Mit einer großartigen Armbewegung wies Le Testu über sein Waffenarsenal.
„Na, was sagt ihr dazu? Habe ich euch zuviel versprochen?“
„Großartig“, stieß Pierre Servan hervor, und ein mißtrauischer Mann hätte den gequälten Unterton in seiner Stimme bestimmt herausgehört.
„Damit schießen wir die englischen Verräter in Stücke, wenn sie uns hierher folgen“, sagte Le Testu. „Und sie werden sich auf unsere Fährte gesetzt haben, um ihren Mann zu befreien.“
„Die paar Kerle?“ sagte Bauduc zweifelnd. „Einer von ihnen ist tot, und einen haben wir gefangengenommen. Wenn ich mich nicht verzählt habe, sind sie nur noch sieben Mann.“
Le Testu zuckte mit den Schultern. Er starrte Bauduc und Servan einen Augenblick an und dachte, daß die beiden Kerle nicht in seine neue Bande paßten. Sie waren zu eingebildet. Vielleicht versuchten sie eines Tages sogar, ihn, Le Testu, auszuschalten, um selbst die Führung der Bande zu übernehmen. Schließlich waren es ihre Männer, und Le Testu hatte schon bemerkt, daß sie seine Befehle immer erst dann ausgeführt hatten, wenn die Zustimmung eines der beiden erfolgt war.
Le Testu wandte sich an die Piraten, die hinter Servan und Bauduc standen.
„Nehmt euch, was ihr braucht“, sagte er. „Der Kampf gegen die englischen Korsaren und gegen Heinrich von Bourbons Soldaten wird nicht leicht werden. Aber der Sieg gehört uns!“
Er war gewohnt, daß seine Leute nach einer solchen Ansprache in Jubel ausbrachen, aber die Piraten zogen nur grimmige Gesichter, als sie auf die Waffen zugingen und sich damit ausrüsteten.
Ein merkwürdiges Volk, dachte Le Testu, und einen Augenblick lang schien es ihm, er hätte einen Fehler begangen, als er die Piraten zu seinem größten Waffenlager geführt hatte. Doch dann verscheuchte er diese Gedanken. Die Niederlage gegen die Soldaten Heinrich von Bourbons steckte ihm noch tief in den Knochen, und er war froh, so schnell wieder Verbündete gefunden zu haben.
Er übergab einem der Piraten die Fackel und stieg die steinernen Stufen wieder hinauf. Servan und Bauduc folgten ihm.
Le Testu trat auf Montbars zu, der in der rechten Hand lässig eine Pistole hielt, die wie zufällig auf den in der Ecke sitzenden Ferris Tucker wies.
„Hat er schon was gesagt?“ fragte Le Testu den Korsen.
Montbars schüttelte den Kopf. „Kein Wort.“
Der Wegelagerer näherte sich Ferris Tucker und blieb außer Reichweite seiner Fäuste stehen. Er starrte den rothaarigen Riesen an, und ein Grinsen huschte über sein längliches Gesicht, als er daran dachte, wie er den Kerl mit der Muskete an der Schläfe erwischt hatte.
„Warum grinst du so dämlich?“ fragte Ferris Tucker.
Le Testu zog die Stirn in Falten. Er drehte sich zu Servan um und fragte: „Hast du verstanden, was er gesagt hat?“
Pierre Servan schüttelte den Kopf.
Le Testu trat einen Schritt näher zu dem Gefangenen, aber jetzt hielt er eine Pistole in der Hand. Mit dem Daumen spannte er den Hahn. Sein Grinsen ließ Ferris Tucker glauben, daß der Kerl es freundlich mit ihm meinte, aber schon im nächsten Moment wurde er eines Besseren belehrt.
Der Wegelagerer trat zu, und seine Stiefelspitze traf Ferris Tucker hart am Oberschenkel. Es tat höllisch weh, doch er zuckte nicht einmal mit der Wimper.
„Hör zu, du verfluchter Verräter!“ stieß Le Testu hervor. „Wir werden dich für deinen Verrat bestrafen. Wir hängen dich Schwein auf und lassen deinen Kadaver für die Bussarde und Ameisen liegen!“
Diesmal hatte Ferris einiges verstanden, und er wunderte sich, daß der Kerl ihn einen Verräter nannte.
Er suchte seine Französischkenntnisse zusammen und fragte den Kerl: „Kannst du mir verraten, wovon die Rede ist? Und wer bist du? Deine Visage ist mir noch nie begegnet.“
Das Gesicht Le Testus verzerrte sich vor Wut.
Der hat mich tatsächlich verstanden! dachte Ferris Tucker begeistert und beschloß in diesem Augenblick, sein Französisch zu vervollkommnen, wenn er erst mal wieder mit Jean Ribault zusammentraf.
