn du die Tat vollbracht hast und zu mir zurückkehrst, werde ich dir meinen Säbel und zwei meiner Töchter schenken. Du hattest schon immer dein eines Auge auf Lailah und das andere auf Mirjam geworfen, nicht wahr?“
„Ja, erhabener Sidi. Ich danke dir für deine Großmut.“ Mansur Naffah verneigte sich mit glitzernden Augen.
„Wenn du zu früh in das Boot steigst“, sagte Hassan al-Karab, „werde ich dich eigenhändig mit meinem Säbel, der ein Geschenk sein soll, köpfen.“
„Ja, erhabener Sidi“, sagte Mansur Naffah und verneigte sich ein zweites Mal.
„Oder ich lasse dich vierteilen und pfählen“, sagte Hassan al-Karab. „Und Lailah und Mirjam werden dem Schauspiel beiwohnen.“
Eine dritte Verneigung. „Ja, erhabener Sidi.“
Hassan al-Karab runzelte die Stirn. Er war sich nicht klar, ob dieser Ochse wußte, daß er seine letzte Fahrt antreten würde. Aber das war letztlich gleichgültig. Hauptsache, die Dhau rammte sich brennend in die Galeone. Dann würden die Giaurs abgelenkt sein, so daß er ihnen den Todesstoß versetzen könnte. Nur das zählte.
Sein Blick wanderte über die Männer der Besatzung. Sie wagten nicht, ihn anzusehen. Aber ihre Haltungen drückten das Entsetzen aus, das sie erfüllte.
„Deine Männer“, sagte er, „steigen auf die anderen Schiffe über.“ Und da sah er, wie sie aufatmeten. „Bis auf einen“, fuhr er fort, „dem ebenfalls die Auszeichnung zuteil wird, Allah wohlgefällig zu sein.“ Ihre Gesichter wurden wieder stumpf. „Wen schlägst du vor, Mansur Naffah?“
„Mamun, meinen Bootsmann“, sagte Mansur Naffah.
Mamun verneigte sich mit grauem Gesicht.
„So sei es“, sagte Hassan al-Karab. „Ich werde auch ihn reich belohnen – oder köpfen, vierteilen und pfählen. Aber Allah ist mit den Tapferen, nicht mit den Feigen. Bereitet jetzt alles vor.“ Der Erhabene nickte gnädig und ließ sich zu den anderen Dhauen pullen, um die Kapitäne über seinen Plan zu informieren.
Die Vorbereitungen des Gegners blieben auf der „Santa Barbara“ nicht unbeobachtet. Hasard befand sich mit Dan O’Flynn im Hauptmars, und sie sahen, wie die Kerle des im Nordosten ankernden Zweimasters ausgeschifft und zu den anderen Bewachern gepullt wurden.
Ferner hatte man im Bug des Zweimasters allerlei Gerümpel angehäuft – Fässer, Kisten, Hölzer und Bretter. Das ganze Zeug wurde aus einer Kanne mit einer Flüssigkeit übergossen. Der aus Nordosten wehende Wind trieb einen penetranten Geruch herüber.
„Petroleum“, sagte Dan O’Flynn. „Schätze, die wollen Brander spielen.“
„Dem wage ich nicht zu widersprechen“, sagte Hasard. „Paß weiter auf. Ich muß Al informieren.“
„Aye, Sir.“
Hasard enterte ab und rief Al Conroy sowie die Bedienungsmannschaften der Culverinen zusammen.
„Hört zu, Freunde“, sagte er. „Die Kerle planen einen Branderangriff und rüsten dafür die Dhau aus, die im Nordosten ankert. Es hängt mit von euch ab, ob wir es schaffen, diesen Angriff zu verhindern. Das heißt, die Dhau darf uns nicht erreichen. Sie muß vorher versenkt oder aus dem Kurs gebracht werden. Ich schlage vor, daß zwei Culverinen auf die Masten gerichtet werden. Die vier anderen Culverinen müssen unbedingt Treffer in der Wasserlinie erzielen. Auf welche Distanz ihr eure Schüsse anbringt, muß ich euch überlassen.“ Er grinste. „Lieber wäre mir die weite Distanz. Nur treffen müßt ihr, sonst wird’s heiß auf der ‚Santa Barbara‘.“
Big Old Shane und Batuti erhielten Order, von den Marsen aus zu versuchen, mit Weitschüssen den Rudergänger zu erwischen. Sie nickten gelassen und enterten sofort mit ihren Waffen zum Vor- und zum Hauptmars auf. Überall, aber vor allem auf der Kuhl, wurden Pützen bereitgestellt. Sollte die Dhau die „Santa Barbara“ erreichen, mußte die Ramming abgefangen werden. Ferris Tucker holte aus der Zimmermannslast Balken, die sie in einem solchen Fall als Holzfender außenbords aufhängen würden. Wenn sie übereinander hingen, bildeten sie sogar eine ziemliche Barriere zwischen dem Dhausteven und der Bordwand der „Santa Barbara“.
Mehr konnten sie nicht tun. Wären nicht die anderen Gegner gewesen, hätte Hasard beide Jollen gegen den Brander eingesetzt. Man hätte ihn dann entern und aus dem Kurs bringen können. Dan O’Flynn meldete aus dem Mars, daß zwei Kerle an Bord geblieben wären. Na ja, mit denen wären sie fertig geworden. Aber diese Möglichkeit der Abwehr hätten sie eben nur wahrnehmen können, wenn sie ungestört gewesen wären.
„Die beiden Kerle setzen die Segel!“ meldete Dan O’Flynn.
„In Ordnung, Dan, du kannst abentern!“ rief Hasard nach oben, damit Big Old Shane genug Bewegungsfreiheit hatte. Batuti befand sich im Vormars.
Über die Kuhl rief Hasard: „Kerls, es geht los! Wer danebenballert, bekommt für vier Wochen die Rumration gestrichen!“
„Und wer trifft?“ tönte der Profos. Er war Richtkanonier an der vorderen Steuerbordculverine.
Hasard feixte. „Der kann nur beten, daß die anderen ebenfalls treffen!“
„Auch ein Trost“, brummte der Profos, bückte sich, peilte über die Rohrmündung und richtete seine Culverine aus.
Old Shane meldete aus dem Mars: „Einer kappt jetzt die Ankertrosse!“
„Danke, Shane!“ Hasard richtete das Spektiv auf die Dhau.
Der Kerl an der Pinne hatte Rückwärtsruder gelegt. Die Dhau sackte achteraus, schwenkte dabei aber nach Steuerbord und drehte vor den Wind. Gleichzeitig zündete der andere vorn am Bug das Gerümpel und sprang zurück, denn das Zeug flammte sofort auf. Er lief an die Schoten und trimmte nacheinander Vorsegel und Großsegel.
Читать дальше