–Einschränkungen des Prozessstoffes etwa durch die Abschlussverfügung und Anklage der Staatsanwaltschaft berücksichtigen.
–Kritisch die Ermittlungen nach eigenen Fehlern durchleuchten, um sich so auf entsprechende Fragestellungen vorbereiten zu können.
–Ggf. schriftliche Unterlagen (auch eigene Notizen, die später in einen Einsatzbericht eingeflossen sind) sichten und bereitlegen.
–Mit der ungewohnten Rolle als Zeuge (nicht Vernehmer) identifizieren.
–Sich klarmachen, dass Ziel einer Hauptverhandlung nicht die Verurteilung des angeblichen Täters, sondern ein rechtsstaatliches Verfahren ist, bei dem ein Freispruch keine Niederlage darstellt.
–Sich gedanklich auf einen geschlossenen Bericht, der zu Beginn der Vernehmung erfolgt, vorbereiten.
–Auf das persönliche Outfit achten.
4.5.5.2Verhalten im Gerichtsgebäude
435 Bezüglich des Verhaltens im Gerichtsgebäudegilt:
–Unmittelbar vor dem Gerichtssaal und in den Verhandlungspausen Kontaktaufnahmen zu anderen Verfahrensbeteiligten (auch mit dem Staatsanwalt über die Sache) vermeiden.
–Keine Äußerungen zum Verfahrensgegenstand und zum gewünschten Ergebnis.
–Wahrgenommene Kontaktaufnahmen (Absprachen?) anderer Zeugen dem Gericht mitteilen.
436 Während der eigentlichen Vernehmungist zu beachten:
–Bei der Wahrheit bleiben (auch bezüglich der Vorbereitung).
–Sich selbst nicht überfordern, da niemand jedes Detail erinnern kann.
–Sich nicht überschwänglich in Sicherheit wiegen.
–Ruhig, sachlich und neutral bleiben.
–Contenance und Höflichkeit bewahren.
–Keine Konfrontationsstellung einnehmen.
–Streitgespräche vermeiden, sich aber auch nicht unterbrechen lassen.
–Stress und intellektuelle Leistungsfähigkeit stehen in einem engen Verhältnis zueinander. Daher muss der Beamte versuchen, Stresssituationen in der Hauptverhandlung zu vermeiden bzw. diese ggf. abbauen (Atem- und Ablenkungstechniken).
–Klar ansprechen, was konkretes Erinnerungsbild und daher exakt wiedergebbar ist.
–Gedächtnislücken offenlegen (und nicht etwa zu verschließen suchen).
–Ggf. Weichmacher einbauen („soweit ich mich erinnern kann“).
–Tatsachenfeststellungen und Schlussfolgerungen sprachlich exakt trennen.
–Keine rechtlichen Wertungen vornehmen.
–Werturteile vermeiden und – sofern dies nicht möglich ist – sie tatsachengestützt begründen.
–Die Grenzen der Aussagegenehmigung im Hinterkopf haben.
–Suggestivsituationen erkennen und vermeiden.
–Fragen (des Staatsanwalts und des Verteidigers) in Blickrichtung auf das Gericht beantworten.
–Vorsicht bei rollenfremden Fragen.
–Keine Gegenfragen stellen.
–Bei der Häufung von Fragen und/oder einer nicht verstandenen Fragestellung den Vorsitzenden um Erläuterung bitten.
–Keine provokativen Fragen beantworten, sondern Schweigen (oder den Vorsitzenden um Hilfe bitten).
–Keine Fragen wie „aus der Pistole geschossen“ beantworten.
–Sich nicht überraschen lassen.
–Tatsächliche Fehler einräumen.
–Ggf. das Gericht bitten, mitgeführte Unterlagen verwenden zu dürfen.
–Ggf. das Gericht um kurze Pausen (Unterbrechungen) bitten.
–Ggf. das Gericht bei unzulässigen Fragen um Entscheidung ersuchen.
437 Nach seiner Vernehmung sollte der Beamte nicht fluchtartig den Gerichtssaal verlassen und bei unerwünschtem Ausgang auf „die Justiz“ schimpfen. Zu einer sinnvollen und lehrreichen Nachbereitunggehören
–Anwesenheit beim Plädoyer des Staatsanwalts und bei der Urteilsverkündung, da hier die Leistung des Zeugen gewürdigt wird.