Er sah, wie Le Testu wieder mit dem Stiefel ausholte, und drehte sich instinktiv etwas zur Seite.
Die Stiefelspitze traf die Flasche, die er in der Tasche stecken hatte. Sie war aus ziemlich dickem Glas und ging nicht so leicht kaputt.
Le Testus Zehen waren da schon empfindlicher. Er heulte auf wie ein Derwisch und hüpfte eine Weile auf einem Bein herum, bis er bemerkte, daß die anderen ihn anstarrten. Er verbiß den Schmerz. Wütend beugte er sich zu Ferris Tucker hinunter und zerrte die Flaschenbombe hervor.
„Was, zum Teufel, ist das?“ brüllte er.
„Zünde mal die Lunte an“, knurrte Ferris, „dann wirst du sehen, was passiert!“
Wieder kam sein Französisch blendend an.
Ferris merkte es an dem dritten Fußtritt, den ihm der Kerl mit dem Oberlippenbart versetzte.
Während des Marsches hatte Hasards Oberarmwunde wieder zu bluten begonnen, und Carberry hatte sie ihm notdürftig verbunden.
Die Spuren waren immer noch deutlich zu erkennen, auch wenn jemand von den Piraten versucht hatte, hier und dort falsche Fährten zu legen, um die Verfolger aufzuhalten oder in die Irre zu führen.
Das Licht unter dem Blätterdach des Waldes war heller geworden. Über ihnen mußte blauer Himmel sein. Vom Sturm, der über der Bucht von Saint Malo getobt hatte, war nichts mehr zu spüren.
Easton Terry baute sich demonstrativ vor Hasard auf, als dieser die deutlichen Spuren weiter verfolgen wollte.
„Wir sollten zu unseren Schiffen zurückgehen“, sagte er.
„Sie meinen, wir sollten unseren Mann im Stich lassen?“ fragte Hasard bissig zurück.
Terry zuckte abfällig mit den Schultern.
„Ich frage mich nur, welchen Sinn diese Verfolgung haben soll“, erwiderte er. „Selbst wenn wir die Piraten einholen, wird uns das nichts nutzen, weil sie uns dann mit ihrer Geisel erpressen.“
„Das ist eine Sache, die wir dann bedenken werden, wenn es soweit ist“, sagte Hasard scharf. „Solange noch eine Möglichkeit zur Rettung besteht, werde ich einen meiner Leute nicht aufgeben.“
Er hatte laut gesprochen, so daß Terrys Männer ihn hören konnten, und er sah an Terrys verkniffenem Gesicht, daß dieser Hasards Absicht erkannte.
„Außerdem, Mister Terry“, fügte Hasard hinzu, „scheinen Sie häufiger zu vergessen, daß ich das Kommando dieses Unternehmens habe, nicht Sie.“
Terry erwiderte nichts mehr. Im Augenblick hatten Hasards Worte das abfällige Lächeln aus seinem Gesicht gewischt. Dafür grinste Carberry jetzt.
Dieser verdammte Mistkerl! dachte der Profos. Den möchte ich noch mal im Dunkeln am Hafen von Plymouth erwischen! Dann wird er Zeit seines Lebens mächtige Schmerzen verspüren, wenn er seine Visage zu einem Grinsen verzieht!
Er malte sich immer mehr Dinge aus, die er mit Terry in einer einsamen, dunklen Gegend anstellen würde, bis sie den Waldrand erreichten und in einer halben Meile Entfernung die kleine Fischerhütte auf der Anhöhe liegen sahen.
Noch war der Pfad zu sehen, den eine Menge Leute durch das feuchte Gras getreten hatten. Er führte genau auf die Hütte zu.
Hasard zögerte. Wenn sich die Piraten in der Hütte verschanzt hatten, war es für sie unmöglich, bis zu ihr vorzudringen. Die spärlichen Dekkungen, die sie hinter den verstreut liegenden grauen Felsbrocken finden würden, reichten nicht aus, um lebend bis zur Hütte zu gelangen.
Dan O’Flynn und Stenmark traten an Hasards Seite.
„Ich werde mich mit Stenmark heranschleichen“, sagte Dan. „Zwei Männern sollte es gelingen, ziemlich nah heranzukommen. Ich nehme eine von Ferris’ Flaschenbomben mit, die Carberry bei sich hatte. Vielleicht gelingt es uns, die Kerle damit so sehr zu erschrecken, daß sie Ferris freigeben.“
Hasard nickte. Ihnen blieb keine andere Wahl. Er gab Dan und Stenmark ein Zeichen mit der Hand, und die beiden liefen los. Noch war die Entfernung für einen Schuß zu groß, doch als sie näher heran waren, begannen sie, Haken zu schlagen und von Felsbrocken zu Felsbrocken zu hetzen.
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