„Hör doch auf“, fiel sein Sohn ihm ins Wort. „Selbstverständlich gibt es für alles eine vernünftige Erklärung. Ich begreife nicht, wieso du immer wieder deine Spukgeschichten auspacken mußt, Dad, das ist doch nun wirklich nicht angebracht.“
„Was?“ zischte der Alte. „Fängst du jetzt auch schon an, mich zu kritisieren? Habt ihr Halunken denn alle keinen Respekt mehr vor einem weisen, erfahrenen Seemann?“
„Ich finde, es ist richtig, frei von der Leber weg zu reden“, entgegnete sein Sohn. „Keiner kann deine Gruselmärchen verkraften, Dad. Du solltest wirklich endlich damit aufhören, dieses Zeug zu verbreiten.“
„Also, das schlägt doch dem Faß den Boden aus“, ächzte Old Donegal.
„Ich hätte am besten gar nicht erst vom Teufel gesprochen“, meinte Ferris.
„Schluß jetzt“, sagte der Seewolf. „Ihr könnt das von mir aus später erörtern. Ben, es ist klar, daß wir unter normalen Umständen kreuzen würden, um die Bucht zu verlassen und auf die offene See hinauszugelangen. Wir haben den Wind ungünstig von Nordwesten, und deshalb gibt es nur eine Möglichkeit, dem Feind ein Schnippchen zu schlagen. Rammen können wir ihn nicht, es wäre das Dümmste, was wir tun könnten. Nein, wir lassen ihn lieber passieren und rauschen dann mit Kurs Südwesten hart am Wind aus der Bucht, klar?“
„Aye, Sir. Hauptsache, auch do Velho geht auf dieses Spielchen ein“, entgegnete Ben trocken.
„Er liegt mit seinem Schiff platt vor dem Wind, und auch mit wenig Zeug hat er noch immer so viel Fahrt drauf, daß er mit vier, fünf Knoten Geschwindigkeit in die Bucht eindringt.“
„Und wir?“
„Wir nutzen zuerst das bißchen Wind aus, das über den Klippfelsen wegstreicht. Dann, in der Passage, setzen wir jeden Fetzen, meinetwegen auch dein Hemd und deine Hose, Ben Brighton.“
Ben grinste. „In Ordnung, Sir. Wird schon schiefgehen, das Ganze.“
Die „Isabella“ dümpelte weiter. Stille breitete sich an Bord aus, das Rauschen des Wassers an den Bordwänden, das leise Knarren der Blökke und Rahen klang überlaut.
Bill, der Moses, hockte im Großmars neben Big Old Shane und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß doch alles klappen möge. Im Logis saßen Philip und Hasard, die Söhne des Seewolfs, nebeneinander auf einer der Kojen und kneteten die Hände, denn auch sie hatten begriffen, daß etwas außerordentlich Schwerwiegendes bevorstand. Bei Sturm oder vor einem Gefecht schickte ihr Vater sie grundsätzlich ins Vorschiff, und von dort rührten sie sich auch nicht fort, denn jüngst vor Cadiz hatten sie erfahren, was es hieß, zu naseweis zu sein.
Hoch oben auf den Klippfelsen kauerten immer noch die Abuela Brancate sowie die Mädchen Josea, Segura und Franca hinter den mächtigen Steinquadern. Sie hielten in diesem Augenblick alle vier den Atem an, denn die „Candia“ schickte sich gerade an, die Buchteinfahrt zu durchqueren. Natürlich war auch der Alten und den Mädchen klar, was ihren Freunden, den „Corsarios ingléses“, jetzt blühte.
Hasard blickte zur Einfahrt. Zu seiner Rechten ragten die Felsen wie drohende Giganten auf.
Der Bugspriet des Viermasters erschien, er brachte eine prall geblähte Blinde mit, zog eine rauschende Bugwelle schräg unter sich nach, den Bug und Vorsteven, die Galion, die Galionsplattform mit der Gestalt eines liegenden Mannes darauf, und danach erschien der Namenszug des feindlichen Seglers im Blickfeld der Seewölfe: „Candia“.
Hasards Hand flog hoch. Auf sein Zeichen hin lösten die Männer das Vormars- und Großmarssegel aus dem Gei. Genug Wind strich flach über die Klippfelsen, um diese Segel zu füllen. Die „Isabella“ beschleunigte, krängte ein wenig nach Backbord und lief genau auf die „Candia“ zu, die nun in ihrer ganzen Größe und Pracht aus der Felsenöffnung auftauchte.
Lucio do Velho und sein Bootsmann Ignazio standen auf der Back des Schiffes, Hasard und seine Männer konnten sie in aller Deutlichkeit erkennen.
