„Ha!“ tönte der Alte grimmig. „Das ist alles halb so schlimm. Heute nacht werde ich wieder mein Stilett aus dem Holzbein zaubern.“
„Und dann?“
„Dann befreie ich euch. Wir schnappen uns ein Kanu und türmen erneut damit.“
„Sehr lustig“, meinte Carberry, „aber das haben wir schon mal versucht, falls du dich erinnerst. Das kannst du dir aus deinem Querkopf schlagen. Die Kerle haben uns im Nu wieder eingefangen.“
„Nicht, wenn ich das in die Hand nehme“, versicherte Old Donegal. „Wir werden türmen, aber wir nehmen eine Geisel mit. Außerdem versenken wir die anderen Kanus. Und diese Geisel wird uns gefälligst zur ‚Empress‘ lotsen, sonst werden diese räudigen Bastarde mich mal von einer recht üblen Seite kennenlernen.“
„Dann haben wir ja noch mindestens zwölf Stunden Zeit“, sagte Carberry höhnisch. „Jetzt ist erst Mittag, und bis deine Befreiungsaktion anläuft, sind wir verhungert.“
„Ich krieg’ das schon hin, auch wenn ich gefesselt bin.“
Das hörte sich zwar gut an, überlegte Ed, aber es würde wahrscheinlich nicht viel einbringen, denn in dieser Nacht würde man sie sicher scharf bewachen, und da konnten sie jeden Gedanken an Flucht gleich aufgeben.
Der Häuptling ließ sich Zeit er schien überhaupt keine Eile zu haben, denn erst jetzt landete er mit seinem Kanu auf dem Strand. Noch sechs andere Arawaks waren bei ihm – Unterhäuptlinge offenbar, wie der Kutscher annahm, denn sie waren anders herausgeputzt als die Indianer mit den Bogen.
Coanabo musterte die Gefesselten. Er sah in grimmige Gesichter, wandte sich dann ab und hockte sich mit den Unterhäuptlingen etwas abseits von den Gefangenen auf den Boden.
Ein ziemlich lautes und erregtes Palaver begann. Coanabo blickte starr über den See und hörte zu. Hin und wieder nickte er zustimmend.
Der Kutscher beobachtete alles sehr aufmerksam und gespannt. Ihm fiel auf, daß einer der Unterhäuptlinge sehr erregt war und ständig auf das Kanu deutete, mit dem sie geflohen waren. Offenbar gehörte es ihm, und er war sehr empört, daß man es entwendet hatte.
„Der soll sich bloß nicht ins Hemd kacken wegen seines alten Torfkahns“, flüsterte Carberry. „Der tut ja geradeso, als hätten wir eine ganze Kriegsgaleone geklaut.“
„Das dürfte hier ungefähr das gleiche bedeuten“, sagte der Kutscher. „Sie sind jedenfalls sehr ungehalten.“
„Ich auch“, sagte der Profos trocken. „Die Hundesöhne nicken alle so eifrig. Die Stimmung ist unverkennbar feindlich. Die Kerle können es gar nicht erwarten, uns abzuschlachten.“
„Nun mal langsam. Ihre Erregung ist verständlich. Ein Kanu bedeutet hier anscheinend eine ganze Menge und ist ein persönlicher Besitz, an dem man sich nicht vergreifen darf.“
Der Kutscher wollte noch etwas sagen, doch Coanabo erhob sich, sah die Gefangenen der Reihe nach an und trat dann vor den überraschten Old Donegal, den er genau musterte.
Er deutete auf sich und sagte: „Häuptling Coanabo. Ihr Spanier?“
Old Donegal runzelte verblüfft die Stirn, denn der Häuptling hatte einwandfreies Spanisch gesprochen. Er war so verdattert, daß er eine Weile mit der Antwort brauchte.
Doch der Kutscher kam ihm schnell zuvor.
„Nein, wir sind keine Spanier“, sagte er ebenfalls auf spanisch. „Wir sind Engländer und Feinde der Spanier.“
Coanabo sah den Kutscher lange und nachdenklich an. Dann schüttelte er unmerklich den Kopf.
„Was ist Engländer? Ihr seid Spanier, denn ihr sprecht Spanisch, und so müßt ihr Spanier sein.“
Für Coanabo waren das durchaus logische Gedankengänge. Dieser schmalbrüstige Mann sprach Spanisch, also mußte er auch ein Spanier sein.
„Das stimmt nicht“, sagte der Kutscher ruhig. „Wir sind wirklich keine Spanier, aber wenn man einen Feind bekämpft, dann muß man unter anderem auch seine Sprache beherrschen und sprechen. Nur so kann man ihn besser bekämpfen.“
Der Häuptling sagte nichts, er musterte den Kutscher nur schweigend, der gleich ein weiteres Argument zur Hand hatte.
