„Du meinst also, daß die beiden Galeonen auf uns gelauert haben, um uns zu vernichten?“ fragte Saint-Jacques heiser.
Yves Grammont nickte grimmig.
„Die Hunde werden sich noch wundern!“ stieß er hervor. „Sie haben uns das erstemal überraschen können, aber ein zweites Mal wird ihnen das nicht gelingen!“
Saint-Jacques schluckte.
„Du willst sie wieder angreifen?“ fragte er.
„Und ob! Der schwarzhaarige Teufel von der ‚Hornet‘ soll meine Degenspitze an seinem Hals spüren. Bevor ich ihn töte, soll er begreifen, was es heißt, sich mit einem französischen Korsaren anzulegen!“
In seinem blauen Auge leuchtete ein wildes Feuer. Saint-Jacques kannte das. In diesen Augenblicken war Grammont gefährlich.
„Wir müssen auch an Servan und Bauduc denken“, sagte er. „Sie werden sich mit ihren überlebenden Männern in der Bucht von Sillon de Talbert gesammelt haben.“
Saint-Jacques duckte sich unter dem scharfen Blick Grammonts.
„Daran habe ich selbst gedacht!“ sagte er scharf, und Saint-Jacques überhörte nicht den Vorwurf in seiner Stimme. „Es gibt also aus zwei verschiedenen Gründen keine aridere Wahl für uns, als zurückzusegeln. Diesmal wird kein Sturm den Engländern Vorteile verschaffen, und sie werden uns nicht mit ihren getarnten Stückpforten hereinlegen!“
Er redete sich richtig in Rage, und Saint-Jacques war froh, als er wieder in dem kleinen Beiboot saß, mit dem seine Männer ihn von der „Coquille“ zur „Louise“ gepullt hatten.
Die Männer der „Louise“ brauchten noch mehr als vier Stunden, um das Deck ihres Schiffes so weit aufzuklaren, daß die Galeone gefechtsbereit war.
Sie gingen ankerauf und liefen mit achterlichem Wind schnelle Fahrt.
Ferris Tucker warf einen fast sehnsüchtigen Blick auf den Esel mit den gemeinen Augen. So holperig das Grautier auch lief, auf ihm zu reiten, war immer noch angenehmer gewesen, als zu Fuß zu laufen. Er mußte sich eine Blase am Hacken gelaufen haben, und jetzt scheuerte der Fußlappen sie wahrscheinlich auf.
Der Esel war mit Waffen bepackt. Was die Piraten damit vorhatten, war Ferris Tucker noch schleierhaft, denn schließlich konnten sie die „Hornet“ und die „Fidelity“ nicht zu Fuß angreifen.
Als der Mann mit dem dunkelroten Hut, den die anderen Le Testu nannten, ein Zeichen gab und die Piraten anhielten, wurde Ferris aufmerksam. Er marschierte ziemlich am Ende der Gruppe, bewacht von fünf schwerbewaffneten Kerlen, die ihn keinen Moment aus den Augen ließen.
Le Testu redete auf die beiden besser gekleideten Piraten ein. Ferris hatte inzwischen mitgekriegt, daß sie die Kapitäne der versenkten Schiffe waren.
Er dachte schon, daß es weitergehen sollte, als zwei seiner Wächter ihn aufforderten, sich niederzulassen. Ferris hatte nichts dagegen. Er war rechtschaffen müde von dem stundenlangen Marsch über felsiges Gelände.
Er sah, wie alle Piraten bis auf die beiden Wächter Le Testu folgten. Der Kerl hatte immer noch Ferris’ Flaschenbombe bei sich. Ferris fragte sich, ob er überhaupt wußte, was er da mit sich herumschleppte. Er zuckte mit den Schultern. Irgendwann würde dieser Le Testu schon merken, was für ein faules Ei er sich da in die Tasche gesteckt hatte.
Bald war von den Piraten nichts mehr zu sehen. Ferris fragte den einen der beiden zurückgebliebenen Wächter, was die anderen vorhätten, aber der hielt ihm nur die Mündung seiner Pistole unter die Nase und knurrte: „Halt’s Maul, Engländer!“
Ferris grinste und ließ sich ins Gras sinken. Nach wenigen Minuten war er eingeschlafen. Er wußte ja, daß er wohlbehütet war.
Le Testu und der Korse Montbars beobachteten das Fischerdorf in der schmalen Bucht schon eine ganze Weile. Sie warteten auf zwei Piraten, die von Servan losgeschickt worden waren, um von einer der hohen Klippen aus nachzusehen, ob die beiden englischen Galeonen immer noch in der Bucht von Sillon de Talbert vor Anker lagen. Servan hatte ihnen seinen Kieker mitgegeben. Damit sollten sie auch Ausschau nach Grammonts „Louise“ und der Karavelle von Saint-Jacques halten.
