Blitzschnell tauchte er wieder unter. Er hatte keine Zeit gefunden, sich umzudrehen und nach dem Boot Ausschau zu halten.
Er hatte die Küste gesehen und festgestellt, daß er sich ihr schon ein ganzes Stück genähert hatte.
Mit neuer Energie schwamm er unter Wasser weiter und betete, daß dieser Le Testu und seine Piraten ihn nicht fanden.
Fluchend war inzwischen Montbars wieder ins Boot geklettert. Seine grauen Haare hingen ihm in langen Strähnen ins Gesicht, das vor Zorn gerötet war.
Er sprang vor und riß eine Muskete hoch, die zwischen den Duchten lag. Einem der Piraten nahm er wortlos die Pulverflasche ab, schüttete etwas daraus auf die Pfanne, spannte den Hahn und zielte auf eine Stelle auf dem Wasser, wo nach seiner Meinung gleich der Rotschopf des Engländers auftauchen mußte.
Er wartete fast zwei Minuten, dann ließ ihn ein Schrei eines der Piraten herumfahren.
„Da!“ brüllte der Mann und wies in eine ganz andere Richtung, als Montbars gezielt hatte.
Der Rotschopf war für einen kurzen Moment zu sehen. Montbars riß die Muskete herum und drückte ab. Im selben Moment wußte er, daß er verfehlt hatte. Er sah, wie neben dem Kopf des Engländers eine Wasserfontäne hochstieg, dann war von dem Kerl nichts mehr zu sehen.
Le Testu schrie die Piraten an, sie sollten gefälligst das Boot in Bewegung bringen und hinter dem flüchtigen Gefangenen herpullen.
Sein Ton paßte den Piraten offensichtlich nicht. Sie bewegten sich ziemlich träge, und als einer von ihnen sah, daß die anderen Boote, vom Schuß alarmiert, gewendet hatten und auf sie zufuhren, stellten sie ihre Bemühungen, hinter dem Gefangenen herzupullen, ganz ein. Das Geschrei des Straßenräubers beeindruckte sie nicht im mindesten. Sie gehorchten nur einem, und das war ihr Kapitän Pierre Servan.
Mit vor ohnmächtiger Wut zusammengepreßten Lippen wartete Le Testu, bis die anderen Boote heran waren. Montbars hatte die Muskete neu geladen und zielte wieder aufs Wasser. Er wußte, mehr als zwei Minuten konnte es kein Mensch unter Wasser aushalten. Gleich mußte der Engländer wieder nach Luft schnappen, und dann würde er ihm ein Ding verpassen, daß er ohne Kopf an Land schwimmen mußte.
Sein Pech war nur, daß er sich zum zweiten Male verschätzte. Wieder sah er den Rotschopf des Engländers für Sekunden zu spät. Er mußte den Lauf der Muskete ein ganzes Stück schwenken, und in dieser Zeit hatte der Kerl nach Luft geschnappt.
Wieder peitschte die Kugel etwa eine Unterarmlänge vom Kopf des Engländers entfernt ins Wasser und stieß eine kleine Fontäne hoch. Die Entfernung war schon ziemlich groß, und bei dem kleinen Ziel war es eigentlich ein sehr guter Schuß gewesen.
Doch Montbars wurde von seiner Wut fast aufgefressen. Er warf mit einer heftigen Bewegung die Muskete einfach über Bord und starrte den anderen Booten entgegen. Aus seinen Haaren lief ihm immer noch das Wasser ins Gesicht.
„Der Gefangene ist geflohen!“ brüllte Le Testu den anderen Booten entgegen. In dem ersten entdeckte er Servan. „Ihre verdammten Leute haben es nicht für nötig befunden, ihn zu verfolgen!“
Pierre Servan, der seinen ganzen Plan zusammenfallen sah wie ein Kartenhaus, begann zu toben. Er donnerte seine Leute, die sich an Bord von Le Testus Boot befanden, zusammen, daß ihnen Hören und Sehen verging, aber das änderte nichts mehr an der Tatsache, daß der Gefangene endgültig entwischt war.
Als Servans Boot neben dem Le Testus lag, hatte sich der Kapitän der untergegangenen „Antoine“ einigermaßen wieder beruhigt.
„Wir werden unseren Plan nicht aufgeben“, sagte er gepreßt. „Wir brauchen den Gefangenen nicht. Wer weiß, ob sie nicht trotzdem auf uns geschossen hätten. Wir werden die Dunkelheit abwarten und dann versuchen, eine der beiden Galeonen zu kapern. Wir werden so lautlos vorgehen, daß die Deckswachen erst merken, was los ist, wenn sie schon unsere Messer an ihren Kehlen spüren.“
Das war eine Rede nach Le Testus Sinn. Allerdings fragte er sich, wie Servan die beiden Galeonen in der Bucht von Sillon de Talbert bis zum Einbruch der Dunkelheit erreichen wollte. Er fragte ihn danach.
