Inzwischen warfen sich Kutscher und Profos lauthals noch ein paar Nettigkeiten an die Köpfe. Der Kutscher lachte und deutete auf Sir John, der nicht aufsteigen wollte oder konnte.
Aber Sir John bezog das abfällige Gelächter wohl auf sich selbst, oder er nahm es sehr ernst. Er sträubte sein Gefieder, hielt den Kopf schief und beäugte den Kutscher.
Dann sagte er deutlich und klar, zur Verblüffung der anderen: „Verlauster Entenarsch!“
Der Profos kriegte sich nicht mehr ein. Er begann laut zu lachen und hieb sich auf die Schenkel, während der Kutscher überrascht und fassungslos den bunten Vogel anstarrte. Der Kreischgeier hatte ihn genau angeblickt, als er das gesagt hatte.
„Wie hat die Krachente mich genannt?“ fragte er verdattert.
„Einen verlausten Entenarsch“, sagte der Profos mit satter Zufriedenheit. „Das war doch wohl deutlich genug zu hören. Und das zeugt nun mal einwandfrei von einer gewissen Intelligenz.“
„Intelligenz!“ ächzte der Kutscher. „Das kann man wohl sagen. Ein sehr intelligenter Vogel ist das.“
„Sag’ ich doch die ganze Zeit. Und er hat keineswegs mich gemeint, Kutscher, sondern einwandfrei dich angeblickt. Aber ich glaube kaum, daß er sich dafür entschuldigen wird. War ja auch nur ’ne ganz normale Feststellung, nicht wahr, Sir Jöhnchen?“
Fehlt nur noch, daß „Sir Jöhnchen“ jetzt den Krummschnabel aufreißt und grinst dachte der Kutscher. Dann wäre er glatt über Bord gefallen.
Der Geier gab ein Kreischen von sich, als würde er sich durch den Profos bestätigt fühlen. Er reckte den Achtersteven zurück, zog das Genick ein und ließ dem Profos was aufs Kreuz fallen.
„So wird man von den Intellektuellen beschissen“, sagte der Kutscher hämisch grinsend.
Damit endete vorerst die geistreiche Unterhaltung, denn als sie sich umsahen, bemerkten sie, daß sie wieder einen Creek erreicht hatten. Das war ihnen während ihres aufschlußreichen Gesprächs ganz entgangen.
Hier erlebten sie allerdings eine totale Überraschung.
„Donnerwetter“, sagte Carberry, „und den haben wir erst jetzt entdeckt. Der ist ja sagenhaft breit. Ich glaube, jetzt haben wir es endlich hinter uns. Das sei getrommelt und gepfiffen.“
Old O’Flynn richtete sich im Kanu auf und peilte scharf nach vorn, weil der Creek eine sanfte Krümmung beschrieb. Vielleicht sah er ja gleich die „Empress“ auf der Sandbank.
„Oh, da sind ja wieder Hütten“, sagte er, „ein Pfahldorf. Richtig malerisch sieht das aus. Und kein Mensch zu sehen. Da können wir Studien treiben, wie ich meine Rutsche bauen soll. Das müssen wir uns unbedingt mal ansehen.“
Während Old O’Flynn noch brabbelte, war den anderen zumute, als hätte man ihnen einen Hammer auf die Schädel gehauen.
Gerade paddelten sie um die Biegung herum – da sahen sie das Pfahldorf im Wasser stehen.
Selbst der Kutscher war so fassungslos, daß er die Maulsperre kriegte und sekundenlang zu keiner Reaktion fähig war.
Carberry kriegte Augen wie Siebzehnpfünder. Die anderen blickten fassungslos auf die Hütten. Die Zwillinge ächzten leise.
Nach der Schrecksekunde fing sich der Kutscher als erster wieder. Nur Old O’Flynn kapierte noch nicht ganz und sah sich die Vorbilder für seine „Rutsche“ an, die er auf Abaco zu bauen gedachte.
„Na, bitte sehr“, sagte der Kutscher etwas gefaßter. „Da sind wir ja wieder. Da hätten wir auch gleich hierbleiben können, statt sinn- und planlos in der Gegend herumzupaddeln. Ich glaube, mich trifft der Schlag.“
„Oh, Himmelkreuzdonnerwetter!“ fluchte der Profos. „Das ist doch alles nur ein Traum, verdammt! Ich könnte mir in die Ohren beißen! Jetzt stehen wir wieder vor unseren Kochtöpfen, und alles war umsonst! Das halte ich nicht aus!“
Old Donegal war so in den Anblick der verlassen wirkenden Pfahlhütten versunken, daß er immer noch nichts kapierte. Hm, so ähnlich sollte einmal seine Kneipe aussehen, mit schönen stabilen Stämmen, sicher vor allem Ungeziefer im Wasser gebaut. Der malerische Anblick der Hütten gefiel ihm außerordentlich. Im Geiste sah er sich schon über dem Wasserspiegel hocken und kühles Bier trinken. Und er sah auch schon den Profos durch die Rutsche sausen und Vierkant im Wasser landen. Diese Vorstellung zauberte sogar ein Grinsen auf sein wettergegerbtes Gesicht.
