Einmal war ihm unter Deck, als er mit seinem Alten und Simon Llewellyn an der Back gesessen hatte, eine Kakerlake hinten in den Kragen gefallen. Die war ihm noch dazu den nackten Rücken hinuntergekrabbelt. Da hatte er sich gebärdet wie ein Tobsüchtiger, einen Veitstanz hatte er aufgeführt, Geschirr zerschlagen und die Kammer demoliert. Erst ein Kinnhaken des Alten hatte ihn außer Gefecht setzen können.
Da war nun dieses Mal etwas anderes im Genick des Thomas Lionel gelandet, etwas nicht sehr Schönes, denn es roch mächtig übel. Für etliche Sekunden lag der Ferkelsohn starr und stumm platt auf den Planken, stierte das Holz an und das, was sich dort schon angesammelt hatte. Gleichzeitig spürte er jenes andere bereits im Genick, und er wagte kaum, sich zu rühren, damit es nicht tiefer rutschte.
Schritte waren hinter ihm, gleich darauf klatschte ein Tauende auf seinen Hintern, und die Stimme O’Learys dröhnte in seine Ohren.
„Willst du da pennen, du Sack?“ brüllte der Bootsmann. „Hoch mit dir, verdammt noch mal! Hier wird nicht gefaulenzt!“ Und wieder kriegte er das Tau zu kosten, schon härter als zuvor.
Das genau war der Moment, der jene Situation heraufbeschwor, in der Thomas Lionel, der plumpe, dumme Kerl, zu einer in die Enge getriebenen Ratte wurde.
Er schoß mit einem schrillen, quiekenden Schrei von den Planken hoch, als sei er von dort abkatapultiert worden. Dann passierte etwas, was für O’Leary viel zu schnell ging, um noch reagieren zu können. Er hatte auch mit gar keiner Gegenwehr gerechnet.
Thomas Lionel kreiselte herum, schwang dabei die Pütz mit der Fangleine aus, die Leine prallte seitlich an das Kinn des Bootsmanns und hatte genug Drall drauf, um sich samt Pütz um dessen Hals zu wikkeln.
Dieses Mal brüllte Thomas Lionel wie ein wilder Stier, dann packte er blitzschnell mit der anderen Hand zu und riß die Fangleine mit einem wahnsinnigen Ruck zu sich heran, sprang aber gleichzeitig zurück.
Der Ruck genügte, um den Klotz von Bootsmann umzuwerfen. Mit der schweren Masse seines Körpers krachte er vierkant auf die Planken und begrub die Pütz unter sich. Die Fangleine lag wie eine Würgemanschette um seinen Hals.
Thomas Lionel geriet außer sich vor Triumph, den Kerl umgelegt zu haben. Mit einem Satz sprang er auf den Rücken des Bootsmanns und trampelte wie ein Irrer auf ihm herum, als wolle er ihn durch das Deck stampfen.
Der dicke Burton und der hagere, krummrückige Bromley flüchteten schreiend vor den Ruderstand. Die anderen Kerls an Bord standen wie erstarrt. Das hatte noch keiner geschafft, den Bootsmann O’Leary von den Füßen zu holen.
Simon Llewellyn wieherte über den Spaß wie ein liebeshungriger Hengst, und dann nahm er die seltene Gelegenheit wahr, sich ebenfalls an dem Bootsmann für die bisher empfangenen Prügel, Fußtritte und Beschimpfungen zu rächen. Er tobte aufs Achterdeck, stieß seinen Bruder weg und bearbeitete den Bootsmann mit Fußtritten.
Thomas Lionels Tätigkeitsdrang war noch längst nicht erloschen. Grölend packte er den Haarschopf des Bootsmanns und donnerte dessen Kopf auf die Planken.
„Aufhören!“ brüllte der Alte, hochrot im Gesicht vor Wut. „Seid ihr verrückt geworden?“
Seine Söhne waren taub. Wer Rache nimmt, hört nichts mehr. Sie warfen sich über den Bootsmann und prügelten mit den Fäusten auf ihn ein. Sie rissen ihm Haare aus, kniffen und zwackten ihn, und wenn sie Wölfe gewesen wären, hätten sie ihn auch aufgefressen. Kurz, sie tobten wie die Wilden auf ihm herum.
Der Alte beging den Fehler, seine tobsüchtig gewordenen Söhne in der alten Manier bändigen zu wollen, das heißt, zu versuchen, ihnen Maulschellen zu verpassen. Das mißlang gründlich.
Entweder waren sie allmählich immun geworden, oder sie empfanden zur Zeit nichts mehr, weil sie außer sich vor Lust waren, es dem gefürchteten und gehaßten Bootsmann endlich einmal heimzahlen zu können – letzteres traf wohl zu. Das heißt, die Bestien waren los und total entfesselt.
