„Ich hoffe es.“
„Ich möchte Sie wiedersehen. Können Sie nicht verstehen, wie sehr ich Sie wiedersehen möchte?“
Sie sah zu ihm auf und ihre Gesichter näherten sich. Ohne ein Wort zu sprechen, streckte er seine Arme aus und zog sie an sich.
Sie leistete keinen Widerstand. Ihr Kopf fiel auf die Schultern zurück und sein Mund berührte ihre Lippen.
Ihre Lippen waren sehr weich und er fühlte, wie ein Schauer durch ihren Körper lief.
Sein Kuß wurde intensiver, fordernd, seine Arme hielten sie fest umschlungen, bis es ihr fast unmöglich war zu atmen. Sie machte eine Bewegung mit den Händen, als wolle sie sich gegen ihn wehren, da ließ er sie plötzlich los. Er hob den Kopf.
„Und jetzt, denke ich, werden Sie mir die Wahrheit erzählen!“'
„Die ... Wahrheit?“
Mit großen dunklen Augen starrte sie ihn an.
„Die Wahrheit“, wiederholte er.
„Was, was ... wovon reden Sie?“
„Sie sind nicht die Comtesse de la Tour!“
„W ... woher w ... wissen Sie das?“
„Ich habe die Comtesse kennengelernt und sie ist eine ganz reizlose uninteressante Frau.“
„Das ist Pech!“
„Großes Pech! Und noch etwas möchte ich gerne von Ihnen wissen.“
„Was ist es?“
„Warum tragen Sie einen Ehering? Ich bin sicher, daß Sie gar nicht verheiratet sind. Und ganz sicher sind Sie noch nie vorher geküßt worden.“
Mit einer schnellen Bewegung befreite sich die junge Frau aus seinen Armen.
„Tiens!“ rief sie aus. „Was habe ich denn falsch gemacht?“
„Überhaupt nichts“, erklärte Sheldon Harcourt. „Sie sind nur ein wenig unerfahren.“
„Kann jeder das feststellen?“
„Wahrscheinlich nicht.“
Sie stampfte mit dem Fuß auf.
„Warum haben Sie es denn bemerkt? Das ist ein unglückseliger Zufall, daß es gerade Sie waren, den ich heute traf. Es hätte doch jeder beliebige Mann sein können.“
Nach einem kurzen Augenblick fügte sie hinzu: „Und haben Sie die Comtesse de la Tour auch noch gekannt... bevor sie auf der Guillotine starb.“
Sheldon Harcourt mußte ob des Ärgers in ihrer Stimme lächeln.
„Wie wäre es, wenn Sie sich jetzt hinsetzten und mir alles erzählen würden?“
Er hatte den Eindruck, als zögerte sie. Dann, als hätte sie sich entschieden, ihm zu vertrauen, setzte sie sich und legte die Hermelindecke über ihre Knie.
„Was ... möchten Sie ... wissen?“ fragte sie zaghaft.
„Die Wahrheit! Sie haben mich neugierig gemacht!“
„Wenn ich Ihnen die Wahrheit erzähle, Monsieur, werden Sie mir dann helfen?“
„Das hängt davon ab, was Sie von mir erwarten.“
„Sie sind Engländer, ein Edelmann und reich - nicht wahr?“
Sheldon Harcourt lachte, goß sich noch einen Brandy ein und setzte sich in den Stuhl ihr gegenüber.
„Dies scheint ein Frage- und Antwortspiel zu sein“, sagte er. „Sie haben lediglich in einem Punkt Recht. Ich bin Engländer, aber ich bin kein Edelmann. Mein ,Titel‘ existiert nur in der Einbildung von Monsieur Dessin, und ich besitze kaum einen Sou.“
„Helas! Ist das wahr?“
„Das ist absolut wahr“, antwortete er. „Ich kehre als ,Emigrant‘ nach England zurück, ebenso wie Sie, meine Liebe. Und Sie können sich nicht darauf verlassen, daß ich Ihnen in Ihrer heiklen Lage von großer Hilfe sein kann.“
„Meine Lage ist noch viel schlimmer, als Sie annehmen.“
„Erzählen Sie mir“, sagte er. „Ich war offen und ehrlich zu Ihnen und ich erwarte, daß Sie es mir gegenüber auch sind.“
„Es ist wahr, ich bin nicht verheiratet“, begann die Frau zu erzählen. „Aber ich nahm an, daß ich besser als Witwe erscheine, wenn ich in London nur mit Franchine und Bobo ankomme. Eine Witwe braucht keine Anstandsdame.“
„Kannten Sie die de la Tours?“
„Mama und ich lebten im selben Ort, aber sie verkehrten nicht mit uns. Wir waren unter ihrer Würde.“
„Warum?“
Es schien, als zögerte sie und wählte die Worte sehr sorgsam. Dann jedoch schien sie sich entschlossen zu haben, nichts mehr zu verbergen.
