Ja, da war ein Creek, ein schmaler Wasserlauf in einem undurchdringlich scheinenden Irrgarten.
Auf Carberrys Schulter zuckte Sir John zusammen, als zwei Papageien kreischend aufstoben und zur anderen Seite des Sees flogen.
„Aasgeier!“ kreischte Sir John laut.
„Sei still, du Schreihals“, sagte Ed.
Sir John schwieg und ging daran, sein klatschnasses Gefieder zu putzen. Er erinnerte immer noch lebhaft an einen armseligen Sperling, der ins Wasser gefallen war.
Der kleine Wasserlauf war so verborgen, daß man ihn erst sah, wenn man sich dicht davor befand. Der Kutscher hatte es im Sonnenlicht auch nur einmal glitzern sehen und daraus geschlossen, daß es ein weiteres Rinnsal gab. Es war teilweise zugewuchert. Dicht nebeneinander standen die Wurzeln der Mangroven. Auf den Mutterpflanzen hockten dicht an dicht die bereits ausgekeimten Jungpflanzen. Etliche Mangroven blühten. Andere trugen die langen schotenähnlichen Früchte. Der Geruch wurde immer aufdringlicher und intensiver.
„Stinkt wie im Saustall“, stellte Old Donegal naserümpfend fest.
„Wenn du dein Holzbein abnimmst und es zwischen die Mangroven steckst, treibt es schon einen Tag später Blüten und neue Wurzeln“, versicherte der Profos. „Hier kann man auf billige und leichte Art die Holzbeine vermehren.“
„Glaub’ ich nie im Leben“, versicherte Old Donegal. „Das sind wieder so Spinnereien von dir.“
„Versuch’s doch mal. Aber du hast ja bloß Angst, daß die Chickcharnies aufkreuzen und dein Holzbein klauen.“
Sie duckten sich, denn erneut schlugen Blätter, Zweige und große Wedel in ihre Gesichter.
„Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist“, meinte Martin Correa. „Der Bach wird immer enger und wächst fast zu. Diese Strecke haben wir doch mit Sicherheit heute nacht nicht zurückgelegt.“
Daran zweifelten auch die anderen. Sogar der Kutscher hob die Schultern, als er das zugewucherte Wässerchen sah.
„Wir müssen es versuchen. Heute nacht haben wir nicht viel gesehen, fuhren aber oftmals haarscharf an Blättern und Ästen vorbei.“
Sven richtete sich im Kanu auf und blickte nach vorn. Direkt neben dem Boot wuchsen riesige Blüten aus dem Wasser. Ihre Blätter waren so groß, daß ein ausgewachsener Mann darauf Platz gehabt hätte. Hin und wieder war ein Vogel zu sehen, der über die Blätter rannte und ständig mit dem Schnabel nach irgendwelchem Getier fischte.
„Weiter vorn wird der Flußlauf etwas breiter“, sagte Sven. „Vielleicht sind wir doch auf dem richtigen Kurs.“
Tatsächlich verbreiterte sich das Bächlein nach knapp fünfzig Yards.
Carberry ließ nach einer Weile das Kanu stoppen, bis es bewegungslos im Wasser lag.
„Was soll das?“ fragte Martin Correa.
„Keine Strömung“, stellte Carberry fest. „Das gefällt mir schon überhaupt nicht. Sieht nach einem stehenden Gewässer aus.“
„Eine ganz winzige Strömung gibt es doch“, widersprach der Kutscher nach einer Weile. „Man spürt sie aber kaum. Trotzdem sollten wir weiterpaddeln.“
„Und wenn wir wieder in einem See landen?“
„Kehren wir um und suchen nach einem anderen Weg.“ Der Kutscher war anscheinend durch nichts zu erschüttern. Er schwitzte auch kaum, wie Carberry erstaunt feststellte. Er hockte paddelnd im Kanu und erweckte ganz den Eindruck, als sei er der Leiter einer großangelegten Expedition, die unbekanntes Gelände erkundet.
Der Creek mochte jetzt etwa acht Yards breit sein. Sein Ufer ging in Brackwasser über, das offenbar durch den Einfluß der Mangroven immer weiter versandete. Überall faßten die Stelzwurzeln immer wieder Fuß und setzten ihre unzähligen Ableger in den Boden.
Die Sonne brannte jetzt noch kräftiger und schien ihnen heiß in die Gesichter, in denen der Schweiß perlte. Zum Glück zog etwas später wieder eine dunkle Wolke vorüber, die Erfrischung brachte.