Do Velhos Kopf flog herum, er erstarrte und war fassungslos. Nicht einmal in seinen kühnsten Träumen hatte er sich auszumalen gewagt, daß er den verhaßten Gegner ausgerechnet in dieser Bucht antreffen würde. Er war geschockt – und genau dieser Umstand zögerte alles, seine Entscheidung, sein Handeln, die offene Auseinandersetzung, um Augenblicke hinaus.
Schneller lief die „Isabella“ auf die Passage zu. Die Steinbarriere glitt an ihr vorbei, die Einfahrt öffnete sich mehr und mehr, der Wind nahm zu – Hasard gab seinen Männern durch eine Gebärde zu verstehen, sie sollten Vollzeug setzen.
Fast war die „Candia“ an der „Isabella“ vorbei, da hatte Lucio do Velho sich gefaßt und brüllte: „Feuer!“
Die Geschützführer auf der Backbordseite senkten ihre Luntenstöcke auf die Bodenstücke der Culverinen. Nur die achteren vier Kanonen des oberen und unteren Batteriedecks wurden gezündet, alle übrigen konnten auch durch einen raschen Schwenk nicht mehr in Zielposition auf die „Isabella“ gebracht werden.
„Feuer!“ tönte nun auch der Ruf des Profos’ der „Candia“. Die Kanonen spien ihre tödliche Ladung aus und ruckten auf ihren Lafetten zurück, bis die Brooktaue den Rückstoß abfingen. Achtfaches Feuer orgelte auf die „Isabella“ zu und sprang sie mit Urgewalt an.
Hasard und seine Männer lagen in dieser Sekunde bereits flach an Deck und deckten die Köpfe mit den Händen ab. Der Abstand zwischen beiden Schiffen vergrößerte sich noch, als die Kugeln auf die „Isabella“ zurasten. Dann waren sie heran und jagten den Seewölfen allein durch ihr Pfeifen und Heulen kalte Schauer über den Rücken.
Sechs Kugeln aus den weiter vorn gelagerten Geschützen der „Candia“ strichen wirkungslos hart an Backbord der „Isabella“ vorbei. Zwei trafen. Sie rasierten an der Bordwand entlang und über das Schanzkleid weg und spell-ten die hölzerne Haut der Galeone auf. Es krachte, barst und splitterte, und ein feiner Ruck lief durch das ganze Schiff.
Carberry brüllte nicht, Carberry sprach nicht – Carberry flüsterte.
„Zum Teufel mit dir und deiner Bande von Bastarden, do Velho“, raunte er, während er sich zwei Yards vom Großmast entfernt hinter die Lafette eines 17-Pfünders duckte und darauf wartete, daß die Trümmer auf ihn und die anderen Männer niederprasselten.
Dann war es vorbei.
Schaden hatten die zwei Kugeln der „Candia“ angerichtet, aber sie hatten keinen der Männer getötet, nicht einmal Verletzungen durch ihre Eisensplitter hervorgerufen, als sie zersprungen waren.
Hasard war auf den Beinen und schrie: „Feuer!“
Carberry sprang wie ein Tiger auf, war neben Jeff Bowie und entriß diesem die Lunte für eine der Backbord-Culverinen.
Ferris Tucker war hinter seine „Höllenflaschenabschußkanone“ gekrochen, hob jetzt den Kopf und zündete die erste Flasche, die fix und fertig in der hölzernen Pfanne der Schleudervorrichtung ruhte.
Im Groß- und Vormars züngelten Feuerlanzen auf. Sie wurden durch die mit ölgetränkten Lappen umwikkelten Pfeilspitzen verursacht, die Big Old Shane und der Gambia-Mann in Brand gesetzt hatten.
Hasard und Ben stürzten an die achteren Drehbassen. Sie schwenkten die Hinterlader auf ihren Gabellafetten herum und zielten auf das Schiff des Erzfeindes.
Edwin Carberry hielt die glimmende Lunte an die Öffnung des Zündkanals im Bodenstück der Culverine. Knisternd fraß sich die Glut bis zum Zündkraut durch. Der Profos kniete immer noch hinter dem Geschütz und justierte es mit größtmöglicher Präzision – auf die Gefahr hin, daß es losdonnerte und ihn im Zurückrollen überfuhr und zerquetschte.
Buchstäblich im letzten Augenblick wich der Profos zur Seite. Die Culverine spuckte brüllend ihre Ladung aus, dann wummerten auch zwei andere Geschütze der Backbordseite los, die von Matt Davies und Blacky gezündet worden waren.
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