Sie lächelte.
„Eine Bekanntschaft wird zur nächsten führen. Und sobald ich einen Mann gefunden habe, der reich genug ist, werde ich ihn heiraten!“
Sie lehnte sich zurück.
„Es ist doch ganz einfach! Wo sehen Sie da die Schwierigkeiten?“
„Wie heißen Sie... ich meine, was ist Ihr wirklicher Name?“ fragte Sheldon Harcourt.
„Cerissa“, antwortete sie. „Und der einzige weitere Name, den zu tragen ich berechtigt bin, ist der meiner Mutter - Waring - aber wir haben ihn nie benutzt.“
„Wie haben Sie sich dann genannt?“
„Valence! Warum nicht? Ich habe mich meines Vaters nicht geschämt!“
„Warum sollten Sie auch?“
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu.
„Ist das wirklich Ihre Meinung?“
„Selbstverständlich. Es ist nicht Ihre Schuld, daß Ihre Eltern nicht vor der Kirche vereint werden konnten!“
Cerissa seufzte.
„Sie waren in jeder anderen Beziehung vereint. Sie beteten einander an. Es waren zwei Menschen, die von Anfang an füreinander bestimmt waren.“
Sie machte eine Geste mit den Händen.
„Vielleicht sind sie jetzt vereint... wer weiß?“
Sie sah sehr jung aus in diesem Augenblick und ihre Gedanken schienen weit entfernt zu sein.
Als Sheldon Harcourt nichts sagte, sah sie ihn besorgt an und sagte: „Ich habe Ihnen die Wahrheit erzählt. Werden Sie mir helfen?“
„Vielleicht. Ich denke nach.“
„Dann lassen Sie uns zusammen nachdenken.“
Sie warf die Hermelindecke beiseite und fiel neben ihm auf die Knie.
„Bitte helfen Sie mir“, bat sie inständig. „In dem Augenblick, als ich diesen Raum betrat, wußte ich, daß Sie die Art von Engländer waren, den ich finden wollte. Ich wußte, daß ich Ihnen vertrauen konnte.“
„Sie glauben wirklich, daß Sie einem mittellosen Abenteurer vertrauen können?“ fragte er. „Denn ich bin nichts anderes als das. So habe ich mich die letzten fünf Jahre durchs Leben geschlagen.“
Einen Augenblick lang sagte sie nichts, dann fragte sie: „Haben Sie England verlassen müssen?“
„Ja, ich mußte aufs Festland kommen“, erwiderte er.
Er sagte dies in einer bestimmten Weise, die ihr jede weitere Frage verbot.
„Aber jetzt gehen Sie doch zurück ... und ich kann nicht mit Ihnen gehen?“
„Ich wüßte nicht, wie ich Ihnen von Nutzen sein könnte. Außerdem ist es besser für eine junge Witwe ohne männliche Begleitung zu reisen, da dies sonst unnötigen Anlaß für Klatsch und Tratsch gibt.“
„Vielleicht wäre es dann besser, wenn ich nicht verheiratet bin“, überlegte Cerissa. „Eigentlich war es Franchines Idee.“
Sheldon Harcourt sah in ihr kleines Gesicht, das zu ihm aufblickte.
„Hören Sie“, sagte er. „Keiner, der Sie kennenlernt, wird Ihnen glauben, daß Sie bereits verheiratet waren.“
„Warum nicht? Ich dachte, daß ich diesen Teil... sehr gut gespielt habe.“
„Nicht wirklich“, erwiderte er. „Nicht gut genug, um einen Mann mit Erfahrung zu täuschen.“
Mit einem hübschen Schmollmund sagte sie: „Dann werde ich eben ein junges Mädchen sein. Es sollte mir nicht schwerfallen, das zu sein, was ich wirklich bin.“
„Wie alt sind Sie?“
„Etwas über achtzehn.“
„Das ist sehr jung.“
„Und dabei fühle ich mich alt“, seufzte sie. „Es ist schon viel geschehen. Ich war so unglücklich. Ich muß jetzt lernen, für mich selbst zu sorgen.“
Sie klang wie ein Kind, das trotzig behauptete, keine Furcht vor der Dunkelheit zu haben.
„Die große Kunst der Verkleidung“, sagte Sheldon Harcourt, „ist die Gabe, natürlich zu sein. Man selbst zu sein, wenn möglich. Lassen Sie mich nachdenken.“
Er starrte einen Augenblick lang in das Feuer, bevor er fragte: „Ist irgendjemand von der Valence-Familie emigriert?“
„Keiner. Mein Vater war der Meinung, daß nur Feiglinge emigrieren und er war Franzose. Wenn er sterben mußte, dann wollte er auf französischem Boden sterben!“
Wieder entfuhr ihr ein kleiner Seufzer.
