Das donnerte mächtig im Vordeck, und gleichzeitig brüllten die Portugiesen los.
Shane und Ferris grinsten nicht mehr. Sie blickten kurz zur Kuhl und sahen Ben und Smoky, die sich inzwischen den Weg freigekämpft hatten, als Verstärkung anrücken. Ferris riß das Schott einfach wieder auf. Noch war es Zeit, in das Vorschiff der „Candia“ einzudringen. Die Blunderbüchse war lediglich auf eine freie Innenwand losgegangen und hatte mit ihrer Ladung, gehacktem Blei, ein hübsch anzusehendes Siebmuster hineingestanzt. Das Entsetzen hatte die Portugiesen schreien lassen, doch ehe sie jetzt dazu kamen, gegen die beiden Handspaken-Schwinger vorzugehen und auf sie zu feuern, kippte ihnen die Gestalt des Blunderbüchsen-Mannes von den Stufen des Niederganges entgegen. Ein, zwei Kameraden raffte der Besinnungslose von den Stufen, dann stolperten auch noch ein paar andere, die vom Fuß des Niederganges aus nachrücken wollten.
Ben Brighton und der Decksälteste der „Isabella“ stürmten ohne zu zögern in das offene Schott. Wie es da unten im Vordeck aussah, wußten sie nicht, sie konnten es nicht einmal ahnen, sie riskierten Kopf und Kragen, denn ein geistesgegenwärtiger Don konnte sie in diesem Augenblick niederschießen.
Tollkühn hechtete Ben Brighton von den oberen Stufen des Niederganges in die wabernde Masse von Leibern, die sich unter ihm im Dunkeln ineinander verkeilt hatte. Smoky folgte ihm, und dann erschienen auch Shane und Ferris. Die Portugiesen waren noch viel zu verblüfft und verwirrt, um den Angriff mit Säbeln und Messern abwehren oder auch nur eine Pistole oder eine Muskete auf die vier abfeuern zu können. Überdies bestand die große Gefahr, daß die Männer der „Candia“ sich untereinander verletzten. Dieser Umstand behinderte sie erheblich.
Hasard focht immer noch mit dem portugiesischen Profos. Dan, Ed und Batuti hatten mit zwei Dons zu schaffen, die unversehens vom Achterdeck aufgetaucht waren.
Es waren ein Soldat und ein Decksmann – wohl der Rudergänger. Der Soldat hob seine Muskete und legte über die Querbalustrade hinweg auf Dan O’Flynn an.
Batuti hatte seine Schnapphahnschloß-Pistole gezückt. Er glitt ein paar Stufen des Backbordniederganges zum Achterdeck hinauf, blieb stehen, legte auf den Soldaten an und drückte ab.
Die Kugel schlug dem Mann in die rechte Schulter. Mit einem Aufschrei sank er hintenüber. Abdrücken konnte er noch, aber die Ladung der Muskete stob krachend in den Nachthimmel. Der Soldat ließ die Waffe los, wälzte sich fluchend auf dem nassen Deck und blieb schließlich reglos liegen.
Carberry hatte unterdessen den Steuerbordniedergang des Achterdecks erklommen. Der Rudergänger der „Candia“ erblickte ihn und fuhr mit der Pistole in der Hand zu ihm herum.
„Wirf das Schießeisen weg“, befahl der Profos in seinem schauderhaften spanischen Kauderwelsch. „Du hast keine Chance mehr.“
Das wollte der Rudergänger nicht einsehen. Er stieß einen Fluch aus, duckte sich, stieß die Pistole vor und krümmte den Finger um den Abzug.
Carberry ließ sich fallen. Leider hatte er noch den schweren Schiffshauer in der Faust, mit dem er sich auf der Kuhl Platz verschafft hatte. Ehe er diesen auf den Portugiesen schleudern oder seine Pistole zücken konnte, hatte der Mann bereits durchgezogen.
Sehr unsanft landete der Profos auf den Planken. Er rutschte ein Stück, preßte ein saftiges „Himmel, Arsch und Zwirn“ hervor und drehte sich vom Bauch auf den Rücken. Er wunderte sich darüber, daß der Schuß nicht losgegangen war.
Auch der Portugiese staunte. Im Regen war das Zündkraut seiner Miqueletschloß-Pistole naß geworden, ohne daß er es gemerkt hatte. Probleme gab es bei Niederschlag zwar vor allem mit Luntenschloß-Waffen, aber auch mit einer neuzeitlichen Pistole oder Muskete konnte so etwas passieren.
