Sibel Schick kam 1985 in Antalya, Türkei, auf die Welt und wohnt seit 2009 in Deutschland. Sie arbeitet seit 2016 als freie Autorin, Journalistin und Social-Media-Redakteurin.
Sibel Schick
Hallo, hört mich jemand?
Rassismuskritische und feministische Kolumnen und Kommentare
© 2020 by edition assemblage
Postfach 27 46
D-48014 Münster
info@edition-assemblage.de| www.edition-assemblage.de
Lektorat: Asal Dardan
Umschlag: Tabea Ćubelić
Digitalsatz: Zeilenwert GmbH | zeilenwert.de
Digitalvertrieb: Libreka GmbH | info.libreka.de
ISBN ePub: 978-3-96042-821-3
Eigentumsvorbehalt:
Dieses Buch bleibt Eigentum des Verlages, bis es der gefangenen Person direkt ausgehändigt wurde. Zur-Habe-Nahme ist keine Aushändigung im Sinne dieses Vorbehalts. Bei Nichtaushändigung ist es unter Mitteilung des Grundes zurückzusenden.
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.deabrufbar.
Cover
Impressum Sibel Schick kam 1985 in Antalya, Türkei, auf die Welt und wohnt seit 2009 in Deutschland. Sie arbeitet seit 2016 als freie Autorin, Journalistin und Social-Media-Redakteurin. Sibel Schick Hallo, hört mich jemand? Rassismuskritische und feministische Kolumnen und Kommentare © 2020 by edition assemblage Postfach 27 46 D-48014 Münster info@edition-assemblage.de | www.edition-assemblage.de Lektorat: Asal Dardan Umschlag: Tabea Ćubelić Digitalsatz: Zeilenwert GmbH | zeilenwert.de Digitalvertrieb: Libreka GmbH | info.libreka.de ISBN ePub: 978-3-96042-821-3 Eigentumsvorbehalt: Dieses Buch bleibt Eigentum des Verlages, bis es der gefangenen Person direkt ausgehändigt wurde. Zur-Habe-Nahme ist keine Aushändigung im Sinne dieses Vorbehalts. Bei Nichtaushändigung ist es unter Mitteilung des Grundes zurückzusenden. Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Vorwort
Hallo, wer gehört dazu?
Rassismus in Deutschland
Das Wahlrecht darf kein Privileg sein
Deutschland brennt
Das Problem heißt Rassismus
Positioniert euch
Meine Oma im Inklusionsparadies
Dabeisein ist nicht alles
Augen auf
Rennende Muslime? Gefährlich!
Verschlossen, verschluckt
Diskriminierung geschieht oft unabsichtlich
Hallo, wem gehört die Nacht?
Sexismus, sexistische und sexualisierte Gewalt
Lass uns joggen gehen!
Flirtfreiheit des Mannes
Hallo, hört mich jemand?
Die Namen sind nicht das Problem
Frauenmorde sind politisch – auch in Deutschland
Männer pauschalisieren
Geschminkter Hass
Männer sind Arschlöcher
Männer: Mischt euch ein!
Die Angst im System
„Mädels, lasst euch nicht vergewaltigen“
Das kleine Monster, das mich auffrisst
Hallo, wem gehört dieser Raum?
Virtuelle und mediale Gewalt in Deutschland
Keine Überwachung, sondern Schutz und Prävention
Meinungsfreiheit: Angst besorgter Bürger
Die Cyber-Männergrippe
Hass unter fast jedem Tweet
Hallo, komme ich hier rein?
Klassismus
Luxus Klimaschutz?
Vor der Bank mit Barcode um den Hals
Der Volksfeind Nr. 1: Latte Macchiato
Hallo, wen interessiert‘s?
Ein offenes, peinliches Buch
Die Narbe
Keine Modeerscheinung
Für immer verpeilt
Heimweh, das Arschloch
Eine Antwort auf Cigdem Toprak
Scham, Schmerz, Wände, Wurzeln
Endnoten
Weitere Bücher
Die Mehrheit interessiert sich nicht für das, was Minderheiten zu erzählen haben, es ist lästig, es ist unbequem, es betrifft sie nicht. Deshalb müssen die Minderheiten in Deutschland so laut schreien, wie sie nur können, um überhaupt Gehör zu finden. Das Problem: sobald sie schreien, werden sie als aggressiv abgestempelt. Das diskreditiert sie natürlich und nullt den Inhalt ihres Schreis. Es geht dann nur noch um den Ton und nicht mehr darum, was gesagt wird. Deutsche nennen das „der Ton macht die Musik.“ Aber hätte die Mehrheitsgesellschaft von Anfang an zugehört, hätte niemand schreien müssen. Was wiederum als Ausrede genutzt wird, Menschen und ihre Positionen zu delegitimieren. Hauptsache, man kann immer weiter weghören.
