„Genial!“ rief der dicke Burton begeistert, und dieses Mal heuchelte er keineswegs, obwohl er sich im nächsten Moment darüber ärgerte, daß Bromley und er nicht selbst auf diese Möglichkeit verfallen waren. Sie hätten sich gleich auf dieses Schiff aus dem Mittelmeer konzentrieren sollen, statt diesen unsinnigen Angriff auf den Neubau in Szene zu setzen, mit dem sie überhaupt nichts erreicht hatten – im Gegenteil, diese Seewölfe-Bande war gewarnt worden und wußte bereits, wer hinter der mißglückten Gefangennahme des Hesekiel Ramsgate und dem Anschlag auf seine Werft steckte.
Der Dicke schalt sich selbst einen Narren. Da waren sie nun zu dem alten, schlitzohrigen Sir John geritten, und der hatte im Handumdrehen einen Plan entwickelt, den sie auch selbst hätten fassen können. Und jetzt mußten sie noch mit dem alten Halunken die Beute teilen!
Dieser Gedankengang war richtig, wie der Dicke im nächsten Moment zu hören kriegte.
Der Alte hatte die Augen zusammengekniffen und sagte lauernd: „Das wäre ja dann soweit alles klar, mein lieber Burton – bis auf eins. Sie nehmen doch wohl nicht an, daß ich mit leeren Händen ausgehen möchte, nicht wahr? Schließlich habe ich den richtigen Plan entwickelt, setze für das Unternehmen meine Karavelle und meine Leute ein und riskiere Kopf und Kragen.“ Er zwinkerte dem Dicken zu und rieb Daumen und Zeigefinger der rechten Hand wie ein ausgebuffter Pferdehändler aneinander. „Na, wie steht’s denn damit, mein Guter? Haben Sie mir da was vorzuschlagen?“
„Ä-hem“, sagte der Dicke und räusperte sich die Kehle frei, denn da hatte sich so etwas wie ein Kloß festgesetzt, „darüber hatte ich gerade mit Ihnen sprechen wollen, Sir.“ Das klang ziemlich gequält.
„Immer frei von der Leber weg!“ röhrte der Alte und soff aus der Flasche.
„Ja, Sir“, sagte der Dicke, „ich dachte, daß wir die Beute teilen, nicht wahr?“
Sir John setzte die Flasche ab und schob den Kopf vor, als habe er sich verhört. „Teilen? Sie meinen, fünfzig zu fünfzig?“
Samuel Taylor nickte stumm.
Des Alten Stimme war jetzt sehr leise und bösartig: „Wollen Sie mich betrügen, mein Guter?“
„Aber Sir, ich muß doch sehr bitten …“
„Papperlapapp!“ unterbrach ihn der Alte ruppig. „Dreiviertel der Beute für mich, ein Viertel für Sie und Bromley. Sonst läuft nichts, gar nichts. Das Viertel ist schon happig genug. Denn, daß der Bastard wieder im Lande ist, hätte ich sowieso erfahren. Wenn ich Ihnen und Bromley ein Viertel zugestehe, dann ist das schon mehr als großzügig, ein Geschenk ist das, ein Geschenk für nichts und wieder nichts!“
So wurde Samuel Taylor Burton einfach überrollt und kriegte kein Bein auf die Erde, ja, ihm wurde auch noch gesagt, daß es eine Gnade sei, wenn er und Bromley an der Beute beteiligt würden. Eine Gnade!
Der Dicke hätte den schlitzohrigen Sir John am liebsten erwürgt, aber dazu war er nicht Manns genug, und sein Kumpan Bromley konnte ihm auch nicht beistehen, denn der schnarchte bereits in dem hölzernen Lehnstuhl. Den Rest Rotwein aus seinem Humpen hatte er sich dabei in den rechten Stiefel gegossen. Aber davon war er auch nicht aufgewacht.
So mußte der ehemalige Friedensrichter allein ganz kleine Brötchen backen und durfte allenfalls unbemerkt mit den Zähnen knirschen.
Das war’s also.
Und Sir John hatte mal wieder eine Beute zu seinen Gunsten verteilt, über die er noch gar nicht verfügte.
Ein feines Geschäftchen, dachte er, und lachte dröhnend, der alte Halunke.
Vor lauter Gram über das miese Geschäft hatte der dicke Burton mit dem Alten und seinen beiden Ferkelsöhnen einen Humpen nach dem anderen geleert und war lange nach Mitternacht volltrunken und mit Hilfe von zwei Dienern in eine Turmkammer gewankt, wo man ihm ein Bett bereitet hatte. Dorthin war auch schon der schnarchende Bromley befördert worden, ohne daß er aufgewacht wäre.
