Bei einer Wende nach Steuerbord wäre die Viermast-Galeone zu weit nach Süden gedrückt worden. Noch mehr Zeit wäre verstrichen, bis sie das Versteck der Seewölfe wieder hätte verlassen können.
„Sie entwischen!“ schrie do Velho. „Herrgott, der Durchbruch gelingt ihnen! Das darf nicht wahr sein!“
„Senor“, sagte Ignazio. „Die ‚Sao Joao‘ und die ‚Santa Angela‘ luven in diesem Moment an. Sie nehmen den gleichen Kurs wie die verfluchte ‚Isabella‘ und stellen ihr nach!“
„Sie können sie nicht einholen!“
„Die Kapitäne tun, was sie können.“
„Sie sind zu langsam!“ brüllte der Kommandant. „Wir müssen ’raus aus dieser verdammten Bucht, weg von hier, damit wenigstens wir den Hundesohn von einem Seewolf hetzen können!“
„Senor“, sagte der Mann aus Porto, der mit seinem Herrn auf dem unversehrten Vordeck stand. „Die ‚Isabella‘ hat mehr Tiefgang als wir. Vielleicht läuft sie im Ebbstrom auf, Santa Maria, ich wünsche es ihr.“
„Nein“, keuchte Lucio do Velho. „Nein, nein. Wie ich den Bastard kenne, hat er sich ein Bild von den Verhältnissen verschafft und weiß, wo sich die Untiefen befinden. Er hat Glück, wie immer, er steht mit dem Teufel im Bund!“
Eine erstaunliche Duplizität war das: Lucio do Velho ahnte ja nicht, daß ein gewisser Donegal O’Flynn senior vor kurzem genau das gleiche von ihm behauptet hatte.
Der Vorsteven der „Candia“ wies auf den Durchlaß zwischen den schroffen Felsen. Auf ähnlichem Kurs wie vorher die „Isabella VIII.“ lief der Viermaster auf die offene See hinaus. Mehr Wind blähte die Segel, die „Candia“ beschleunigte und pflügte ihren Begleitschiffen nach.
Die Feuer waren gelöscht worden, und jetzt war die Mannschaft eilig dabei, die gröbsten Schäden am Achterkastell, an der Heckgalerie und am Schanzkleid zu beheben. Wo Segelfläche durch die Brandpfeile vernichtet worden war, wurden provisorische Ersatzsegel gesetzt. Zwei oder drei Männer hatten ihr Leben gelassen, mehrere waren verletzt worden, aber do Velho hatte die Situation in der Hand. Er regierte eisern über sein Schiff und ließ keine Panik oder Disziplinlosigkeit zu.
Der Feldscher verarztete die Verwundeten, der Profos kommandierte die Unverletzten. Alles lief plötzlich wieder wie am Schnürchen, denn die Portugiesen und Spanier, aus denen die Besatzung bestand, waren Meister der Improvisation und verstanden ihr Metier. So schnell wie möglich wurden auch die Gefechtsstationen wiederhergerichtet und die 17-Pfünder beider Batteriedecks nachgeladen.
Stille trat ein. Die „Isabella“ befand sich außerhalb der Reichweite sämtlicher Geschütze, und auch der Seewolf verzichtete jetzt darauf, den Verfolgern noch einen flammenden Gruß zu entbieten. Er hätte einen der chinesischen Brandsätze zu ihnen hinüberschicken können, aber den sparte er sich lieber auf.
Hoch oben auf den Klippfelsen der Bucht richteten sich die Abuela und die Mädchen langsam hinter den Felsquadern auf. Sie waren sicher, von ihren Landsleuten an Bord der „Candia“ nun nicht mehr gesehen zu werden. Die Aufmerksamkeit von do Velho und dessen Mannschaft richtete sich voll auf die Arbeiten zur Wiederherstellung des Schiffes und die Verfolgung des verhaßten Feindes.
Die Mädchen ließen ihren Gefühlen daher freien Lauf, keiner konnte sie zur Rechenschaft dafür ziehen, daß sie für den Feind des Landes Partei ergriffen hatten.
