„Na, na, na“, sagte Hasard, während das Boot in die Deckung einer Klippe glitt.
Der Profos kriegte rote Ohren, als ihm bewußt wurde, daß er seinen mitpullenden Kapitän soeben als Affenarsch, Rübenschwein und Nachkommen eines wenig ehrenwerten Großelternpaars bezeichnet hatte. Hasard grinste flüchtig, aber er wurde sofort wieder ernst.
Die Schüsse waren verstummt.
Zwischen den Klippen herrschte jetzt verstohlene Bewegung. Wenn die Männer dort drüben geschickt ihre Position wechselten, konnten sie die Jolle leicht in Fetzen schießen, also wurde es Zeit, das Mißverständnis aufzuklären.
Hasard richtete sich auf und legte die Hände als Schalltrichter an den Mund.
„Kapitän Meerens!“ rief er. „Lassen Sie das Feuer einstellen! Wir sind Freunde!“
Stille.
Zwei, drei Sekunden lang – dann erläuterte eine Stimme, die rauh vor Verbitterung und Wut klang.
„Den Teufel werden wir! Kapitän Meerens ist tot, und die Geusen haben hier keine Freunde.“
„Ich bin Philip Hasard Killigrew …“
„Und ich bin Friso Eyck, du heuchlerischer Bastard! Ich habe schon mehr Spanier gefressen, als du Haare auf dem Kopf hast! Ich habe gegen den blutigen Alba und gegen Requesens gekämpft, ich war dabei, als wir euch bei Leyden zu Paaren trieben und …“
„Mann, redet der kariert“, murmelte Stenmark.
„Wir sind Engländer!“ rief Hasard. „Wir haben heute mittag drei spanische Galeonen versenkt und in Cadiz ein paar Galeeren zerschossen, aber bestimmt nicht Leyden belagert.“ Ein amüsiertes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. „Außerdem soll ich euch einen Gruß von Jan Joerdans ausrichten. Er erwartet euch und Marius van Helder auf einer Insel südwestlich von hier.“
Diesmal dauerte das Schweigen länger.
Stimmen flüsterten durcheinander. Dann meldete sich wieder der Mann mit dem Namen Friso Eyck.
„Wenn du wirklich Engländer bist, dann komm an Land! Allein und ohne Waffen!“
Carberry schnaufte. „Der hat wohl Kakerlaken im Hirn, der …“
„Einverstanden!“ rief Hasard. „Ich komme!“
Carberry öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu, als er einen Blick aus den eisblauen Augen des Seewolfs auffing. Statt zu protestieren, dirigierte der Profos das Boot etwas näher an die Landzunge, und Hasard konnte trockenen Fußes auf die Klippen hinüberspringen.
Er warf Carberry den Radschloß-Drehling und die sächsische Reiterpistole zu, ließ aber den Degen in der Scheide. Mit wenigen Schritten erreichte er einen scharfen Gesteinsgrat, glitt auf der anderen Seite die Schräge hinunter und turnte noch ein paar Schritte über Geröll und Schiffstrümmer, um zu zeigen, daß er tatsächlich allein war.
„Hier herüber!“ forderte eine Stimme hinter einem hochragenden Felsblock.
Hasard ging achselzuckend weiter. Er umrundete die Klippe, blieb am Rand einer flachen Steinplatte stehen, und dort erwartete ihn ein halbes Dutzend Männer mit schußbereiten Musketen und Arkebusen.
Zwei trugen blutige Kopfverbände, einer hatte offenbar den Arm gebrochen. Voll kampffähig waren nur noch drei – und deren Gesichter verrieten die verzweifelte Entschlossenheit, sich notfalls bis zum letzten Blutstropfen zu wehren.
Sie starrten auf den großen, schwarzhaarigen Mann mit den eisblauen Augen und der Narbe im braungebrannten, verwegenen Gesicht.
„Friso!“ zischte einer der Verletzten.
Der breitschultrige, flachshaarige Bursche, den der Seewolf für den Anführer hielt, wandte sich halb um. Der Mann mit dem Kopfverband redete rasch und erregt auf holländisch. Vorhin, wurde Hasard bewußt, hatten die Geusen auf englisch geantwortet, obwohl sie die Männer im Boot doch angeblich für Spanier hielten. Als der flachshaarige Friso Eyck wieder das Wort ergriff, benutzte er die gleiche Sprache.
„Er glaubt, dich zu kennen“, sagte er langsam. „Er meint, daß auf dich alles zutrifft, was man sich über El Lobo del Mar, den Seewolf, erzählt.“
„Stimmt“, sagte Hasard trocken.