Der übliche Platschregen durchnäßte sie noch einmal, aber sie empfanden diese kühlenden Schauer als herrlich.
„Ohne diese Güsse würde man hier glatt verrückt“, meinte Nils Larsen. „Das ist die einzige Erfrischung, und wenn man rechtzeitig die Futterluke aufklappt, kriegt man auch noch etwas zu trinken.“
„Himmel, diese Mangrovenröhre muß doch bald mal ein Ende haben“, schimpfte Carberry. „Die Sonne steigt und steigt, und wir paddeln wie die Verrückten. Wir befinden uns doch schon mindestens zwei oder drei Stunden in diesem stinkenden Nebenarm.“
„Höchstens eine Stunde“, schätzte der Kutscher. „Das Zeitgefühl trügt hier oft, wegen der Eintönigkeit.“
„Du weißt natürlich mal wieder alles besser.“
„Ich orientiere mich am Stand der Sonne, und demnach ist bestenfalls eine Stunde vergangen. Du solltest das auch tun, Ed.“
„Ich orientiere mich nach meinem Hunger, da weiß ich ganz genau, was anliegt. Und der ist mittlerweile sehr mächtig.“
„Bei der stickigen Hitze ist es gar nicht gut, viel zu essen. Das ermüdet nur schneller.“
Carberry holte tief Luft. Er wollte dem Kutscher gerade mal kräftig seine Meinung sagen, doch da unterbrach ihn Sven.
„Da vorn wird es jetzt ganz breit.“
Der Bach beschrieb einen kleinen Knick, und dann wurde es wirklich ganz breit dahinter. Der Profos nahm das Paddel und knallte es gereizt aufs Wasser.
„Mist, verfluchter!“ rief er.
Wieder stob ein Schwarm Flamingos hoch. Kreischend und schnatternd flogen sie aufgestört davon.
„Das ist doch wieder derselbe Saftladen“, sagte Carberry verärgert. „Und da paddelt man wie ein Beknackter.“
„Nein, das ist nicht derselbe See, der hier ist viel kleiner“, sagte Martin, „aber letztlich doch nur ein See. Hier geht es nicht mehr weiter, wir müssen wohl oder übel zurück.“
Sie blickten sich um, zornig, verärgert oder wütend, weil sie wieder in einem stehenden Gewässer gelandet waren. Das übliche Bild bot sich ihren Blicken. Der See war von dichtem Tropenwald begrenzt. Riesige Schwärme von Moskitos tanzten am südlichen Ufer auf und ab. Dann folgte der sandige Teil mit Mangroven und vermodernden anderen Pflanzen, dann der verfilzte Dschungel.
Hoch über ihnen flogen die aufgescheuchten Flamingos in einer rosafarbenen Wolke davon. Da, wo sie ihre Kolonie hatten, war alles mit weißen Exkrementen überzogen. Außerdem war der See so flach, daß man ihn überqueren konnte und nicht einmal nasse Knie kriegte.
Jetzt stieß auch der Kutscher tief und seufzend die Luft aus.
„Das bügelt einen ganz schön“, sagte er heiser. „Demnach scheint es ja doch nicht zu stimmen, daß alle Flüsse ins Meer fließen. Diese hier tun es jedenfalls nicht, die gehorchen anderen Gesetzen.“
„Das sind auch keine Flüsse, das sind Pißrinnen für Flamingos“, wetterte der Profos. Er sah sich hilfesuchend um und schüttelte den Kopf darüber, daß sie so völlig die Orientierung verloren hatten.
Nur Old O’Flynn wuchs noch einmal zu heroischer Größe auf.
„Die Insel des Heiligen Geistes“, verkündete er mit Grabesstimme. „Kein Wunder, daß wir nicht mehr herausfinden. Die Chickcharnies haben uns an der Nase herumgeführt.“
„Genau“, sagte Carberry hinterhältig. „Ich habe vorhin zwei gesehen, wollte dich aber nicht erschrecken, weil sie neben dir aus dem Wasser blinzelten. Eine der Elfen hatte ein Tüllgardine auf dem Schädel und knallrote Augen. Die andere hat dir die Zunge rausgestreckt und eine lange Nase gemacht.“
Da schwieg Donegal erst einmal gründlich und rückte etwas näher zur Mitte hin. Die Worte hatten ihn mächtig eingeschüchtert. Vor diesen unheimlichen Chickcharnies hatte er mächtigen Bammel. Hockten hier als Kobolde im Wasser und streckten ihm die Zunge raus. Unbehaglich rieb er sich das Genick.
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