Le Testu grinste Pierre Servan an.
„Sieben Boote“, sagte er. „Läßt sich damit was anfangen?“
Servan nickte.
„Wir werden bei Einbruch der Nacht die Ankerbucht der Engländer ansteuern“, sagte er. „Wir werden damit drohen, ihren Mann zu liquidieren, wenn sie auf uns schießen. Wenn wir nahe genug heran sind, um zu entern, werden wir sie packen, davon bin ich überzeugt. Die Mannschaft ist sicher nicht vollzählig, denn die anderen können noch nicht zurück an Bord sein.“
Le Testu verzog das Gesicht. Der Plan Servans erschien ihm ein bißchen einfältig, denn die Engländer würden nicht wegen eines einzelnen Mannes ihr ganzes Schiff aufs Spiel setzen. Aber in die Seeoperationen wollte Le Testu seinem Partner nicht hineinreden. Er wußte, daß die Piraten auf Rache für ihre Niederlage sannen. Sie würden kämpfen wie die Teufel, und sicher war auf den englischen Schiffen einiges an Beute zu holen. Das wichtigste aber für ihn war, daß der Sache der katholischen Hundesöhne eine schwere Niederlage zugefügt wurde.
Sie warteten, bis die beiden Piraten mit dem Kieker zurückkehrten. Sie berichteten atemlos, daß die beiden englischen Galeonen immer noch in der Bucht vor Anker lägen. Von Grammonts beiden Schiffen hatten sie allerdings nichts gesehen.
Pierre Servan war ein wenig enttäuscht. Er hatte damit gerechnet, daß Grammont zumindest versuchen würde, den Schiffbrüchigen seines Verbandes irgendwie zu helfen. Aber vielleicht war das aus irgendwelchen Gründen noch nicht möglich gewesen.
Er nickte Le Testu zu. Es wurde Zeit, daß sie sich die Boote holten, wenn sie bei Einbruch der Dämmerung in der Bucht von Sillon de Talbert sein wollten.
Ein Mann wurde zurückgeschickt, um den Gefangenen und seine beiden Wächter zu holen. Dann gab Le Testu das Zeichen zum Angriff. Sie rechneten zwar nicht mit hartem Widerstand, aber sie wußten, daß die bretonischen Fischer harte Schädel hatten mit denen sie auch durch dikke Wände zu gehen versuchten.
Sie schlichen sich vorsichtig an die ersten Häuser heran, bis der Schrei einer Frau das Dorf aus seiner Lethargie riß.
Le Testu und Montbars, beide mit Pistolen in den Händen, liefen auf den kleinen Platz des Dorfes und schossen in die Luft. Die anderen Piraten besetzten die Ausgänge des Dorfes, um die Flucht eines Einwohners zu verhindern, der vielleicht von irgendwoher Hilfe holte.
Der kleine Platz füllte sich. Die Fischer waren aus ihren Häusern getreten und bildeten vor Le Testu und Montbars eine dichte Mauer. Ihre Gesichter waren grimmig verzogen. Sie ließen sich von den Waffen der Männer nicht beeindrucken.
Einer von ihnen trat vor. Es war ein riesiger Kerl, der Le Testu noch um einen halben Kopf überragte. Seine Oberarme waren Muskelberge, und Le Testu dachte, daß er diesem Kerl nicht ohne Waffe gegenüberstehen wollte.
„Was sucht ihr hier bei uns?“ fragte der Riese grollend. „Wir wollen in Frieden leben. Zwingt uns nicht, für irgendeine Seite Partei zu ergreifen!“
Le Testu grinste schief. Die Leute hatten wohl schon ihre Erfahrungen gesammelt. Wahrscheinlich waren außer Piraten und Hugenotten auch schon die Soldaten von Heinrich von Bourbon oder die des Königs bei ihnen gewesen.
„Ihr könnt auch weiter in Frieden leben“, sagte Le Testu. „Wir wollen uns nur eure Boote für einen Tag ausleihen, da wir sie für eine dringende Mission brauchen.“
Es dauerte eine Weile, bis der Riese zu begreifen schien, was der Kerl da von ihm forderte. Die Boote ausleihen? Er lachte innerlich auf. Er wußte, was Kerle wie diejenigen, die in ihr Dorf eingedrungen waren, unter „ausleihen“ verstanden. Wenn die ihre Boote erst mal in den Fingern hatten, dann würden die Fischer sie nie wiedersehen.
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