–Selbstkritische Reflektion des eigenen Verhaltens im Ermittlungsverfahren und vor Gericht im Hinblick auf das Ergebnis.
–Weitergabe der Erfahrungen und Informationen an Kollegen.
–Ggf. Gespräche mit der Staatsanwaltschaft und dem Gericht.
4.6Der Polizeibeamte als Sachverständiger 35
438 Die Tätigkeiten und Wirkungsfelder von Sachverständigen unterschiedlicher Fachrichtungen haben in den vergangenen Jahrzehnten im Rahmen des Strafverfahrens ständig an Bedeutung gewonnen, was auch auf neue Erkenntnisquellen der zugrundliegenden Wissenschaften zurückzuführen ist. Die Bereiche der Einschaltung von Sachverständigen, die von Staatsanwaltschaft und Gericht im Falle mangelnder eigener Sachkunde beauftragt werden, sind mannigfaltig – der Einsatz reicht von Fragen der Altersbestimmung bei Beschuldigten über DNA-Gutachten und Schuldfähigkeitsbegutachtungen bis hin zu Verkehrsunfallrekonstruktionen. Insbesondere weil eine Vielzahl kriminaltechnischer Untersuchungen durch Polizeibehörden durchgeführt wird, sind Polizeibeamte immer wieder als Sachverständige im Strafverfahren tätig und zunehmend auch Angriffen der Verteidigung ausgesetzt. So beschäftigen sich Verteidiger vor allem in Verfahren der Schwerkriminalität durchaus selbst eingehend mit der zugrunde liegenden Materie, lassen sich fachkundig beraten, holen Gegengutachten ein und stellen – teilweise auch unzulässige – Fragen, mit denen sich der Polizeibeamte auseinandersetzen muss.
439 Unter einem Sachverständigen wird grundsätzlich eine Person verstanden, die auf einem bestimmten Fachgebietmit einer besonderen Sachkundeausgestattet ist. EuroExpert, die European Organisation for Expert Associations, definiert den Begriff des Sachverständigen wie folgt: „Der Sachverständige ist eine unabhängige integre Person, die auf einem oder mehreren bestimmten Gebieten über besondere Sachkunde sowie Erfahrung verfügt. Der Sachverständige trifft aufgrund eines Auftrages allgemeingültige Aussagen über einen ihm vorgelegten oder von ihm festgehaltenen Sachverhalt. Er besitzt ebenfalls die Fähigkeit, die Beurteilung dieses Sachverhaltes in Wort und Schrift nachvollziehbar darzustellen.“
|
Praxistipp: |
440 |
Das bedeutet jedoch nicht, dass der Sachverständige über wissenschaftliche Kenntnisse verfügen muss – Sachverständiger kann letztlich jeder sein, der auf seinem Fachgebiet über Expertenwissen verfügt, also auch ein Angestellter, Handwerksmeister oder eben ein „ganz gewöhnlicher Polizeibeamter“. |
441 Im Rahmen des Strafprozesses wird – unabhängig von der Sachkunde – jedoch nur als Sachverständiger tätig, wer aufgrund eines behördlichen Auftrageshandelt, also von Gericht, Staatsanwaltschaft oder Polizei entsprechend herangezogen wird. Von der Verteidigung beauftragte Gutachter sind zunächst lediglich als sachverständige Zeugen zu bewerten.
442 Die Funktion des Polizeibeamten als Sachverständiger ist grundsätzlich von der des Zeugen zu unterscheiden. Da die Pflichten und Rechte eines Zeugenvon denen eines Sachverständigenerheblich abweichen, ist eine klare Zuordnung erforderlich, in welcher prozessualen Funktion eine Aussage erfolgt, wobei insbesondere Polizeibeamte, die als Zeuge geladen worden sind, sich aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse häufig unerwartet in einer Doppelrollewiederfinden. Insoweit ist eine Begriffsklärung notwendig: Während der Zeuge über Wahrnehmungen aussagt, die er entweder mit besonderer Sachkunde ohne behördlichen Auftrag als sachverständiger Zeuge (vgl. § 85 StPO) oder ohne besondere Sachkunde mit oder ohne behördlichen Auftrag gemacht hat, ist Sachverständiger derjenige, der über Wahrnehmungen aussagt, die er im Auftrag des Gerichts, der Staatsanwaltschaft oder der Polizei aufgrund seiner Sachkunde gemacht hat. 36
Читать дальше