„Und der Himmel allein weiß, wie es uns ohne Ihre Hilfe ergangen wäre. Mein Name ist Philip Hasard Killigrew. Wir schulden Ihnen Dank, Kapitän Joerdans.“
„Schuldet man einander Dank, wenn man die eigenen Feinde bekämpft? Kein Meergeuse wird je einen Spanier ungeschoren lassen …“ Er stockte, und die klugen braunen Augen verengten sich. „Philip Hasard Killigrew? Ihr seid der Seewolf?“
„So nennt man mich, ja …“
„Dann ist es uns eine doppelte Ehre, Sie und Ihre Männer begrüßen zu können. El Lobo del Mar, den die Spanier wie den Teufel fürchten! Kommen Sie, geben Sie uns die Ehre, einen Becher mit uns zu leeren. Dies ist mein Steuermann, Pieter Ameland. Dies hier Marten Routs, Rogier van de Kerkhove …“
Die Männer schüttelten sich die Hände, machten sich miteinander bekannt. Hier gab es kein Mißtrauen und keine Vorbehalte. Die Seewölfe spürten, daß sie unter Freunden waren, und die Männer mit den glänzenden Abzeichen an der Brust traten ihnen mit der gleichen selbstverständlichen Herzlichkeit entgegen.
Fast eine Stunde blieben Hasard und seine Männer an Bord der „Hoek van Holland“.
Sie sprachen über ihre Ziele, über das Cadiz-Unternehmen, das offenbar alle Aussichten hatte, zur Legende zu werden, über die Frage, ob und wann die spanische Armada England angreifen würde. Jan Joerdans und Philip Hasard Killigrew waren sich einig darüber, daß das Husarenstück auf der Reede von Cadiz die ehrgeizigen Pläne Philipps II. wohl um eine ganze Weile verschieben würde. Nachdenklich blickte der Holländer in sein Glas, in dem dunkelroter andalusischer Wein funkelte.
„Vielleicht ist die Zeit jetzt günstig“, sagte er leise. „Der feige Mord an Wilhelm von Oranien hat die Niederlande gelähmt. Antwerpen ist gefallen, Allessandro Farnese drängt schon lange darauf, die aufständischen Nordprovinzen zurückzuerobern. Jetzt hat sich gezeigt, daß Spanien verwundbar ist. Und es waren schon einmal die Wassergeusen, die den Freiheitskampf entschieden haben.“
Hasard hatte aufmerksam zugehört. Langsam führte er das Glas an die Lippen und nahm einen Schluck.
„Und jetzt?“ fragte er. „Planen die Wassergeusen einen neuen Schlag gegen Spanien?“
Ein schnelles Lächeln huschte über Jan Joerdans’ Gesicht. „Die Wassergeusen haben nie aufgehört, diesen großen Schlag zu planen. Heute sind wir Vagabunden zur See, aber morgen kann sich das schon ändern. Westlich von hier liegt eine Insel, die zu klein und unbedeutend ist, um von den Spaniern angelaufen zu werden. Aber es gibt dort eine Bucht, die ein ausgezeichnetes Versteck bietet. Schon morgen werden wir uns dort mit der ‚Oranje‘ und der ‚Anneke Bouts‘ treffen. Marius van Helder hat immer noch einen Namen, bei dessen Klang das Herz jedes Niederländers höher schlägt. Vielleicht können wir die spanischen Schiffe aus den südlichen Häfen treiben. Vielleicht bedarf es nur dieses Funkens, und wir werden Allessandro Farnese aus dem Land jagen.“
Hasards Augen funkelten. „Wir wünschen euch Glück, Kapitän Joerdans!“
„Ah! Trinken wir darauf! Auf Englands Sieg und die Freiheit der Niederlande!“
Klirrend stießen die Becher aneinander.
Auf der Kuhl nahmen die übrigen Männer die Worte auf, sprangen auf die Füße und schwenkten mit blitzenden Augen gefüllte Mucks und Rumflaschen.
„Auf Englands Sieg! Auf die Freiheit der Niederlande!“
Es dämmerte bereits, als die Seewölfe die „Hoek van Holland“ wieder verließen.
Die „Isabella“ segelte nordwärts davon. Hasard stand auf dem Achterkastell, blickte über das dunkle Wasser und warf einen letzten Blick auf das stolze Geusenschiff, das hoch am Wind nach Westen rauschte.
Er konnte nicht ahnen, wie schnell er Jan Joerdans, den Geusenkapitän, und die „Hoek van Holland“ wiedersehen würde.
Um dieselbe Zeit lag der Viermaster „Oranje“ beigedreht in der Dünung.
