Rauch wölkte, donnernd entluden sich die Kanonen der „San Cristobal“. Tod und Verderben heulten über das Wasser, doch da hatte sich die „Hoek van Holland“ längst aus der Gefahrenzone gemogelt.
Der Wutschrei der Spanier schallte bis zur „Isabella“ herüber.
Eine Wut, die schon Sekunden später in Entsetzen umschlug. Denn da entdeckte der Capitan die Galeone, die unbemerkt von achtern aufgesegelt war – und auch der letzte Mann an Bord der „San Cristobal“ begriff, daß nichts und niemand das Verhängnis mehr aufhalten konnte.
Acht Siebzehnpfünder-Culverinen krachten – acht Löcher klafften in Höhe der Wasserlinie in der Bordwand der „San Cristobal“.
„Arwenack!“ schrie der Schiffsjunge Bill irgendwo mit vor Begeisterung überschnappender Stimme.
Die anderen fielen ein und stimmten den alten Schlachtruf an, daß es ihren Gegnern in den Ohren gellte: „Arwenack! Ar-we-nack!“
Ein ohrenbetäubendes Krachen fuhr dazwischen.
Sekunden später folgte die zweite schmetternde Detonation.
Auf den brennenden spanischen Galeonen hatte das Feuer die Pulverkammern erreicht. Die Schiffe flogen auseinander, regnende Trümmer verdunkelten den Himmel, dann war nur noch das Klatschen zu hören, mit dem Planken, Spieren und Spanten ins Wasser prasselten.
Die überlebenden Spanier hatten es noch geschafft, eine unbeschädigte Pinasse abzufieren.
Auch auf der rasch absackenden „San Cristobal“ arbeiteten Männer in fieberhafter Hast an den Booten. Die Seewölfe ließen sie gewähren. Sollten sich die Überlebenden an die nahe Küste retten. Sie würden auf Rache sinnen und alles tun, um die Scharte auszuwetzen, aber es war nun einmal Hasards Sache nicht, über Wehrlose herzufallen, die keine Chance mehr hatten.
Sein Blick wanderte zu der holländischen Galeone hinüber, die ihnen geholfen hatte.
Er sah den großen, hageren Mann auf dem Achterkastell, der grüßend die Hand hob. Er sah auch den runden, in der Sonne funkelnden Gegenstand auf der Brust des Mannes, eine Art Münze an einer dünnen Kette, und jetzt wußte er plötzlich, mit wem er es zu tun hatte.
Die beiden Galeonen, die der Katastrophe entkommen waren, segelten in Dwarslinie nach Norden und hatten sich einander auf Rufweite genähert, was nicht bedeutete, daß sich die beiden Schiffsführer etwa mündlich verständigten. Ein Capitan seiner Allerkatholischsten Majestät schrie nicht. Das besorgten der Bootsmann auf der „Ysobel“ und der stimmgewaltige Profos der „Princesa Anna“.
„Ich schlage vor, zurück nach Portugalete zu laufen und Verstärkung abzuwarten“, ließ der Capitan der „Ysobel“ wissen.
Der Capitan der „Princesa Anna“ runzelte heftig die Stirn.
„Warum das?“ knurrte er auf spanisch.
„Warum das?“ gab der Profos getreulich weiter.
Weil man sich um die Überlebenden der drei versenkten Galeonen kümmern müsse, wurde geantwortet. Außerdem gelte es, Meldung zu erstatten und dafür zu sorgen, daß die dreckigen Engländer und die holländischen Bastarde verfolgt und in Fetzen geschossen würden. Und dann sei es ja auch nicht unbedingt nötig, ein Risiko einzugehen.
Der Capitan der „Princesa Anna“ zog verächtlich die Mundwinkel herab.
Feigling, dachte er.
Die „Ysobel“ hatte zuerst abgedreht. Das lag zwar nur daran, daß die Mannschaft etwas schneller an den Brassen gewesen war und der Rudergänger besser reagierte, doch darüber legte sich der Capitan der „Princesa Anna“ im Moment keine Rechenschaft ab.
„Wir haben einen Auftrag“, erklärte er mit Würde. „Wir müssen uns beeilen, wenn wir noch rechtzeitig eintreffen wollen. Eine Chance, wie sie uns dieser holländische Bastard verschaffte, als er unter der Folter redete, erhalten wir so schnell nicht wieder.“
Das sah auch der Capitan der „Ysobel“ ein.