„Es ist vorbei“, sagte Segura aufatmend. „So ein Glück.“
Franca klatschte vor Begeisterung spontan in die Hände. „El Lobo del Mar hat es geschafft! Gegen drei Gegner! Was ist er doch für ein toller Kerl!“
„Ja“, versetzte die Großmutter mit leicht brüchiger Stimme. „Er segelt ihnen vor der Nase davon und lockt sie gleichzeitig von der Bucht fort. Sie werden also nicht landen. Der Kommandant des Verbandes verfällt nicht mehr auf die Idee, hier Nachforschungen anzustellen, die die Seewölfe betreffen. Keiner wird uns unangenehme Fragen stellen. Wir bleiben unbehelligt. Darauf kommt es an.“
„Nein“, stieß Josea heftig aus. „Darauf kommt es nicht an. Was mir passiert, ist mir ganz egal. Siehst du denn nicht, daß der Viermaster und seine Begleitschiffe sich an die Fersen unserer Freunde heften? Sie jagen sie erbarmungslos, sie geben nicht auf.“
Die Alte musterte ihre Enkelin, ihr Gesicht verzog sich zu einer galligen Grimasse. „Himmel, wie ist das nur furchtbar, wenn ihr jungen Dinger euch Hals über Kopf verliebt. Vergiß den Seewolf. Es bringt dir nichts ein, wenn du ihm nachweinst und dich um ihn sorgst.“
„Aber Abuela …“
„Er schüttelt seine Jäger ab. Alle.“
„Die ‚Isabella‘ hat schwer geladen.“
„Trotz ihres Tiefgangs ist sie das schnellere Schiff, Josea.“
Verzweifelt rief das hübsche Mädchen: „Aber was verstehst du denn von der Seefahrt!“
„Und du?“
„Ich – ich habe das schreckliche Gefühl, daß Hasard und seinen Männern etwas Grauenhaftes zustößt“, sagte Josea.
„Hör mich an“, entgegnete die alte Frau. „Diese Teufelskerle sind um die ganze Welt gesegelt, sie fürchten weder den Tod noch den Höllenfürst persönlich. Die lassen sich nicht pakken, die kennen tausend Möglichkeiten, ihre Haut zu retten. Sonst wären sie nämlich schon längst nicht mehr am Leben.“
Josea holte tief Luft. „Ja, Abuelita“, antwortete sie dann. „Das sehe ich ein. Da magst du wirklich recht haben.“
„Fein. Gehen wir jetzt nach Hause. Es wartet eine Menge Arbeit auf uns.“
„O ja, wir werden keine Langeweile haben“, sagte Franca und dachte dabei an den ausgehöhlten Ziegelstein und den Beutel mit den vielen kleinen Kostbarkeiten, den sie darin verstecken wollte.
Josea sandte der „Isabella“, die draußen auf See jetzt immer kleiner wurde, noch einen sehnsüchtigen Blick nach. Sie bemerkte nicht, daß Segura das gleiche tat. Segura hütete sich, mit einem einzigen Wort zu verstehen zu geben, wie sehr auch sie durch die Persönlichkeit des Seewolfs beeindruckt und überwältigt worden war.
„Adios“, sagte Josea. „Leb wohl, Lobo del Mar.“
Sie wandte sich um und gab sich Mühe, ihrer Stimme einen festen Klang zu verleihen. „In Ordnung, gehen wir nach Hause.“
Der Geröllpfad, der in den Felsen hinunterführte, war steil und teilweise glitschig. Alvaro Monforte legte eine halsbrecherische Strecke voller Tücken zurück, und einmal glitt er aus und konnte sich nur deshalb gerade noch halten, weil er die Muskete und das Tromblon geistesgegenwärtig losließ. Die Waffen landeten klappernd auf dem Gestein und rutschten in die Tiefe. Der Kapitän fluchte.
Er rappelte sich wieder auf und setzte seinen Abstieg fort. Gut vierzig, fünfzig Schritte trennten ihn noch von seinem Ziel. Auf halber Strecke hob er die Muskete und das Tromblon wieder auf, hängte sie sich an den Lederriemen über die Schulter und achtete scharf auf gefährliche Stellen im Gelände.
Schließlich erreichte er das schmale Ufer, das teils mit grauschwarzem Kies übersät war, teils aus nacktem Gestein bestand.
Die Fischer hatten mit ihrer einmastigen Schaluppe festgemacht. Es war ihren Mienen abzulesen, wie argwöhnisch sie dem Geschehen gegenüberstanden. Monforte beschloß insgeheim, sie notfalls mit der vorgehaltenen Waffe dazu zu zwingen, seinem Befehl Folge zu leisten.
„Capitán Alvaro Monforte, Befehlshaber der gesunkenen Kriegsgaleone ‚Sao Sirio‘“, stellte er sich ihnen hastig vor. „Senores, die brennende Galeone und die Karavelle dort drüben gehören zu meinem Verband, ich muß unverzüglich zu ihnen stoßen. Sie bringen mich zu ihnen hinüber.“
Der ältere der beiden Männer wurde aschfahl im Gesicht. „Senor Capitán, wir riskieren Kopf und Kragen.“
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