„Mein Vater war der Duc de Valence. Er liebte meine Mutter und meine Mutter liebte ihn. Lange bevor sie sich begegneten, war mein Vater mit einer langweiligen einfallslosen Frau verheiratet worden, die die Kirche und die Gesellschaft des Priesters der meines Vaters vorzog.“
„So sind Sie also ein Kind der Liebe.“
Während er sie betrachtete, dachte er, daß ihre außergewöhnliche Schönheit und die Ebenmäßigkeit ihrer Züge ein Zeugnis für ihre noble Herkunft waren.
„Der Duc starb in Paris im letzten ... August.“
Der Schmerz in ihrer Stimme war diesmal echt.
„Ich erinnere mich, er war einer der 1200 Aristokraten und Bischöfe, die in dem Massaker ihr Leben verloren“, sagte Sheldon Harcourt.
„Mama konnte ohne ihn nicht leben“, fuhr die junge Frau fort. „Sie verblühte einfach und - starb.“
Ein kleiner Seufzer entfuhr ihr.
„Sie wurde zwei Wochen vor Weihnachten... begraben.“
„Und Sie sind jetzt also allein.“
Sie mußte kämpfen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Dann beantwortete sie seine Frage: „Ganz allein, bis auf Franchine und Bobo.“
Jetzt konnte er verstehen, warum niemand in London ihr helfen konnte, warum keine offene Tür für die Tochter eines französischen Duc da sein würde.
„Was haben Sie vor zu tun?“
„Ich habe vor zu heiraten!“
„Zu heiraten?“
„Selbstverständlich! Ich möchte angesehen sein.“
Ihre Stimme hatte jetzt einen harten Klang und es fiel Sheldon Harcourt schwer, das Lächeln zu unterdrücken.
„Wahrscheinlich wäre es leichter für Sie, einen Beschützer zu finden.“
Sie richtete sich auf und ihre Augen blitzten ihn an. „Glauben Sie, daß ich das will? Können Sie sich nicht vorstellen, daß ich genug darunter gelitten habe, verspottet und verachtet zu werden, nur weil mein Vater meiner Mutter keinen Ring an den Finger stecken konnte?“
Sie holte tief Luft.
„Ich will reich sein. Ich möchte eine Stellung im Leben einnehmen. Ich will angesehen sein und niemand ... niemand kann mich aufhalten!“
Fast spie sie ihm die Worte entgegen. Nach einem Augenblick der Überraschung lehnte er sich zurück und brach in Lachen aus.
„Sie sind großartig! Wenn irgendjemand sein Ziel erreichen wird, dann sind Sie es!“
„Und Sie werden mir helfen?“
„Wie kann ich das denn?“
„Sie können mir sagen, wo ich mich hinwenden muß. Sie können mich den richtigen Leuten vorstellen. Sie haben kein Geld, sagen Sie, aber Einfluß und das Kennen der richtigen Leute sind wichtiger als Wohlstand.“
Sie machte eine Pause.
„Wir treffen ein Abkommen - oui? Sie helfen mir, und ich werde Ihnen helfen. Ich heirate einen reichen Mann ... und wir teilen sein Geld!“
Wieder mußte Sheldon Harcourt lachen.
„Sie sind unverbesserlich. Noch nie ist mir ein solch fantastischer Vorschlag gemacht worden.“
„Warum ist das so fantastisch?“
„Glauben Sie wirklich, ich würde Ihr Geld annehmen?“
Sie sah ihn einen Moment forschend an.
„Warum nicht?“ fragte sie dann. „Sie sagen, Sie sind kein Edelmann, aber Sie sind ein Gentleman. Mein Vater hätte Sie akzeptiert. Und Sie können nicht vorgeben, daß Sie keinen Zutritt zur Gesellschaft und zu vielen angesehenen englischen Häusern haben.“
Sheldon Harcourt antwortete nicht.
Seine Augen beobachteten sie und sie hatte den Eindruck, als würde er ihre Worte überdenken.
„Wir werden zusammen in London ankommen“, fuhr sie mit ihrer weichen Stimme fort. „Sie erzählen Ihren Freunden, daß Sie sich meiner angenommen hätten, da mein Mann, der auf der Guillotine starb, Ihr Freund war.“
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