„Mel, ich steh hundertprozentig hinter dir, wenn der Boss nicht mehr ist.“
Kowalski schüttelte gleichmütig den Kopf. „Hab keine Verwendung für dich. Tut mir leid.“ Dann schoss er. Er kannte den Burschen zu gut. Auf ihn hätte er sich niemals verlassen können.
Hastig betrat der Killer das Gebäude. Kühle umfing ihn. Und Stille. Irgendwo tickte eine Uhr. Das dumpfe Gemurmel von Stimmen war zu hören. Trügerischer Friede herrschte im Haus. Kowalski eilte durch die große Halle, auf die Tür zu, hinter der sich Sergio Patanas Arbeitszimmer befand. Dort redete der Boss mit Umberto Tazzi.
Als er die Tür fast erreicht hatte, näherten sich ihr Schritte. Gleich darauf wurde sie geöffnet, aber da stand Kowalski bereits hinter einer dicken Marmorsäule. Das Mädchen auf dem gegenüberliegenden Gobelinbild schien ihm interessiert zuzusehen. Tazzi schloss die Tür hinter sich.
Jetzt war Sergio Patana allein in seinem Arbeitszimmer.
Kowalski konnte den Moment kaum noch erwarten, wo er dem Boss von „Black Friday“ gegenüberstehen würde.
Tazzi durchmaß die Halle mit großen Schritten.
Kowalski ließ den Mafioso an sich vorbei und machte dann: „Pst! He, Umberto!“
Tazzi wandte sich schnell um und erstarrte. Sein Blick war nicht auf Kowalskis Gesicht, sondern auf dessen Pistolenhand gerichtet.
„Mel, mach keinen Quatsch!“, presste Tazzi mühsam hervor. Er hob die Hände, um dem Killer zu zeigen, dass er nicht die Absicht hatte, ihn anzugreifen. „Mensch, Mel, dreh nicht durch. Es kommt alles wieder ins rechte Lot.“
„O ja, das kommt es“, zischte Kowalski gefährlich. „Aber das wirst du nicht mehr erleben!“
Diese Worte waren für Tazzi Grund genug, es wenigstens zu versuchen. Seine Rechte schob sich ins Jackett und blieb da, denn Kowalski zog augenblicklich den Stecher durch.
Nun gab es keine weitere Hürde mehr, die Mel Kowalski überwinden musste. Der Weg zu Sergio Patana war frei.
Der Killer stürmte mit grimmiger Miene in Patanas Arbeitszimmer. Der Boss von „Black Friday“ saß an seinem antiken Schreibtisch und legte fassungslos den Kugelschreiber weg.
„Von dem Moment an, wo Sevardo und Celentano mich in dem Steinbruch außerhalb von Baltimore erledigen wollten, bis zu diesem Augenblick habe ich nur noch dafür gelebt, Sergio“, zischte Mel Kowalski mit hassverzerrtem Gesicht, und Patana wusste, dass sich nur noch wenige Körnchen in seiner Sanduhr befanden, dann war sein Leben zu Ende.
Roberto Tardelli entdeckte einen Toten vor der Hintertür und den zweiten in der Halle. Mit entsicherter 38er lief er auf die offenstehende Tür des Arbeitszimmers zu. Dort redete Kowalski. Die geräuscharmen Kreppsohlen an Robertos Schuhen verhinderten, dass der Killer ihn vorzeitig kommen hörte. Gleich würde es zur dritten und letzten Begegnung mit Mel Kowalski kommen. Die Ereignisse von Miami Beach, Chicago und Baltimore schwirrten durch Roberto Tardellis Kopf. Es waren viele bedauerliche Dinge passiert, doch nun wollte der Mafiajäger hinter all diese Geschehnisse einen dicken Schlusspunkt setzen.
Roberto glitt in Patanas Arbeitszimmer.
Der Boss von „Black Friday“ saß leichenblass an seinem Schreibtisch.
Mel Kowalski stand davor. Er hielt eine Beretta mit Schalldämpfer in seiner Rechten.
Ein Mann ohne Gewissen hätte zuerst den Killer tun lassen, weswegen er in dieses Haus gekommen war und hätte erst anschließend eingegriffen. Doch Roberto widerstrebte es, Patanas Leben zu opfern, obgleich dieser Mann für den Tod vieler Menschen verantwortlich war.
