Er schwieg abrupt.
Auch die anderen hoben ruckartig die Köpfe. Fern, aber deutlich rollte Kanonendonner über die See, und Friso Eyck wurde bleich bis in die Lippen.
„Die ‚Oranje‘!“ flüsterte er. „Van Helder ist verloren!“
Wie Raubvögel stießen die fünf spanischen Galeonen auf ihre Beute zu.
Die „Oranje“ hatte jeden Fetzen Tuch gesetzt, aber ohne Besan konnte sie nicht hoch genug an den Wind gehen, um die tödliche Umklammerung zu sprengen und die Gegner aus der Luvposition zu nehmen. Aus demselben Grund gab es auch keine Chance zum Ausweichen. Die „Oranje“ hätte sich schon platt vor den Wind legen müssen – und der Wind wehte von Westen, so daß die Flucht sehr schnell vor der französischen Küste zu Ende gewesen wäre.
Marius van Helder blieb nur eine Wahl: sich zu stellen und kämpfend unterzugehen.
Er ließ anluven: ein schwerfälliges Manöver, aber es würde ihm später gestatten, blitzschnell nach Süden abzufallen, wo nur zwei Gegner heranrauschten. Die Culverinen und Drehbassen der „Oranje“ waren feuerbereit, die Männer verharrten in grimmiger Spannung. Van Helder stand auf dem Achterkastell, die Hände so hart um die Schmuckbalustrade gelegt, daß die Knöchel hervortraten. Seine Augen hatten die Farbe von grauem Granit, und in seinem versteinerten Gesicht zuckte kein Muskel.
Die „Ysobel“ eröffnete das Gefecht.
Etwas zu früh – die Kugel, die heranjaulte, klatschte wirkungslos ins Wasser. Van Helder wartete. Er hatte nicht viel auszuteilen, aber er wollte seine Haut so teuer wie möglich verkaufen.
„Bugdrehbassen Feuer!“ befahl er Sekunden später.
Die Drehbassen in ihren Gabellafetten wummerten.
Kugeln schlugen in Blinde und Bugspriet der heranrauschenden „Ysobel“. Jetzt war sie fast auf gleicher Höhe mit der „Oranje“ – und blitzartig ließ Marius van Helder abfallen.
Die Breitseite der „Ysobel“ richtete keinen Schaden an. Schwerfällig ging die „Oranje“ wieder an den Wind, aber der Capitan der „Ysobel“ reagierte noch schwerfälliger, weil er die Überraschung nicht so schnell verdauen konnte.
„Steuerbordkanonen Feuer!“ rief Marius van Helder.
Donnernd entluden sich die schweren Geschütze. Zwölf siebzehnpfündige Eisenkugeln zerfetzten die Bordwand der „Ysobel“ in Höhe der Wasserlinie. An Deck herrschte Zustand. Kein Zweifel, daß die Galeone binnen Minuten in die Tiefe fahren würde, aber die „Oranje“ konnte auch das nicht mehr retten.
Die sinkende „Ysobel“ behinderte die beiden in ihrem Kielwasser segelnden Galeonen und gab den Geusen eine Galgenfrist, um die Steuerbordgeschütze wieder zu laden. An Backbord schoben sich die „Princesa Anna“ und die „Maria de Navarra“ heran. Immer noch hämmerten die Bugdrehbassen der „Oranje“, um den Gegnern mit dem gehackten Blei die Takelage zu zerfetzen. Aber die Spanier revanchierten sich, die Blinde der „Oranje“ ging in Fetzen – und jetzt lag die „Maria de Navarra“ genau querab.
„Backbordkanonen Feuer!“
Ein ohrenbetäubender Krach, als sich zwei Breitseiten gleichzeitig entluden.
Der „Maria de Navarra“ wurde das Vorkastell zertrümmert, der Fockmast neigte sich knirschend und krachte mitsamt dem Rigg auf das Schanzkleid. Aber auch die „Oranje“ hatte es erwischt. Sie schüttelte sich, dröhnte und vibrierte in ihren Verbänden – und fast augenblicklich konnte van Helder das unheimliche Gurgeln und Ziehen aus dem Schiffsbauch hören.
„Wassereinbruch mittschiffs!“ schrie eine Stimme.
„Wasser im Vorschiff!“ tönte es gellend von der Back.
„Steuerbordkanonen Feuer!“
Marius van Helders Stimme klirrte wie brechender Stahl.
Es war sinnlos, die Männer noch an die Pumpen zu scheuchen. Die „Oranje“ hatte den Todesstoß erhalten, daran ließ sich nichts mehr ändern. Aber zwischen sie und die rasch absackende „Ysobel“ hatte sich eine der spanischen Galeonen geschoben – und die empfing jetzt noch eine volle Breitseite.