Der Alte wurde von einem wilden Schwinger Simon Llewellyns erwischt und geriet gleichzeitig mit dem Kinn unter den hochruckenden Kopf Thomas Lionels. Dem machte das überhaupt nichts aus, weil er sowieso nur Stroh im Kopf hatte. Aber das Kinn des Alten war empfindlich, ganz abgesehen von dem Schwinger, der auf sein rechtes Ohr krachte.
Die Nacht war für Sir John schon mies genug gewesen, die Prügel von Lady Anne gegen Mittag hatte er auch noch nicht verdaut, also nippelte er ab wie eine verlöschende Kerze. Er rollte – dieses Mal jenseits von Gut und Böse – über die Planken nach Lee, und da war zum Glück das Steuerbordschanzkleid, das ihn davor bewahrte, außenbords ein kühlendes Bad zu nehmen.
Genau das wäre der Moment für seine beiden Ferkelsöhne gewesen, das Kommando über die Karavelle an sich zu reißen – nicht nur über die Karavelle, sondern im weiteren Sinne auch über die Feste Arwenack. Eine bessere Gelegenheit würden sie aller Wahrscheinlichkeit nie mehr erhalten – der Alte total aus dem Gefecht und der Bootsmann ebenso.
Aber sie waren zu bescheuert, um die Gunst der Stunde zu begreifen. Der dämliche Thomas Lionel nämlich verließ seinen Standort auf dem Rücken des Bootsmanns und stolperte zum Steuerbordschanzkleid, um seinen Alten weiter in die Mangel zu nehmen.
Da war also plötzlich einer weniger auf dem Rücken des Bootsmanns, der gerade in diesem Augenblick mit dem Ersticken kämpfte und sich in einem letzten Reflex aufbäumte. Das geschah so jäh, daß Simon Llewellyn von seinem Rücken geschleudert wurde. Fast automatisch griff O’Leary nach der Fangleine um seinen Hals und löste sich aus der Erdrosselung. Die Pütz flog sonstwohin.
Mit einem mächtigen Atemzug holte der Bootsmann Luft in seine Lungen, mit dem nächsten Atemzug war er auf den Beinen, wirbelte herum, griff sich Simon Llewellyn, der sich noch nicht aufgerappelt hatte, und damit war die Schlacht auf dem Achterdeck der Karavelle auch schon entschieden.
Simon Llewellyn sank mit glaisgen Augen nach einer Explosion an seinem Kinn auf die Planken, und Thomas Lionel landete Sekunden später neben ihm, gleichfalls im Zustand totaler Passivität. Da war nichts mehr drin. Die alte Ordnung war wiederhergestellt, alles blieb so, wie es gewesen war.
Der Zorn des Alten, als er ins Bewußtsein zurückkehrte, war fürchterlich. Seine beiden Söhne, die ein einziges Mal über ihn triumphiert hatten, fanden sich in der Vorpiek wieder, gefesselt an Händen und Füßen, grün und blau geschlagen.
Aber irgendwann würden sie wieder den Zustand von „cornered rats“ erreicht haben und die Bestie in sich loslassen. Ob der Alte das überleben würde, war jetzt schon fraglich.
Es ging auf eine Stunde vor Mitternacht zu, als die Karavelle Rame Head passierte, dann Penlee Point rundete und mit nunmehr halbem Wind in die Cawsand Bay steuerte. Das Feuer von Breakwater, dem schmalen langen Wellenbrecher im Plymouth Sound, blieb an Steuerbord.
Der Wind aus Westen wehte nicht mehr so stark, eher mäßig. Und die Sicht war alles andere als klar. Nebelschwaden hatten sich gebildet und waberten über dem Wasser. Ab und zu rissen sie auf und gaben die Sicht frei.
Wären der dicke Burton und sein hagerer Kumpan beim Passieren von Rame Head in den Großmars geentert, dann hätten sie an dem Kai zur Werft des Hesekiel Ramsgate die Zweimast-Sambuke und die irische Galeone gesehen.
Aber keine hundert Pferde hätten sie auf den Mars gebracht – Gott bewahre! Und das auch noch bei Dunkelheit! Und dann in ihrem leidenden Zustand! Ihre Mägen waren zwar so leer wie die Geldkatze eines bankrotten Kaufmanns, aber ihnen war nach wie vor hundsmiserabel zumute. Das Würgen hatten sie immer noch in den Kehlen. Sie fühlten sich schlapp und wie ausgewrungen.
Die Karavelle war gefechtsklar.
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