„Dann bist du …“
„Philip Hasard Killigrew, Kapitän der ‚Isabella VIII.‘. Es ist keine zwei Stunden her, daß ich mit Jan Joerdans auf England und die Freiheit der Niederlande getrunken habe. Er wartet auf die ‚Anneke Bouts‘. Aber wie ich sehe, wird er vergeblich warten.“
„Wir sind im Sturm gescheitert“, sagte der Blonde durch die Zähne. „Kapitän Meerens ist tot.“
„Sie haben das Kommando übernommen?“
„Ja …“ Friso Eyck biß sich auf die Lippen. „Ich – ich glaube Ihnen. Tut mir leid, daß wir auf euch geschossen haben.“
„Wir hatten ohnehin nicht erwartet, daß ihr in der Stimmung sein würdet, irgend jemanden mit offenen Armen zu empfangen. Ich lasse ein Boot herüberkommen, das euch aufnimmt.“
Der blonde Holländer nickte nur.
Eine Viertelstunde später enterte er mit seinen wenigen Männern die Jakobsleiter an der Steuerbordseite der „Isabella“ hoch. Während der Überfahrt hatten sie verwirrt und verbissen gewirkt, hatten geschwiegen, weil sie wohl noch Zeit brauchten, den Schock der Ereignisse zu überwinden. Jetzt, als sie sich auf die Kuhl schwangen, wo fast die vollzählige Crew versammelt war, malte sich Verwunderung in den Gesichtern der Geusen, und Hasard lächelte in sich hinein.
Es war ja auch kein ganz alltägliches Bild, das sich den Fremden bot.
Nicht nur, daß die „Isabella“ mit dem schlanken Rumpf und den überlangen Masten an sich schon ein ungewöhnliches Schiff war. Da schaukelten auch noch zwei siebenjährige Jungs auf den Webleinen des Steuerbordhauptwants, seemännisch gekleidet und mit kleinen Entermessern an den Gürteln. Da hockte neben ihnen ein leibhaftiger Schimpanse und keckerte, als wolle er gegen den ungewohnten Umtrieb protestieren. Und hoch oben aus den Toppen löste sich ein bunter Schatten, entpuppte sich als prächtiger Ara-Papagei und ließ sich auf der breiten Schulter des Profos nieder.
„An die Brassen und Fallen!“ kreischte Sir John. „Hopp-hopp, ihr Rübenschweine! Gebt den Dons Zunder. Hopp-hopp!“
Friso Eyck grinste.
Er konnte nicht anders. Ein Papagei, der auf englisch gegen die Spanier wetterte, das war wohl der schlagendste Beweis dafür, daß sich die Überlebenden der „Anneke Bouts“ hier unter Freunden befanden.
Hasard ließ eine Ration Rum ausgeben und wies den Kutscher an, sich um die Verletzten zu kümmern.
Wenig später saßen sie in der Kapitänskammer zusammen: der Seewolf, Ben Brighton und Big Old Shane, die beiden O’Flynns, Friso Eyck und ein langer, schweigsamer Seeländer mit Namen Johan Barend. Hasard wußte inzwischen genauer, was der Fleute zugestoßen war. In knappen Worten berichtete er von seinem eigenen Zusammentreffen mit Jan Joerdans, der die „Anneke Bouts“ und die „Oranje“ auf der Insel erwartete. Bei der Erwähnung der „Oranje“ verhärtete sich Friso Eycks Gesicht, und seine Zähne knirschten aufeinander.
„Marius van Helder wurde verraten“, sagte er heiser. „Wir hatten zufällig davon erfahren und wollten ihn warnen. Die ‚Oranje‘ muß in der Nähe sein. Und das wußten auch die Spanier, deshalb begnügten sie sich damit, uns auch noch die Pinasse und die letzten heilen Planken in Fetzen zu schießen.“
„Zwei spanische Galeonen? ‚Princesa Anna‘ und ‚Ysobel‘?“
„Inzwischen werden es mehr sein“, sagte Eyck erbittert. „Auf Marius van Helder sind die Spanier fast genauso wütend wie auf El Lobo del Mar.“
„Und die ‚Oranje‘ kommt von Norden?“
„Sie wollte von der Bretagne quer durch den Golf segeln. Aber der Sturm dürfte sie nach Osten verschlagen haben, genau wie uns.“
„Dann werden wir ihr ohnehin begegnen“, stellte Ben Brighton fest. „Und den verdammten Spaniern ebenfalls! Überholen können wir den Verband nicht, aber …“
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