Vor allem, da er sich inzwischen ausgerechnet hatte, daß sie nicht die einzigen Jäger waren und daß sie noch vor dem Ziel mit Verstärkung durch einen Verband rechnen konnten, der von Gijón aus unterwegs war. Unter diesen Umständen ließ sich der Verlust der drei Galeonen verschmerzen. Mochten die Überlebenden selber sehen, wie sie die rettende Küste erreichten.
Der Capitan der „Ysobel“ signalisierte sein Einverständnis.
Wenige Minuten später ließ sich die „Princesa Anna“ etwas zurückfallen, und die beiden Schiffe folgten in Kiellinie ihrem Kurs nach Norden.
Heiß brannte die Sonne auf die Klippen vor dem kahlen, nur mit hartem gelbem Gras und etwas Dornengestrüpp bewachsenen Eiland.
Friso Eyck, der flachshaarige holländische Steuermann, kniete am Boden und hatte seinen Arm unter den Kopf des sterbenden Kapitäns geschoben. Mit brennenden Augen starrte er in das fahle, schweißbedeckte Gesicht. Meerens’ Lippen zuckten. Der Steuermann mußte sich tief über ihn beugen, um das heisere Flüstern zu verstehen.
„Marius – du mußt – Marius warnen – ein Boot – ist wenigstens – ein Boot heil geblieben?“
„Die Pinasse.“ Friso Eyck konnte nicht verhindern, daß seine Stimme zitterte. „Wir werden versuchen, van Helder rechtzeitig zu erreichen, das schwöre ich.“
„Gut, Friso – gut – ich dank …“
Mitten im Wort versagte die Stimme.
Kapitän Meerens’ Glieder erschlafften, sein Kopf fiel zur Seite, und über die weit offenen Augen schob sich der stumpfe Schleier des Todes.
Sacht ließ ihn der blonde Steuermann zu Boden gleiten.
„Fahre wohl, Kapitän“, flüsterte er erstickt. „Gott sei deiner Seele …“
„Friso!“
Ein heiserer Aufschrei. Eyck fuhr herum, sprang auf die Füße, sein Blick zuckte zum Wrack der Fleute, die in zwei Teile zerbrochen zwischen den Klippen hing. Aufgeregt winkten die Männer herüber, und während Friso Eyck über die Klippen turnte, sah er bereits, was die Leute alarmiert hatte.
Schiffe!
Spanische Schiffe, wie ihm ein Blick durch das Spektiv zeigte. Von Süden her segelten sie rasch auf. Friso Eyck knirschte in ohnmächtiger Wut mit den Zähnen.
Er wußte, es blieb keine Zeit mehr, sich zu verstecken und den Spaniern vorzuspielen, daß das Wrack verlassen sei. Sie hatten sie gesehen. Stolz und unangreifbar rauschten sie heran, in Kiellinie gestaffelt, und wenig später wurden rasselnd die Stückpforten geöffnet.
Friso Eyck fuhr sich mit der Hand über das flachsblonde Haar.
Einen Augenblick schwankte er vor Erschöpfung, drohten Trauer und Bitternis ihn zu überwältigen. Dann wurde ihm bewußt, daß er jetzt, nach dem Tod des Kapitäns, der ranghöchste Offizier und damit der Kommandant der „Anneke Bouts“ war und die Männer auf seine Entscheidung warteten. Entscheidung! Als ob es noch etwas zu entscheiden gäbe! Sie waren ihren Gegnern hilflos ausgeliefert, sie konnten nur noch versuchen, ihre Haut so teuer wie möglich zu verkaufen.
„Volle Deckung!“ befahl der Steuermann heiser. „Taucht zwischen den Klippen dahinten unter! Sobald die Dons einen Fuß an Land setzen, bereiten wir ihnen einen heißen Empfang!“
„Verdammt! Wir hätten eine Kanone in Stellung bringen sollen oder …“
„Hätten, hätten! In Deckung jetzt!“
Hastig turnten die Männer über die Felsen. Friso Eyck dachte daran, daß es wirklich gut gewesen wäre, sich auf einen Angriff vorzubereiten. Aber da waren Bewußtlose und Verletzte zu bergen gewesen, Wunden zu verbinden, gebrochene Knochen zu schienen – und vielleicht war Kapitän Meerens einfach nicht mehr in der Lage gewesen, an so viele Dinge gleichzeitig zu denken, vielleicht hatte er sich zu sehr an den Gedanken gekrallt, daß sie Marius van Helder warnen mußten, dessen Kurier in die Hände der Spanier gefallen war und unter der Folter geredet hatte.
Friso Eyck duckte sich tief in eine Mulde zwischen den Klippen, als die erste Breitseite donnerte und in das Wrack der „Anneke Bouts“ schlug.
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