Roberto war kein Richter.
Patana würde seine Strafe bekommen – aber von einem ordentlichen, vom amerikanischen Volk autorisierten Gericht!
Ein kurzes Zucken in Patanas Augen, ein kleiner Hoffnungsschimmer verrieten dem wachsamen Killer die Anwesenheit des Mafiajägers. In keiner anderen Situation wäre Roberto Tardelli dem Boss von „Black Friday“ so willkommen gewesen wie jetzt.
Patana wagte aufzuatmen, denn er glaubte, sein Leben nunmehr behalten zu dürfen. Alles andere war nicht so schlimm. Das konnte eventuell noch geregelt werden. Ein Schuss aus der Beretta hingegen war eine unwiderrufliche Angelegenheit.
Kowalski verschraubte den Körper.
Er drehte sich halb zu Roberto Tardelli um. „Du schon wieder? Verdammt, wie hast du das so schnell geschafft?“
„Schon mal was von einem fliegenden Teppich gehört? Ich besitze einen“, erwiderte Roberto, während er den gefährlichen Killer keine Sekunde aus den Augen ließ. „Lass die Waffe fallen, Kowalski!“
Der Vertragskiller von „Black Friday“ grinste. „Eine ähnliche Situation hatten wir schon mal.“
„Zum Unterschied dazu wirst du es diesmal nicht mehr schaffen, Kowalski. Diesmal kommen dir ganz bestimmt keine Cops zu Hilfe.“
Kowalski lachte. „Das war ein Gag, was?“
„Die Kanone, Mel!“, sagte Roberto ernst.
„Noch nicht. Erst lege ich dieses Schwein um.“
„Das wirst du nicht tun!“, knurrte Roberto.
„Er wollte mich killen lassen!“, schrie Kowalski wütend.
„Du willst dich an ihm rächen?“
„Ist das nicht ein verständlicher Wunsch?“
„Okay, du sollst deine Rache haben, Mel“, sagte Roberto eindringlich. „Sag gegen ihn vor Gericht aus. Du weißt verdammt viel über ihn und seine verdammte Organisation. Mit deinem Wissen kannst du Patana fix und fertig machen!“
Kowalski überlegte. Er schien alle Für und Wider von Roberto Tardellis Vorschlag gewissenhaft abzuwägen.
In Wirklichkeit dachte der Killer jedoch keine Sekunde daran, Robertos Angebot zu akzeptieren. Hier bot sich ihm die einmalige Möglichkeit, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
Er konnte Patana und Tardelli erledigen.
Dann hatte er seine Rache – und frei war er außerdem.
Im anderen Fall wäre er nämlich genauso ins Zuchthaus gewandert wie der Boss von „Black Friday“. Da sich dies mit zwei schnellen Kugeln bestens regeln ließ, dachte Kowalski nicht im Traum daran, sich zu ergeben.
Aber er tat so, als gefiele ihm Robertos Vorschlag. „Wie viel kriegt er, wenn ich auspacke?“, wollte der Killer wissen. Gespannt wartete er auf seine Chance. Sie würde kommen, davon war er überzeugt, und dann würde er sich seine Rache und die Freiheit holen.
„Lebenslänglich“, sagte Roberto Tardelli.
„Und wie viel wird man mir aufbrummen?“
„Das kommt darauf an, was du alles über die Mafia zu erzählen weißt.“
Kowalski griente. „Oh, eine ganze Menge.“
„Dann wird man eventuell mit einem Handel einverstanden sein. Du bist zwar nicht gerade ein kleines Licht, aber wenn du‘s schaffst, ein paar großen Bossen ein Bein zu steilen, wird man verschiedene Punkte aus der Anklageschrift eliminieren.“
„Eine Hand wäscht die andere, eh?“
„So ist es“, bestätigte Roberto. „Darf ich dich daran erinnern, dass du dich von deiner Kanone immer noch nicht getrennt hast?“
Kowalski nickte.
Roberto war auf der Hut. Diesem gefährlichen Killer hätte er nicht einmal dann getraut, wenn er vor ihm im Sarg gelegen hätte. Mel Kowalski hatte noch nicht aufgegeben. Das bekundete die Beretta in seiner Hand, die er nicht hergeben wollte.
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