Ja, der Mann war Wirklichkeit, und der Ausguck der „Sao Joao“ war immer noch geistig zurechnungsfähig. Galardes gewahrte durch sein Spektiv das Gesicht des Mannes, und er war mehr als erschüttert, als er ihn erkannte.
„Monforte – por Dios, das ist ja schier unglaublich!“ Galardes fuhr zu seinen Leuten herum. „Kurs halten, nicht weiter anluven! Wir lassen die Schaluppe heran und nehmen sie in Lee wahr!“
Die Männer gehorchten. Sie nahmen Segelfläche weg, und die Galeone dümpelte nur noch dahin, als die Schaluppe längsseits ging. Die „Sao Joao“ gewann mehr und mehr an Distanz zur „Candia“ und zur „Santa Angela“, aber: „Das ist mir scheißegal!“ rief Galardes seinen Offizieren und Soldaten zu. „Jetzt geht es mir darum, meinem Freund Monforte zu helfen.“
Die Schaluppe schor längsseits, Monforte streckte schon die Hände nach einer rasch ausgebrachten Jakobsleiter aus.
„Senor Capitán“, sagte der Sohn des Fischers. „Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie mit meinen Fragen belästige – aber hat die Armada keinen Bedarf an tüchtigem Schiffsvolk?“
„Doch, das hat sie“, erwiderte Monforte, ehe er von Bord ging. Er fing den geradezu verzweifelten Blick des Vaters auf, besann sich und fügte hinzu: „Aber du bist zu jung und zu unerfahren, mein Junge, glaube es mir. Bleibe noch ein paar Jahre zu Hause, dort bist du vorläufig besser aufgehoben. Senores, ich danke euch.“
„Ich danke Ihnen, Capitán“, sagte der Vater.
Alvaro Monforte kletterte auf den Sprossen der Jakobsleiter hoch. Die Schaluppe löste sich von der Bordwand der Galeone und blieb zurück. Noch einmal blickte der Kapitän zu den Fischern und sah, daß sie ihm beide zuwinkten.
Dann enterte Monforte auf die Kuhl. Galardes eilte auf ihn zu, begrüßte ihn stürmisch und überschüttete ihn mit seinen Fragen.
„Die ‚Sao Sirio‘ ist aufs Riff gelaufen und gesunken“, sagte Monforte als erstes. „Ihr habt das Riff sicher bei ablaufendem Wasser sehen können.“
„Ja. Dann hatte do Velho ja recht mit seiner Annahme, daß die Wrackteile auf den Felsen die Überreste der ‚Sao Sirio‘ wären.“
„Richtig“, erwiderte Monforte. „Ich bin eben noch einmal daran vorbeigefahren, Amigo mio, und ich versichere dir, das ging mir nahe. So, do Velho lebt also noch?“
„Ja.“
„Das freut mich außerordentlich“, sagte Monforte grimmig. „Aber wieso habt ihr euch mit meinem Freund Philip Drummond herumgeschlagen?“
„Mit wem?“
„Mit dem Iren von der großen Galeone. Er hat mir und meinen letzten Männern aus einer tödlichen Falle geholfen. Er hat uns heute früh sogar noch unterstützt, als wir die Toten der ‚Sao Sirio‘ bestatteten.“
„Allmächtiger im Himmel“, stammelte Galardes. „Und du hast nicht die geringste Ahnung gehabt, wer das wirklich ist? Ein Ire? Das ist ja ein Witz! Do Velho hat es uns zugerufen, als er eben an uns vorbeisegelte, mit wem wir es da zu tun haben.“
„Mit El Lobo del Mar?“ flüsterte Monforte.
„Du sagst es. Du hättest ihn überwältigen können.“
„Wenn ich es gewußt hätte“, sagte der fassungslose Mann. „Ich habe mich wie ein Trottel benommen, das sehe ich jetzt ein. Aber etwas ist mir klargeworden. Ich werde diesen Killigrew, der mich genarrt und mir noch das Leben gerettet hat, niemals hassen können. Nach dem, was ich erlebt habe, kann ich nicht glauben, daß er die Bestie in Menschengestalt ist, als die do Velho ihn uns gegenüber hingestellt hat.“
„Aber er ist Spaniens Feind“, gab Galardes zu bedenken.
