Der Seewolf stürzte sich auf die Kerle, die versuchten, ihre Pistolen nachzuladen. Er und Dan waren bei ihnen, noch ehe sie das Pulver auf der Pfanne hatten. Dans gekürzte Pike tanzte auf ihre Schädel nieder, und sie gingen schreiend zu Boden. Finnegan, Ferris Tucker und Matt Davies befreiten Halibut, Stoker und Bingham, indem sie die Piraten mit den Fäusen niederschlugen. Halibut brüllte vor Wut, riß seine Pistole hoch und schoß auf einen Mann, der sich zur Flucht gewandt hatte. Er traf ihn in den Rücken. Der Mann stürzte nach vorn aufs Gesicht und rührte sich nicht mehr.
Der Seewolf hatte es gesehen und nahm sich vor, diesen Zwischenfall nicht zu vergessen.
An dem wütenden Geschrei der Piraten hörte er, daß auch diese den unnötigen Mord beobachtet hatten. Eine Salve peitschte auf, und Bleistücke heulten wie ein Hornissenschwarm durch das Unterholz.
Es war wie ein Wunder, daß niemand von ihnen getroffen wurde. Dennoch hatte der unselige Schuß Halibuts die Piraten aus ihrer bislang noch geübten Zurückhaltung gerissen.
Sie griffen an, und sie ließen sich auch durch die gezielten Schüsse der Seewölfe nicht mehr zurückhalten. Drei Piraten lagen schon reglos auf der Lichtung, als eine Horde von mindestens zwanzig Mann auf Hasard und die anderen eindrang.
Die dichten Büsche verhinderten eine weitere Schießerei, weil niemand wußte, ob er nicht den eigenen Mann traf.
Hasard und Ferris Tucker standen Rücken an Rücken und kämpften wie die Berserker. Ferris ließ seine großen Fäuste wirbeln und schlug einen nach dem anderen zu Boden, aber die Piraten rappelten sich immer wieder hoch und griffen mit dem Mut der Verzweiflung von neuem an.
Hasard dachte an Easton Terry und seine Leute. Er konnte nur hoffen, daß die Schüsse weithin zu hören gewesen waren und Terry bald auf den Plan rufen würden.
Ein schriller Schrei ließ die anderen für einen Moment innehalten, denn jeder, Freund oder Feind, hatte an der Tonlage, mit dem dieser Schrei ausgestoßen worden war, gehört, daß jemand in höchster Not war.
Hasard drehte den Kopf und sah Bingham aus den Büschen taumeln. Sein Hemd hatte sich auf der Brust von seinem eigenen Blut gefärbt. Er stolperte noch einige Schritte vorwärts, dann brach er in die Knie und fiel aufs Gesicht. Reglos blieb er liegen.
Ferris Tucker hatte keine Zeit gefunden, sich um Binghams Schrei zu kümmern. Er mußte sich einem Pulk von vier Piraten stellen, und hinter denen stand ein Mann mit einem länglichen Gesicht, dunklen Augen und einem dünnen Oberlippenbart. Er hielt eine Muskete am Lauf gepackt und lauerte auf eine Chance, Ferris den Kolben gegen den Schädel zu donnern.
Der Mann sah nicht aus, als gehöre er zu den Piraten. Ferris schossen diese Gedanken durch den Kopf, doch er konnte sie Hasard nicht mitteilen. Er spürte plötzlich, daß der Seewolf nicht mehr an seiner Seite war, und als er sich umdrehte, sah er, wie Hasard ein paar Yards von ihm entfernt mit dem grauhaarigen Burschen rang, der sie in diese Falle gelockt hatte.
Im letzten Augenblick sah Ferris Tucker die wischende Bewegung vor sich. Er warf sich zur Seite, und der Kolben der Muskete streifte nur seinen Arm. Er brüllte auf, donnerte einem Kerl, der sich an ihn hängte, die Faust auf den Kopf, daß er zu Boden sackte, und griff den Mann mit der Muskete an.
Der Kerl war geschmeidig wie eine Wildkatze. Jedesmal, wenn Ferris Tucker zupacken wollte, war er schon nicht mehr da. Aber er erhielt auch keine Gelegenheit mehr, mit seiner Muskete zuzuschlagen.
Ferris wollte sich zu Hasard zurückziehen, um wieder Rücken an Rücken mit ihm zu kämpfen. Er wagte nicht, sich umzudrehen, denn der lange Kerl mit dem dunkelroten Hut schien ihm zu gefährlich, als daß man ihn auch nur eine Sekunde aus den Augen lassen durfte.
Seitlich von sich sah er Dan O’Flynn mit seiner gekürzten Pike kämpfen. Die Piraten schienen einen Heidenrespekt vor seiner selbstgebastelten Waffe zu haben, denn sie wagten sich nicht näher als bis auf einen Yard an ihn heran. Sie versuchten, ihn mit Säbeln und Degen aufzuspießen, aber er war schneller als sie und prellte ihnen mit der Pike ihre Waffen ein ums andere Mal aus den Händen.