„Und das hat er dann ja auch getan.“
„Und die Duchesse?“
„Sie haben ihr mit ihrem geliebten Bischof zusammen den Kopf abgeschlagen. Ich glaube, das war poetische Gerechtigkeit, da sie ihn ja so geliebt hat!“
Sheldon Harcourt legte seinen Finger unter Cerissas Kinn.
„Sie sind ein blutrünstiges kleines Ding!“
„J’ai detesté cette femme - Ich habe sie gehaßt!“ rief Cerissa wütend aus. „Sie hat grausame und schlechte Dinge über Mama gesagt. Sie hat alles versucht, uns das Leben schwer zu machen.“
„Ich nehme an, sie war eifersüchtig.“
„Es war ihre eigene Schuld, daß sie ihren Mann verloren hat. Sie hat keinerlei Anstrengungen gemacht, ihm zu gefallen. Ich habe einmal gehört, wie Papa sagte: ,Mon Dieu! Diese unerträgliche Langeweile meiner Flitterwochen!‘“
„Und trotzdem wollen Sie heiraten?“ „Selbstverständlich möchte ich heiraten! Ich will, daß die Menschen mich anerkennen, mich bewundern; ich will Zutritt haben zu all den großen Häusern, deren Türen immer vor mir verschlossen waren.“
Sie holte tief Luft.
„Können Sie sich vorstellen, wie das war, wenn Papa sich festlich kleidete, um ein Dinner im Palast der Tuileries oder einen Ball in Versailles zu besuchen, aber Mama alleine zurücklassen mußte?“
Sie machte eine Pause, bevor sie fortfuhr: „Er erzählte uns von den Menschen, die er traf, von den Staatsmännern, mit denen er gesprochen hatte, von den Unterhaltungen, die er mit dem König und der Königin geführt hatte.“
Cerissa seufzte.
„Während ich ihm zuhörte, wußte ich, daß ich immer ... außerhalb dieser Türen sein würde, niemals ... drinnen.“
Sie ergriff Sheldon Harcourts Hände.
„Helfen Sie mir. Und wie sehr Sie auch lachen mögen, ich verspreche, ich werde Ihnen auch helfen. Sie sagen, Sie sind ein Abenteurer, nun, ich bin eine Abenteurerin. Warum sollten wir nicht zusammenarbeiten können?“
„Die Reichen ausrauben?“ fragte Sheldon Harcourt herausfordernd.
„Alles was wir wollen, ist ein reicher Mann ... nur einen ... der mir die Ehe anbietet.“
Cerissa sprang auf die Füße.
„Sehen Sie mich an! Sehen Sie mich an und sagen Sie mir, daß es in ganz England keinen einzigen Mann gibt, der dumm genug ist, mir sein Herz zu Füßen zu legen.“
Im Lichtschein des Kaminfeuers sah sie außergewöhnlich schön aus - fast wie ein Komet am Himmel.
„Es sollte nicht schwer sein... einen solchen zu finden“, mußte Sheldon Harcourt zugeben, obwohl es ihm offensichtlich schwerfiel, es auszusprechen.
„Dann finden Sie ihn!“ forderte Cerissa ihn auf. „Finden Sie ihn, und unser beider Glück ist gemacht!“
„So leicht ist es nun wieder nicht.“
„Warum nicht?“
„Weil die Leute Verdacht schöpfen werden, wenn ich ständig in Ihrer Gesellschaft bin, so wie Sie aussehen!“
„Tiens! Das kann ich verstehen! Ich weiß nur zu gut, was man über Mama geredet hat, aber ...“
Sie dachte einen Augenblick nach, dann leuchteten ihre Augen auf.
„Warum können Sie nicht mein Beschützer sein? Nehmen wir an, Papa hat, als er die Stufen zur Guillotine hinaufging, gesagt: ,Dies ist mein Kind, das ich geliebt habe. Beschütze es und sorge für sie. Bring sie nach England, damit ihr Leben außer Gefahr ist‘!“
Dramatisch hatte Cerissa gesprochen und fragte jetzt: „Wenn mein Vater diese Worte zu Ihnen gesprochen hätte, was hätten Sie ihm geantwortet?“
„Wenn ich so dumm gewesen wäre, mich in der Nähe der Guillotine aufzuhalten“, erwiderte Sheldon Harcourt, „dann hätte ich einem Mann kurz vor seinem Tod eine solche Bitte wohl nicht abschlagen können.“
„Sehen Sie!“ rief Cerissa triumphierend aus. „Das ist unsere Geschichte. Sie sind mein Vormund ...“
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