Der Alte hatte noch eine Weile herumrandaliert, war dann aber in seinem Sessel vor dem Kamin eingeschlafen.
Das Ferkel Thomas Lionel, das zwischenzeitlich aus dem Keller Wein hatte heraufholen sollen, war im Suff nicht dort gelandet, wo die Weinfässer standen, sondern hatte sich in den Rübenkeller verirrt. Die Kerze war ihm bei seiner Torkelei ausgegangen, so daß er sich nicht mehr zurechtgefunden hatte. Er ruhte also auf schmutzigen Rüben, und Edwin Carberry hätte mit Recht von einem Rübenschwein sprechen können.
Dann hatte der Alte Simon Llewellyn losgejagt, um für Nachschub zu sorgen, aber der war auch nicht zurückgekehrt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Alte bereits vergessen, daß er seine Söhne in den Keller geschickt hatte. Er war nämlich selbst damit beschäftigt gewesen, daß Hirschgeweih über dem Kamin anzuspringen, um es herunterzureißen.
Das Hirschgeweih!
Scheißgehörn, hatte er in seinem umnebelten Gehirn gedacht, da hängst du mich nicht mehr rein, du Krücke von einem Bastard! Nach dem Ansprung war er am Rand des glosenden Kaminfeuers gelandet und hatte sich die Finger versengt. Von da ab hatte er randaliert und mit allem, was er zu fassen kriegte, nach dem Hirschgeweih geworfen. Immer daneben.
Darum hatte er sich in den Sessel zurückfallen lassen, um das Gehörn vor der nächsten Attacke noch einmal genau anzupeilen. Als er mehrere Geweihe sah, war er eingeschlafen.
Eingeschlafen war indessen auch das Ferkel Simon Llewellyn, das in eine Kiste gestiegen war – mit einer Kruke Wein in der Hand. Die hatte er noch abgezapft, während in seinem Kopf das Weinfaß und das Gewölbe auf und ab geschwankt waren wie der Atlantik bei Sturm. Umnebelt war er dann in die Kiste gestiegen, die er für die Treppe gehalten hatte. Es war eine leere Kiste, die irgend jemand in der Nähe der Steintreppe irgendwann abgestellt hatte, und seitdem stand sie dort.
Aus dieser Kiste hatte er nicht mehr herausgefunden – das war ein grausames Schicksal. Die Kruke lag längst auf dem Kistenboden, und der Wein war ausgelaufen. Bis zur Brust ging ihm die Kiste, aber darüber tasteten seine suchenden Finger in der Luft herum, links war auch Luft, rechts ebenfalls. Wo feste Wände hätten sein müssen, war Luft.
In seinem schwer beduselten Kopf wähnte Simon Llewellyn, er werde von den Geistern der Finsternis in die Hölle entführt und schwebe durch die Nacht der Verdammnis. Und da hatte er sehr geweint, der Ferkelsohn, war in der Kiste in sich zusammengesackt und vom Schlaf aus seinem Höllenflug erlöst worden. Mit dem dicken Hintern hatte er sich in den ausgeflossenen Rotwein gesetzt, der noch nicht ganz durch die Fugen der Kistenbretter gesickert war.
Da hätte Edwin Carberry, der Profos der Seewölfe-Crew, von einem Rübenschwein mit rotem Affenarsch sprechen können. Es war wirklich schade, daß er das nicht sah – das eine Rübenschwein im Rübenkeller, das andere in der Kiste.
Im Morgengrauen ruckte Sir John aus seinem Holzsessel hoch und hatte ein schiefes Genick, eingeschlafene Füße, ein krummes Kreuz und einen Geschmack im Mund, der eine reine Ferkelei war.
Seine Laune war dementsprechend.
Als er sich aus dem Sessel hochquälte – man war ja nicht mehr der Jüngste –, trat er mit den Stiefeln in die Scherben seiner nachmitternächtlichen Wurfübungen. Es knirschte mächtig, und er zuckte zusammen, weil er dachte, dieses Knirschen deute darauf hin, daß seine Knöchel aus dem Leim gingen. Manchmal, vor allem in den letzten Jahren, war das schon so gewesen, daß er meinte, das Knarren seiner Knochen gehört zu haben.
Und jetzt? Er ächzte und schaute nach unten. Auch das war schon schwierig, weil er das Gefühl hatte, sein Kopf säße verkehrt auf dem Hals. Er spähte also schief geneigt zu den Stiefeln hinunter – wie ein Hahn, der einäugig auf einen fetten Wurm stiert –, aber er entdeckte eben nur seine Stiefel, deren Leder seine Waden, Knöchel und Füße verbargen, natürlich, durch Leder hat man keinen Durchblick.
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