Ferris Tucker stieß einen röhrenden Schrei aus, als ihn etwas hart in den Kniekehlen traf. Er wollte auf den Beinen bleiben, aber seine Muskeln gehorchten ihm nicht mehr. Mit rudernden Armen brach er in die Knie. Seine linke Hand zuckte vor und griff in die Hemdbrust eines Piraten, der sich zu dicht an ihn herangewagt hatte. Wütend stemmte er den Kerl hoch und warf ihn gegen den Mann mit der Muskete, doch der wich mit einer geschickten Körperdrehung aus.
Ferris warf sich zur Seite und überrollte sich am Boden. Zweige von Büschen peitschten sein Gesicht, aber davon verspürte er nichts. Er konzentrierte sich ganz auf den Schmerz in seinen Kniekehlen, und als er soweit war, sich wieder zu erheben, sah er den Schatten des Mannes mit dem dunkelroten Hut über sich.
Instinktiv wollte er die Arme hochreißen, um seinen Kopf zu schützen, doch da traf ihn der Musketenkolben mit voller Wucht an der Schläfe.
Ferris Tucker hörte die Engel im Himmel singen. Wunderschöne bunte Kreise tanzten vor seinen Augen. Er fühlte sich leicht. Schmerzen verspürte er nicht mehr. Irgend jemand hob ihn auf, dann wurde er von einem schwarzen Wirbel gepackt, der die bunten Kreise verblassen ließ. Er hatte das Gefühl, in ein tiefes, schwarzes Loch zu stürzen.
Niemand von den anderen hatte Ferris Tucker ins Gebüsch stürzen sehen. Jeder war mit seinen Gegnern vollauf beschäftigt.
Matt Davies hatte sich zu Dan durchgeschlagen, und zusammen heizten sie den Piraten ein, daß denen heiß wie in der Hölle wurde. Jetzt wagten sie sich auch nicht mehr mit Säbeln und Degen an die beiden heran.
„Los, zu Hasard hinüber!“ brüllte Matt und hieb mit seinem Haken, der seinen Gegnern eine höllische Furcht einjagte, wie wild um sich.
Dan sah, daß Hasard mit dem Grauhaarigen rang. Er hatte gedacht, daß nur alte Leute graue Haare hatten, aber der Kerl mit der dunklen Haut schien die Kraft eines Bären zu haben, da er Hasard immer noch widerstand.
Als sie den Seewolf erreichten, wandte sich der Grauhaarige plötzlich zur Flucht. Finnegan und Stenmark, die sich etwas abseits gegen eine Übermacht von sechs Piraten bravourös geschlagen hatten, liefen heran.
„Sie hauen ab!“ brüllte Halibut, der aus einem Gebüsch auftauchte. Fast schien es, als hätte sich der Kerl versteckt. Neben ihm tauchte Stoker auf, dessen Gesicht blutverschmiert war. Es sah aus, als hätte ihn ein Säbelhieb quer übers Gesicht getroffen, doch als er mit der Hand über seine faltige Stirn fuhr, um sich das Blut wegzuwischen, das ihm in die Augen lief, sahen die anderen, daß nur seine Augenbraue aufgeplatzt war.
Es wurde still. Ab und zu waren die Geräusche von brechenden Zweigen und schlagenden Ästen noch zu vernehmen, doch dann stand nur noch das heftige Atmen der Seewölfe in der schwülen Waldluft.
Hasard blickte sich um. Der Waldboden war zerwühlt, als hätte hier eine Horde Wildschweine gehaust. Dann fiel sein Blick auf den leblosen Bingham, und mit schweren Schritten ging er auf den Mann zu.
Er beugte sich bei ihm nieder und drehte ihn vorsichtig auf den Rükken.
Leere Augen blickten an ihm vorbei zu den Wipfeln der Bäume. Das Blut auf seiner Brust begann schon zu gerinnen.
Hasard drückte ihm die Lider über die Augäpfel und erhob sich mit zusammengekniffenen Lippen. Er fragte sich, ob er den Kampf hätte vermeiden können, wenn er eher bemerkt hätte, daß sie der flüchtende Mann in eine Falle locken wollte.
Er schüttelte den Kopf. Sie waren davon ausgegangen, daß die Piraten nur völlig unzureichend bewaffnet sein konnten. Diese Annahme war völlig falsch gewesen. Die Piraten hatten genügend Schuß- und Stichwaffen gehabt, daß es sogar noch wesentlich schlimmer für sie hätte ausgehen können. Es war ein Wunder, daß sich die Kerle so plötzlich zurückgezogen hatten.
Читать дальше