Ehe der Rudergänger der „Candia“ sich von seiner Überraschung erholt hatte, war Batuti bei ihm. Ein Fausthieb gegen die Schläfe des Feindes, und er sank zusammen und blieb zu Batutis Füßen liegen, nicht sehr weit von dem besinnungslosen, schulterverletzten Soldaten entfernt.
Dan O’Flynn, der jetzt von keiner Seite mehr bedroht wurde, hatte sich inzwischen dem portugiesischen Zuchtmeister zuwenden wollen, aber in dem Zweikampf zwischen diesem und dem Seewolf war eine Wende eingetreten.
Der Profos hatte sich gut gehalten, geriet aber jetzt, als Hasard einen neuen Ausfall gegen ihn unternahm, auf den schlüpfrigen Planken außer Kontrolle. Er glitt beinah aus, mußte sich durch Armbewegungen fangen und konnte sich nicht mehr voll auf das Duell konzentrieren. Hasard setzte nach, zog den Cutlass tief von unten herauf und knallte ihn unter den Säbel des Gegners. Es lag so viel Wucht in diesem Schlag, daß der Profos das Heft der Waffe nicht länger halten konnte. Er verlor den Säbel, und dieser wirbelte ein Stück durch die Luft, landete auf den Planken, rutschte und blieb schließlich unter dem Niedergang der Steuerbordseite liegen.
Do Velho hätte gut daran getan, das Oberdeck seines Schiffes wie vor einem Gefecht mit Sand bestreuen zu lassen. Dann hätten seine Männer einen sicheren Stand gehabt.
Aber auch die Seewölfe hätten sich besser halten können, und darum handelte es sich um keine echte Unterlassungssünde. Die nassen Planken hätten dem Feind genauso zum Verhängnis werden können – nur leider hatte sich das Blatt zuungunsten der Portugiesen gewendet.
Der Zuchtmeister wollte noch einen Schrei von sich geben, aber es wurde nur ein erstickter Laut daraus, weil Hasard ihm die linke Faust gegen die Schläfe setzte. Schwer fiel der Profos – und der Weg zum Achterkastell war wirklich frei.
Dan, Ed und Batuti waren bei ihrem Kapitän. Sie ließen ihm den Vortritt in das „Allerheiligste“ des Kommandanten.
Vom Vordeck der „Isabella“ sprangen inzwischen noch sieben Seewölfe zur „Candia“ hinüber: Blacky, Pete Ballie, Gary Andrews, Matt Davies, Al Conroy, Sam Roskill und Luke Morgan. Old O’Flynn hatte ihnen den Befehl gegeben, Ben, Ferris, Shane und Smoky bei dem Kampf, der im Vordeck entbrannt war, zu unterstützen.
Seit den Alarmrufen der Deckswache der „Candia“ waren höchstens zwei, drei Minuten verstrichen.
Lucio do Velho war aus finsteren Träumen aufgeschreckt worden. Schweißgebadet hatte er sich von seiner Koje aufgerichtet. Scheußliche Trugbilder hatte ihm die Einbildung vorgegaukelt, er hatte sich wieder im Land der Buschmänner befunden. Blutrünstige Gestalten hatten ihn umtantzt, Ignazio war fort gewesen, und ein brüllender Schamane mit gezücktem Dolch hatte sich auf ihn zubewegt. Dieser Kerl hatte verblüffende Ähnlichkeit mit Philip Hasard Killigrew aufgewiesen.
Einige Sekunden hatte do Velho benötigt, um die Situation zu erfassen.
Früher hatte er sehr wache Sinne gehabt und war immer und zu jeder Stünde kampfbereit gewesen. Aber er hatte seit den Erlebnissen in Afrika nachgelassen. Ein Weiteres hatten diese gräßlichen vierundzwanzig Stunden bewirkt, die hinter ihm lagen.
Do Velho streifte sich das Nötigste über: die Hose, das Wams, die Stulpstiefel. Er griff zu seinem Degen und steckte sich auch seine wertvolle, reich verzierte Radschloßpistole zu, während oben an Deck drei Schüsse kurz hintereinander fielen. Der eine klang dumpf und schien in einem geschlossenen Raum abgegeben worden zu sein, die anderen beiden tönten hell – offenbar vom Achterdeck.
Sie sind über mir, dachte do Velho.
Und er hatte seinen Profos den Namen „El Lobo del Mar“ brüllen hören.
Es war zu ungeheuerlich, do Velho konnte es auch jetzt kaum fassen. Der Seewolf auf der „Candia“ – wie war das möglich?
Mit allem hatte der Kommandant gerechnet, nur damit nicht. In der sicheren Annahme, der verdammte Engländer würde die ganze Nacht über auf südwestlichem Kurs weitersegeln, hatte er sich zur Ruhe begeben.
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