„Du sprichst auch die Sprache der Spanier, Häuptling Coanabo. Und trotzdem bist du kein Spanier.“
Coanabo wurde unschlüssig. Er krauste die Stirn und nickte unentschlossen. Was dieser Mann sagte, das stimmte. Er sprach Spanisch und war kein Spanier, und das behauptete dieser schmalbrüstige Mann ebenfalls von sich und den anderen. Sehr merkwürdig war das.
Während er die anderen ansah, erklang von den Pfahlhütten im See ein Ruf. Drei, vier Indianer standen auf der Plattform einer Hütte und deuteten auf den Creek. Coanabo drehte sich um. Die „Empress“-Leute wandten ebenfalls die Köpfe und blickten in die Richtung.
Dort wurde gerade ein Kanu herangepaddelt, besetzt mit acht Indianern. Einer stand aufrecht im Boot und winkte.
Der Häuptling drehte sich um und rief etwas über das Wasser. Daraufhin änderte das Kanu den Kurs und näherte sich dem Strand.
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte Martin Correa.
„Abwarten, ich weiß es nicht“, murmelte der Kutscher. „Aber ich glaube, wir haben schon einen Pluspunkt verbuchen können. Sie scheinen nicht mehr so feindlich zu sein.“
„Der sieht immer nur das Gute im Menschen“, murrte der Profos, „selbst wenn es die größten Menschenfresser sind.“
Das Kanu wurde auf den Strand gepaddelt. Aus der Nähe sahen sie, daß es mit allerlei Dingen beladen war.
Dem Kutscher schwante schon etwas. Er kniff die Lippen zusammen und linste aufmerksam hinüber.
Die Arawaks begannen jetzt aufgeregt zu schnattern, deuteten auf das Kanu, dann auf die gefesselten Männer. Ein paar der angekommenen Indianer grinsten und schienen sich köstlich zu amüsieren. Einer von ihnen deutete mit ausgestreckter Hand auf Old O’Flynn und lachte laut.
„Witzbolde“, knurrte Old Donegal verärgert. „Möchte wissen, was es da so dämlich zu lachen gibt.“
„Vielleicht grinsen sie über dein Holzbein, Granddad“, sagte Philip, „das hat sie doch gestern so beeindruckt. Sie kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.“
„Ein Holzbein ist keine lächerliche Sache“, schnaubte Old Donegal.
„Heiliger Strohsack“, sagte Martin, „das sind ja unsere Sachen. Die Halunken haben unser Schiff ausgemistet.“
Mit knirschenden Zähnen sahen die Männer zu, wie das Kanu entladen wurde. Waffen kamen zum Vorschein, Pistolen und Musketen, und wurden in den Sand gelegt. Dann folgten Messer, Taue, Segeltuch, schließlich Kochtöpfe und Pfannen aus der Pantry. Auch eine größere Kiste war dabei.
Als das alles am Strand lag, wurde es ausgiebig bestaunt und begutachtet. Auch der Häuptling nahm sich davon nicht aus. Er stierte hier herum, sah dort nach und nickte.
Offenbar hatten die Arawaks jetzt gute Laune, denn sie begannen, Späße auf Kosten der anderen zu treiben, und die anderen waren diesmal die Gefangenen.
Der eine Arawak, der lachend auf Old O’Flynn gezeigt hatte, war hier anscheinend der Witzbold vom Dienst. Er ging zu dem Kanu hinüber und holte etwas heraus.
Die Männer linsten jetzt noch aufmerksamer, ganz besonders Old O’Flynn, der noch nicht wußte, daß er jetzt kräftig veräppelt werden sollte.
Der Kerl hielt einen Ölhut hoch und lachte wieder.
„Das ist ja meiner“, sagte Old Donegal wütend. „Die machen sich gleich ins Hemd, wenn wir ihr Kanu klauen, aber die Halunken haben bei uns noch viel mehr geklaut.“
Eine merkwürdige Prozedur folgte. Der Indianer sagte etwas zu einem anderen, woraufhin der das rechte Bein nach hinten anwinkelte. Ein anderer band es ihm mit einer Leine fest. Ein weiterer befestigte am Oberschenkel einen dicken Holzprügel und band ihn ebenfalls fest. Es sah aus, als hätte er jetzt ebenfalls ein Holzbein. Dann stülpte er sich den Ölhut auf und begann mit seinem nachgeahmten Holzbein herumzuhüpfen.
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