Servan winkte wütend ab.
„Wenn wir nicht in der Abenddämmerung da sind, werden wir eben mitten in der Nacht oder im Morgengrauen angreifen“, sagte er. Mit einer abrupten Handbewegung befahl er seinen Bootsgasten, die Riemen aufzunehmen und loszupullen. Er warf noch einen kurzen Blick zur Küste hinüber. Sie war ziemlich weit entfernt, und er glaubte nicht, daß es der Engländer schaffen würde, sie zu erreichen. Durch das lange Tauchen mußte er sich völlig verausgabt haben.
Le Testu dachte das gleiche. Er sah, wie Montbars immer noch die Wasseroberfläche zur Küste hin beobachtete, aber auf diese Entfernung konnte es schon sein, daß die leichte Dünung des Wassers ein erneutes Auftauchen des Gefangenen ihren Blicken entzogen hatte.
Le Testu war überzeugt davon, daß der Engländer besser daran getan hätte, bei ihnen an Bord zu bleiben. So würde er wahrscheinlich jämmerlich ersaufen. Aber er hatte sich das schließlich selbst ausgesucht.
Ferris Tucker dachte nicht daran, Le Testu den Gefallen zu tun und abzubuddeln.
Nachdem er das drittemal aufgetaucht war und diesmal keine Kugel an sich vorbeizischen sah, wußte er, daß die Piraten ihn nicht mehr schnappen würden. Er hatte sich auf den Rücken gelegt, so daß nur noch sein Gesicht aus dem Wasser ragte, und schaute zu den Booten zurück, die jetzt alle dicht beisammen lagen.
Dann wollte Ferris jubeln, als die Boote abdrehten und in der bisherigen Richtung weiterfuhren, aber er verschluckte sich und mußte ziemlich stark husten, daß er schon dachte, die Piraten würden wieder auf ihn aufmerksam werden.
Er wartete noch eine Weile und ruhte sich aus, dann schwamm er mit kräftigen Arm- und Beinbewegungen auf die felsige Küste zu. Im Hochgefühl seiner gelungenen Flucht fühlte er sich prächtig. Das einzige, was ihm Sorgen bereitete, war die Absicht der Piraten, die „Hornet“ und die „Fidelity“ zu kapern. Doch dann schüttelte er diesen Gedanken erst einmal ab. Er mußte an das Näherliegende denken, und das war seine Flucht.
Er war froh, daß er die Axt behalten hatte. Wenn sie ihn auch immer noch beim Schwimmen behinderte, vermittelte sie ihm doch ein Gefühl der Sicherheit. Wenn er weiteren Piraten von den versenkten Schiffen an Land begegnete, konnte er sich wenigstens zur Wehr setzen.
Er landete in einer kleinen felsigen Bucht, und als er einen Blick hoch warf, stellte er fest, daß er sich einen ziemlich ungünstigen Ort ausgesucht hatte.
Die Felsen stiegen steil auf. Nirgendwo entdeckte er einen Pfad oder wenigstens ein schmales Felsband, über das er die Felswand erklettern konnte.
Er fluchte unterdrückt, daß er nicht schon vom Wasser aus darauf geachtet hatte, an einer günstigeren Stelle an Land zu schwimmen.
Er kletterte über die scharfgratigen Felsen, die ins Meer ragten, um vielleicht in der daneben liegenden Bucht eine bessere Möglichkeit zu finden, die Steilwand der Küste zu erklimmen. Er riß sich die Hände an den Felsen auf, aber einen Erfolg konnte er nicht verbuchen. Auch in der nächsten kleinen Bucht war die Felswand steil und glatt.
Es nutzt alles nichts, dachte Ferris. Irgendwo in der Wand werde ich schon Halt finden.
Er ging auf die Steilwand zu und sah, daß er mit seiner Vermutung recht hatte. Er dachte an einen der Franzosen von der „Mercure“, der aus Grenoble stammte und schon oft in den Bergen der Alpen herumgeklettert war. Der Mann hatte ihm erzählt, daß Felswände nur von weitem glatt aussehen. Es gäbe überall Risse und Spalten, an die man sich klammern könne.
Seine Hände schmerzten zwar, aber er biß die Zähne zusammen. Mitten in der Wand verschnaufte er und blickte zurück aufs Meer. Weit im Osten konnte er die kleinen Punkte der Piratenboote erkennen.
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