Armiert war die Karavelle mit je sechs Culverinen an Backbord und an Steuerbord, ferner mit demontierbaren Relingsbüchsen – zehn an der Zahl –, die überall jederzeit in die dafür vorgesehenen Halterungen auf dem Schanzkleid eingesetzt werden konnten, sowie mit je vier Dreh@assen auf dem Achterdeck und der Back.
Zur Bedienung dieser Waffen hätte Sir John gern ein paar Kerle mehr gehabt, aber da wäre dann auch mehr Sold fällig gewesen, und er war nun mal ein notorischer Geizkragen, was die Bezahlung seines Gesindes oder seiner Mannschaft betraf. So war er auch stets unterbemannt, was er aber dahin ausglich, daß er von seinen Kerlen eben mehr als üblich an persönlichem Einsatz verlangte. Sie hatten statt zwei Händen eben vier Hände zu haben – basta. Daß er seine beiden Ferkelsöhne als zusätzliche Decksleute betrachtete, versteht sich am Rande.
Dieser verwilderten Crew stand ein Bootsmann vor, O’Leary mit Namen, ein rüder Klotz von einem Kerl mit Holzhackervisage, mächtigen Fäusten und einem breiten Kreuz. Wenn Sir John nicht an Bord war, dann hatte er die Funktion eines Kapitäns. Er war ein guter Seemann und verstand auch was von der Navigation.
Hier muß noch hinzugefügt werden, daß O’Leary den beiden Ferkelsöhnen übergeordnet war, was bedeutete, daß er mit ihnen nach Belieben verfahren konnte, ohne vom Alten deswegen gerüffelt zu werden, ja, er verlangte sogar, daß O’Leary den beiden „Lümmeln“ was an die Ohren gab oder sie in den Hintern trat, wenn sie Mist bauten oder meinten, faulenzen zu dürfen.
Das hatte überhaupt nichts mit Erziehung zu tun, die mit spätestens zwanzig Jahren hätte abgeschlossen sein müssen. Nein, von solchen Überlegungen war Sir John meilenweit entfernt. Er hatte nur eine perverse Freude daran, seine Söhne zu kujonieren und zu piesacken – und was ihm bei Philip Hasard Killigrew nicht gelungen war, das ließ er an seinen beiden Ferkelsöhnen aus, ungeachtet dessen, daß diese Söhne bei einer solchen „Erziehung“ weiß Gott nichts anderes als nichtsnutzig werden konnten.
Wahrscheinlich auch wußte der Alte nichts von der Redensart in seinem Land, die da lautet: like a cornered rat – wie eine in die Enge getriebene Ratte. Denn das konnte eines Tages passieren, daß sich seine Söhne wie cornered rats fühlten und so handelten, nämlich mit dem letzten wahnsinnigen Mut der Verzweiflung den Folterknecht anzuspringen und sich in ihn zu verbeißen.
Seltsamerweise war es der dümmliche Thomas Lionel, der an diesem Tage zur Ratte wurde.
Es ließ sich alles gut an, wenn man von der schlechten Laune und der Brüllerei des Alten einmal absah.
Ein paar von den zwölf Kerlen, die allesamt so rechte Galgenstricke waren, drückten mit langen Bootshaken die Karavelle von der Pier weg, bis sie im Wind lag, der von Westen wehte. Die Fock wurde backgesetzt, bis der Bug nach Lee zu drehen begann, dann herumgeholt, während gleichzeitig auch Großsegel und Besan vorgeheißt wurden. Der Alte stand selbst am Ruder, während O’Leary, der Bootsmann, das Segelsetzen und Durchholen der Schoten überwachte.
Burton und Bromley befanden sich natürlich an Bord. Sie standen reichlich überflüssig auf dem Achterdeck herum und damit jedem im Wege. Von der Seefahrt verstanden sie soviel wie die Kuh vom Bauerntanz. Da ihnen die See dazu noch fremd war, hatten sie Beklemmungen, Schweißausbrüche und das dumpfe Gefühl, demnächst von dem nassen Element verschlungen zu werden.
Dieses Gefühl verstärkte sich, als sich die Karavelle nach Lee neigte und mit halbem Wind die Bucht von Carrick Roads durchlief und an Pendennis Point vorbei Zone Point ansteuerte, die Spitze jener Halbinsel, die gerundet werden mußte, wenn man entlang der kornischen Küste Plymouth anlaufen wollte.
Noch war bei dem Wind aus Westen die Bucht von Carrick Roads gut geschützt und der Seegang beileibe nicht aufregend. Aber der dicke Burton und sein Kumpan Bromley standen seltsam verdreht auf den Planken des Achterdecks und klammerten sich am Schanzkleid an Steuerbord fest, als befürchteten sie, im nächsten Moment auf dem mäßig schiefgeneigten Deck abwärts nach Lee zu rutschen.