„Seht mal“, sagte er, „so ungefähr stelle ich mir … He! Was ist denn mit dir los?“
Aber da hatte ihn schon eine harte Hand ins Kanu gerissen, und er hörte den Profos jetzt ganz bewußt und sehr gotteslästerlich fluchen.
„Da waren wir doch heute nacht!“ brüllte Carberry.
Sir John kreischte wieder begeistert mit und gab Laute von sich, die sich nach Ziegengemecker anhörten.
„Los, nichts wie zurück“, sagte Martin, „noch haben sie uns offenbar nicht gesehen.“
Das dachten die anderen auch, denn das Dorf im See lag wie ausgestorben da, als sei es nicht bewohnt oder längst verlassen worden.
In aller Eile drehten sie das Kanu, um durch den Creek wieder ungesehen in den See zu gelangen und türmen zu können.
Doch dazu war es viel zu spät. Fassungslos sahen sie, daß überall um sie herum Kanus aufgetaucht waren und sie eingekreist hatten.
Sie waren wie aus dem Nichts erschienen, urplötzlich waren sie da. Natürlich hatten sie sich geschickt in dem undurchdringlichen Gestrüpp verborgen und waren dann aufgetaucht doch diese Erkenntnis nutzte ihnen nicht viel.
In den zahlreichen Kanus, die sie von allen Seiten umgaben, standen Arawaks, und die schauten recht grimmig drein. In den Fäusten hielten sie ihre Bogen. Die Bogen waren schußbereit und gespannt, gefiederte Pfeile lagen auf den Sehnen.
Da gibt es nichts mehr zu türmen, dachte der Profos. Auch jeglicher Widerstand war zwecklos und wäre absolut unsinnig gewesen.
Kerzengerade blieben sie in ihrem Kanu hocken und blickten die Indianer an. Deren Gesichter verhießen allerdings nichts Gutes.
In einem der Kanus stand aufrecht der Häuptling Coanabo. Er blickte noch finsterer als seine Krieger und starrte düster und drohend zu dem Kanu hinüber.
Coanabo war ein reinblütiger Arawak-Indianer, genauer gesagt ein Lucayaner vom Inselstamm. Er war bereits über sechzig Jahre alt, aber er sah schlank und drahtig aus, und er war zäh. Vor etwa dreißig Jahren war es ihm gelungen, von Bord eines spanischen Sklavenseglers zu fliehen, nachdem er jahrelang bei den Dons in einem Bergwerk auf Hispaniola geschuftet und gelitten hatte. Von dieser Zeit rührte auch sein Haß auf die Spanier her.
Aber sie hatten seine flüchtige Bekanntschaft ja schon in der Nacht genossen.
Jetzt blickte er sie finster an, und seine Krieger warteten nur auf einen Befehl von ihm.
Sehr harmlos sind die alle, dachte der Profos voller Zorn. Diesen Kutscher mit seinen Verharmlosungen mußte man wohl mal kräftig unter Wasser tunken, damit sich sein Verstand schärfte. Die Kerle lauerten doch nur darauf, ihnen die Haut abzuziehen und sie in den Töpfen zu schmoren.
Old Donegal wiederum ärgerte sich mächtig, daß er nicht sofort durchgeblickt hatte, weil er so in den Anblick der Hütten versunken gewesen war. Dabei hatte er doch nur an seine Rutsche gedacht und gar nicht mitgekriegt, daß sie wieder an ihrem Ausgangspunkt angelangt waren.
Er brachte aber doch noch so etwas wie ein lahmes Grinsen zustande und wandte sich – äußerlich sehr freundlich – an den Häuptling. Dabei bediente er sich der englischen Sprache.
„Ho, wir sind sehr erfreut, euch wiederzusehen, Häuptling“, sagte er grinsend. „Wir haben heute nur mal eine kleine Spazierfahrt unternommen, verstehst du? Wir wollten mal die Umgebung kennenlernen. War wirklich sehr hübsch da draußen. Aber jetzt reicht es, ist ja auch fürchterlich heiß geworden. Ja, und dann wollten wir natürlich das Kanu wieder zurückbringen, falls es noch gebraucht wird!“
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