Fieberhaft arbeiteten die Männer an Deck – Männer, die ebenfalls den Geusenpfennig um den Hals trugen. Der Sturm hatte sie den achteren Mast gekostet, um den der Schiffszimmermann ohnehin seit einem Treffer beim letzten Gefecht im Kanal voller Mißtrauen herumgeschlichen war. Und dann hatte der Mast, als er außenbords ging und in die tückischen Kreuzseen geriet, das Vorschiff leckgeschlagen. Das Leck war bereits abgedichtet. Aber die Mannschaft mußte einen neuen Mast aufriggen, denn ohne Besan war selbst die stolze „Oranje“ flügellahm.
Marius van Helder stand an der Schmuckbalustrade des Achterkastells und starrte nach Süden.
Sein braunes, kantiges Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt. Das helle Haar war von Sonne, Salzwasser und Wind weiß gebleicht wie das eines alten Mannes. Van Helder hatte den ganzen langen, harten und ruhmreichen Freiheitskampf mitgemacht. Zwei seiner Brüder waren von Herzog Albas berüchtigtem „Blutrat“ zum Tode verurteilt worden. Vergeblich hatte er mit einer Gruppe tollkühner Verschwörer den Grafen Hoorn zu befreien versucht, war zweimal gefangengenommen und gefoltert worden und nur knapp entkommen. Im Bunde mit Wilhelm von Oranien und den Wassergeusen hatte er Holland, Zeeland und Utrecht von Albas Tyrannei befreit und sich unter den letzten Unbeugsamen befunden, die sich Allessandro Farneses Rückeroberung der Südprovinzen widersetzten – und im Laufe der Zeit war Marius van Helder zu einer fast legendären Gestalt geworden.
Jetzt war er unterwegs, um sich mit jenen Vagabunden zur See zu treffen, die Spanien dreist an seinen eigenen Küsten heimsuchten.
Jan Joerdans mit der „Hoek van Holland“.
Die „Anneke Bouts“ unter Willem Meerens.
Ein verlorener Haufen, ohne Chance gegen den übermächtigen Gegner. Und doch – hatte sich nicht oft genug gezeigt, daß auch wenige entschlossene Männer eine Menge in Bewegung bringen konnten?
Marius van Helder fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn.
Ein versonnenes Lächeln kerbte sich um seine Lippen. In Gedanken segelte er an der Spitze der Wassergeusen durch die grauen Wogen der Nordsee, sah die spanischen Galeonen in den holländischen Häfen brennen, hörte die wilden Geusenlieder, die die Helden des Freiheitskampfes besangen.
„Schiff ho! Schiff genau voraus!“
Die Stimme aus dem Großmars wirkte wie ein Peitschenhieb und riß van Helder jäh aus seinen Gedanken.
Spanier!
Eine der Kriegsgaleonen, von denen er längst schon ahnte, daß sie ihn jagten.
Eine?
Es war ein ganzer Verband, der von Süden heransegelte. Ein Verband, der wußte, was er wollte, der das Wild kannte, das er jagte. Mit einem schmerzlichen Lächeln dachte Marius van Helder an den Mann, der das Wagnis eingegangen war, auf einer spanischen Galeone als Kurier nach Bilbao zu segeln.
Mit einem tiefen Atemzug straffte der Geusenkapitän die Schultern.
„Klar Schiff zum Gefecht!“ hallte seine Stimme über die Decks.
Dabei ahnte er bereits, daß die „Oranje“ am Ende ihrer Reise angelangt war.
Mondlicht glänzte auf dem Wasser wie flüssiges Silber.
Der Wind hatte um ein paar Strich gedreht, wehte jetzt genau von Westen und trieb die „Isabella“ auch ohne Marssegel zügig vorwärts. Ferris Tucker, der hünenhafte rothaarige Schiffszimmermann, arbeitete zusammen mit Big Old Shane und Smoky im Schiffsinneren, um eine neue Fockmarsrah zuzurichten. Morgen wollte er sie aufriggen, wenn sie die gefährlichen spanischen Küstengewässer hinter sich gelassen hatten.
Luke Morgan hatte Wache im Großmars. Auf der Kuhl hockten Dan O’Flynn, Bill und der weißhaarige Segelmacher Will Thorne mit den Zwillingen zusammen und erklärten den gebannt lauschenden Jungen in einem Gemisch aus englischen Brocken und Zeichensprache, was es mit den Wassergeusen auf sich hatte. Hasard betrachtete nachdenklich die glänzenden Augen und angespannten Gesichter seiner Söhne. Ihre leichtsinnige Eskapade im Sturm war durchaus nicht vergessen worden. Dan O’Flynn, der Onkel der beiden, mußte ihnen eine sehr nachdrückliche Predigt gehalten haben. Der Kutscher wußte von einer tadellos aufgeklarten Kombüse zu berichten, was ihm eine echte Hilfe gewesen war, da die gesamte Crew auf diese Weise nach den Strapazen des Sturms und des Gefechts viel schneller zu der wohlverdienten heißen Mahlzeit kam, und Hasard hatte es dabei belassen.
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