„Ja. Der Todfeind, auf dessen Ergreifung Philipp II. eine Belohnung ausgesetzt hat“, murmelte Alvaro Monforte. „Das dürfen wir nicht vergessen, das müssen wir uns immer vor Augen halten, verdammt noch mal.“
Ferris Tucker grinste breit und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er nahm Hasard gegenüber auf dem Achterdeck der „Isabella“ Haltung an und meldete: „Sir, ich habe meinen Rundgang durchs Schiff abgeschlossen. Wir haben keine Lecks unter der Wasserlinie, und wegen der Ratscher an Backbord brauchen wir uns keine großen Sorgen zu bereiten. Wir haben genug Holz an Bord, ich fange gleich damit an, die Bordwand und das Schanzkleid auszubessern.“
„Gut. Such dir acht Mann aus, die dir dabei helfen.“
„Aye, Sir. Ich schlage weiter vor, daß wir neue Höllenflaschen basteln. Ein paar leere Pullen bewahrt der Kutscher in der Kombüse auf. Al Conroy wäre bereit, sie mit Pulver, Eisen, Blei und Glassplittern zu füllen.“ Der rothaarige Schiffszimmermann wies achteraus. „Ich habe so das Gefühl, daß wir bald wieder jede Menge Munition brauchen. Es ist noch nicht zu Ende.“
„Al soll anfangen. Ferris, du weißt ja, was du zu tun hast. Profos!“
„Sir?“ antwortete Carberry, der gerade vom Quarterdeck heraufstieg.
„Daß mir die Kuhl und die Gefechtsstationen tipptopp aufgeklart werden. Ich will innerhalb der nächsten zwei Glasen wieder ein kampfbereites Schiff.“
„Aye, Sir.“ Carberry verharrte an der Balustrade und blickte zunächst seinen Kapitän an. Dann schaute er ebenfalls nach achtern und kniff die Augen zusammen. Seine Miene verzerrte sich.
An der nordöstlichen Kimm war die Silhouette des portugiesischen Viermasters zu sehen. Von den anderen beiden Schiffen war nichts mehr zu entdecken, aber die „Candia“ erschien wie ein Scherenschnitt unter dem morgendlichen Sonnenglast.
„Da haben wir den Hund also immer noch am Hals“, sagte der Profos. „Ich glaube nicht, daß wir ihn abschütteln können. Wir kennen sein Schiff ja allmählich und wissen, daß er schnell genug ist, um mit uns Schritt zu halten. Außerdem segelt er leer, und wir haben uns mit unseren Schätzen abzuschleppen.“
„Oh, dem wäre leicht Abhilfe zu schaffen“, entgegnete der Seewolf. Ein feines Lächeln spielte um seine Mundwinkel. „Wenn alle einverstanden sind, können wir einen Teil unseres Ballasts ja in die See kippen.“
Carberry hob abwehrend die Hände. „Um Himmels willen, nein! Das habe ich nicht damit sagen wollen. Wir haben unser aller Leben aufs Spiel gesetzt, um den Dons diese Kostbarkeiten abzunehmen. Lieber versenge ich mir an do Velhos Kanonenfeuer den Achtersteven, als auf nur eine Perle oder einen Goldbarren zu verzichten.“
„Richtig, Ed“, sagte Ben Brighton. „Da bin ich ganz deiner Meinung. Und ich glaube, ich spreche stellvertretend für alle anderen.“
„Worauf du Gift nehmen kannst“, brummelte der alte O’Flynn. „Der portugiesische Bastard wird uns zwar den ganzen Tag über wie die Zecke am Hintern einer Kuh auf den Fersen bleiben, aber deswegen lassen wir uns noch lange nicht zu unbedachten Handlungen hinreißen.“
„Gut“, sagte Hasard. „Das wollte ich nur von euch hören.“
Carberry dachte an Lucio do Velho. Allein das versetzte ihn dermaßen in Wut, daß er dunkel im Gesicht anlief und die Hände ballte.
„Sir!“ brüllte er. „Warum warten wir nicht auf dieses Rübenschwein? Warum verpassen wir ihm nicht endlich ein Ding, von dem er sich nicht wieder erholt? Ich melde mich hiermit freiwillig, diesen Sohn einer verlausten Hafenhure ein Dutzend Höllenflaschen und zwei chinesische Brandsätze in den Rachen zu stopfen. Und wenn ich selbst krepiere – ich will den Hund erledigen!“
„Nun beruhige dich doch erst mal; Ed“, sagte der Seewolf. „Wie willst du das denn bewerkstelligen?“
„Ganz einfach, unser Profos steigt aus und wartet, bis do Velho heran ist“, meinte Dan O’Flynn. „Er könnte sich beispielsweise in ein Beiboot setzen und sich von den Portugiesen auffischen lassen. Ich an seiner Stelle würde behaupten, ein Meuterer und vom Seewolf gnädigerweise ausgesetzt worden zu sein. Das schluckt do Velho garantiert und …“
Читать дальше