Hass ist in Deutschland allgegenwärtig, aber nur Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft dürfen hassen. Jene, die gehasst werden, weil sie beispielsweise von Rassismus betroffen oder transgeschlechtlich sind, müssen um das Überleben kämpfen, sich zu Expert*innen ausbilden, um ihre eigene Marginalisierung zu bekämpfen. Damit sie ihre Probleme sichtbar machen können, kämpfen sie um einen Platz in der deutschen Öffentlichkeit. Währenddessen werden Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft für ihre durchschnittlichen Werke und halbgaren Thesen mit Geld und Ruhm beworfen. Das liegt nicht daran, dass Journalist*innen und Autor*innen der Mehrheitsgesellschaft inkompetent seien. Für sie ist mehr Platz und gleichzeitig wird von ihnen schlicht weniger erwartet. Sie werden schneller beachtet und bekommen mehr Anerkennung für weniger Arbeit. Daher müssen sie sich nicht so anstrengen wie eine Person, die einer Minderheit angehört.
Ich habe nicht immer geschrien. Meine Politisierung begann circa 2006, als ich ein PETA-Video von einer Pelzfarm sah. Ich wurde zuerst Vegetarierin, ein paar Jahre später eine überzeugte Veganerin. Eine, die sich allen anderen moralisch überlegen fühlt. Ich war unerträglich. Wenn jemand in meiner Umgebung etwas Tierisches aß, gab ich mir große Mühe, alles in meiner Macht zu tun, dass diese Person es nicht genießen würde. Ich war frustriert, dass ich nicht alles essen konnte, was ich essen wollte. Ich träumte vom Hühnerfleisch, aber ich konnte es nicht essen, weil ich sofort an meine Katze Wilma denken musste, die wirklich genauso aussah wie ein Huhn. Ich stellte mir vor, wie meine süße, unschuldige, flauschige Wilma an den Beinen aufgehängt wird und hilflos versucht, sich zu befreien, um gleich getötet, zerstückelt und verpackt zu werden. Wie kann man da denn noch Fleisch essen? Das hätte ich der Wilma niemals im Leben antun können. Deshalb hatte ich nur eine Option: es allen anderen genauso schwer machen, wie ich es selber hatte. Einerseits. Andererseits hatte ich gesehen und erfahren, was der Konsum von Fleisch oder anderen tierischen Produkten für die Tiere und die Umwelt bedeutet. Diese Erfahrung kann man nicht rückgängig machen, dachte ich. Ich lag richtig. Aber das schlechte Gewissen tief zu vergraben, ist Menschen immer möglich. Heute esse ich Fleisch.
Mein politisches Bewusstsein nahm also tatsächlich mit einem PETA-Video seinen Anfang, aber es war Deutschland, das mich radikalisierte. Mein Wissen und mein Verständnis in dem Bereich der Tierrechte konnte ich zuerst auf den Feminismus und später auf die Rassismuskritik anwenden. Das mag relativierend klingen. Bestimmte Machtverhältnisse zu verstehen hilft aber dabei, andere einzuordnen, auch wenn die Unterdrückungsmechanismen nicht gleich sind.
Bis 2014 wusste ich genau, was ich vom Leben wollte: ein kleines Café am Strand in Dalmatien. Ich kellnerte damals in Köln und irgendwann wollte ich meinen eigenen Laden eröffnen mit hausgemachten Leckereien und gutem Wein. Ich stellte mir vor, in einem kleinen alten Haus zu wohnen und im Erdgeschoss meinen Laden zu haben. Ich sah mich im Treppenhaus früh morgens, ich lief runter in meinen Laden, um zu backen. Es sollte ein Leben ohne große Sorge und Unsicherheit sein. Ich stellte mir vor, abends früh zu schließen und nach Feierabend meine Füße in den warmen Sand zu stecken. Ich hörte die Möwen, die über meinem Kopf herumflogen und schrien. Ich roch den salzigen Geruch des Meeres und fühlte die warme Brise in meinem Haar. Unter einem blauen Himmel, in der Hitze, die man selbst auf den Augenliedern spürt. Diese Bilder habe ich aus der Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin. Ich projizierte sie auf diesen Ort namens Dalmatien, den ich kaum kannte. Dalmatien sollte Antalya ersetzen. Irgendwie musste ich ja dem Heimweh, das ich in Deutschland empfand, entgegenwirken. Das war also mein Plan. Und dann fand mich der Feminismus.
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