Ihre Haltung sah schon reichlich komisch aus. Sie wirkte, als hätten sie die Hosen voll. Und Ihre Mienen wiesen aus, daß sie von erbärmlicher Angst erfüllt waren. Die durchzechte Nacht war auch nicht dazu angetan, ihr Wohlbefinden zu stärken.
Als Zone Point gerundet und damit die Atlantikdünung wirksam wurde, passierte das, was für Landratten vom Schlage dieser beiden Spitzbuben obligatorisch ist.
Ihre Mägen stiegen ihnen durch die Kehlen, und sie opferten. Ungetrübt von den Gesetzen des Windes entleerten sie sich, über dem Schanzkleid hängend, nach Luv. Das Zeug – noch nicht verdaute Spiegeleier mit Speck und Roggenbrot – flog ihnen wieder entgegen und um die Ohren, verkleisterte ihnen die Augen, das Gesicht und die Halskrausen, und so stimmten sie unisono ein Jammergebrüll an, als befänden sie sich auf dem Wege zur Schlachtbank.
Das war so richtig was für den Alten, der die Ruderpinne einem der Kerle übergeben hatte. Er lachte sich halbtot über die beiden Gestalten am Steuerbordschanzkleid. Dann wurde ihm der Geruch zuwider, der ihn von dort anwehte, und er brüllte den Bootsmann an, dafür zu sorgen, daß die Schweinerei, mit der auch das Deck bekleckert war, beseitigt würde.
O’Leary stand auf der Kuhl, röhrte sein „Aye, aye, Sir!“ und scheuchte Thomas Lionel aufs Achterdeck, nachdem er ihn angebrüllt hatte, was er mitzunehmen hätte, nämlich eine Pütz samt Fangleine, eine Handbürste und einen Lappen.
Thomas Lionel gehorchte.
Inzwischen war gehalst worden, und die Karavelle lag nunmehr über Steuerbordbug auf Nordost-Kurs, um Dodman Point anzusteuern, die nächste Halbinselspitze auf dem Wege nach Plymouth. Der Wind aus Westen fiel raumschots ein, die Karavelle wiegte sich in der von achtern anlaufenden Atlantikdünung – für magenschwache Landratten eine sehr üble Bewegung, die beharrlich und stetig ein Schiff hochklettern und hinuntergleiten läßt. Beim Hochklettern schwenkte der Bug hoch, beim Hinuntergleiten das Heck. Mit dem Magen verhält sich das nahezu synchron. Feste Mägen vertragen das, schwache Mägen rebellieren.
Bei Burton und Bromley rebellierten sie also weiterhin.
Sie hatten inzwischen begriffen, daß es unzweckmäßig war, gegen den Wind zu opfern. So lehnten sie jetzt achtern am Schanzkleid, den Rücken fast zum Wind, und versauten die Planken. Sie hatten noch allerlei in ihren Mägen.
Der Alte, achtern drüben am Backbordschanzkleid, sah genüßlich und grinsend zu, als sein Sohn Thomas Lionel, bewaffnet mit Pütz, Handbürste und Lappen, den Niedergang hochenterte, auf dem Achterdeck jedoch stehenblieb und zögerte.
O’Leary tauchte hinter ihm auf, verpaßte ihm spornstreichs einen Tritt in den Hintern und beförderte ihn auf diese Weise in Richtung des verunreinigten Decks, also dorthin, wo es nicht sehr appetitlich aussah.
Thomas Lionel sauste bäuchling über die Ferkelei auf den Planken und nahm insofern bereits mit seinen Klamotten eine Art Vorreinigung vor. Seine Rutschfahrt endete kurz vor den beiden Gentlemen, denen so speiübel war. So passierte es, daß er deren Magenkram auch noch ins Genick kriegte, sozusagen frisch, denn die beiden Gentlemen scherte es nicht, wer da zu ihren Füßen lag. Er hätte ja woanders hinrutschen können.
Als Thomas Lionel noch ein Bübchen gewesen war, da hatte sich sein älterer Bruder Malcolm oft daran verlustiert, ihm kaltes Wasser hinten in den Kragen zu gießen oder bei Frost auch mal Eisstückchen dort hineinzustopfen. Wenn dann der kleine Thomas Lionel wie am Spieß gebrüllt hatte, war Malcolm ganz weg gewesen vor lauter Lust an diesem Spaß.
Seit jenen Jahren reagierte Thomas Lionel nahezu hysterisch, wenn ihm irgend etwas hinten ins Genick geriet, es brauchte gar nicht einmal kalt zu sein.
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