Die Kugeln zerfetzten nur das Rigg, da die „Oranje“ nach Backbord krängte. Van Helder kniff die Augen zusammen. Die „Maria de Navarra“ war aus dem Kurs gelaufen. Jetzt geriet sie bedrohlich nah an den zerschossenen Viermaster heran, und der Capitan fuchtelte wild mit den Armen, weil er ahnte, was dieser rasende Teufel von einem Geusenkapitän als nächstes tun würde.
Da kam es auch schon.
„Abfallen!“ rief Marius van Helder. „Wir gehen längsseits und entern!“
Geschrei brandete auf.
Ein wildes, triumphierendes Geschrei, das sich mit dem Klirren der Waffen und dem Knirschen der umschlagenden Rahen mischte. Die „Oranje“ fiel ab, wie eine Woge stürzten Männer mit Beilen, Entermessern und Handspaken ans Backbordschanzkleid. Sie wußten, daß sie keine Chance hatten. Aber sie würden entern und kämpfen, dort drüben auf der „Maria de Navarra“ die Hölle loslassen und die Spanier noch einmal das Fürchten lehren.
Marius van Helder war der erste, der auf die Kuhl der feindlichen Galeone setzte.
Wie eine Sturzflut folgten ihm die anderen – verzweifelte Männer, die nichts mehr zu verlieren hatten. Ein mörderischer Kampf entbrannte, ein Kampf, den die Geusen mit dem wilden, bedenkenlosen Mut der Todgeweihten führten, doch es dauerte nur wenige Minuten, bis die restlichen Spanier ihren bedrängten Landsleuten zur Hilfe eilten.
Von zwei Seiten flogen Enterhaken.
Die Kuhl, die die Geusen im ersten Ansturm fast leergefegt hatten, wurde überrannt. Schreie gellten, Männer brachen zusammen.
Marius van Helder schlug verbissen um sich und stürzte sich ins dickste Getümmel. Er wollte nicht lebend in die Hände seiner Gegner fallen, aber er hätte sich schon in seinen eigenen Degen stürzen müssen, da die Spanier ihn unter allen Umständen lebend haben wollten.
Das Ende kam, als er einen riesigen Krummsäbel mit der Parierstange des Degens abfing und gleichzeitig von einer Spake getroffen wurde, die ihm das Handgelenk brach.
Er taumelte.
Urgewalten rissen ihm den Degen aus den Fingern, er fiel vornüber. Ein wilder Aufschrei entrang sich seiner Kehle, als die gebrochene Hand unter seinem eigenen Körper begraben wurde, und für einen Augenblick hüllte der Schmerz ihn ein wie eine feurige Lohe.
Dann fühlte er nur noch einen harten Schlag an der Schläfe, und sein Bewußtsein versank in einem Strudel wohltuender, empfindungsloser Schwärze.
Die „Isabella“ erschien zu spät.
Längst war der Kanonendonner verstummt, bevor sie auch nur eine Mastspitze von den kämpfenden Schiffen sichteten. Als sie den Schauplatz des Gefechts erreichten, trieben nur noch ein paar Trümmer in der grauen Dünung des Atlantik.
Friso Eyck und seine Mannen standen mit versteinerten Gesichtern am Schanzkleid und starrten über das Wasser.
Hasard konnte sich vorstellen, wie ihnen zumute war. Der Crew ging es genauso, selbst die sonst immer munteren Zwillinge spürten die lastende Stille und drängten sich unbehaglich aneinander. Die „Oranje“ war in die Tiefe gefahren, daran gab es keinen Zweifel. Aber der Gefechtslärm hatte den Seewölfen verraten, daß sie sich lange und zäh zur Wehr gesetzt hatte. Zwischen den anderen Trümmern tanzte ein großes hölzernes Kreuz auf den Wellen – Zeichen dafür, daß die spanischen Galeonen zumindest nicht heil aus dem Kampf hervorgegangen waren.
Friso Eyck fuhr sich mit der Hand über die Augen.
Ruckartig wandte er sich ab – und im selben Moment klang Bills helle Stimme aus dem Großmars.
„Deck! Verwundeter Mann querab Steuerbord!“
Mit drei Schritten stand Hasard am Schanzkleid des Achterkastells.
Sein Blick suchte die graue, bewegte Wasserfläche ab, dann entdeckte auch er den blondhaarigen Mann, der jetzt mit einer matten Bewegung zu ihnen herüberwinkte. Er hatte sich auf ein zerfetztes Querschott gezogen. Blut lief von der Schulter her an seinem Arm herunter, ein Schnitt klaffte an seiner Stirn. Aber die Verletzungen konnten nicht allzu schwer sein, denn er brachte es noch fertig, sich auf dem schwankenden Schott hochzustemmen und den gesunden Arm zu schwenken.
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