418 Fragen zum Leumund(Vorstrafen, Disziplinarverfahren …) werden von den Gerichten regelmäßig zugelassen, obwohl sie nur in den Grenzen des § 68a Abs. 2 StPO zulässig sind: Es gibt keinen guten oder schlechten Leumund; dies gilt selbst dann, wenn der Zeuge einschlägige Vorstrafen (falsche Verdächtigung, Aussagedelikte …) aufweist.
419 Fragen, die den darüber hinausgehenden persönlichen Lebensbereichdes Zeugen (Familienstand, Religion, Vereinszugehörigkeit …) betreffen, oder sich gar in dessen Intimbereicherstrecken (sexuelle Vorlieben …), sind nur zulässig, wenn deren Beantwortung zur Erforschung der Wahrheit unerlässlich ist. Beliebt sind auch – insbesondere bei weiblichen Zeugen – ausdrückliche oder stillschweigende Vorwürfe sexueller Großzügigkeit bei Vorgesetzten zur Förderung der Karrierechancen („Sie sind noch so jung und schon Kriminalhauptkommissarin! Haben Sie einen Mentor in Ihrer Behörde?”).
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Praxistipp: |
420 |
Einschlägig ist § 68a StPO. Die Norm lässt Fragen, die den persönlichen Lebensbereich betreffen, nur zu, wenn diese Befragung unerlässlich ist, was bedeutet, dass sonst die Wahrheit nicht aufgeklärt werden könnte. |
421 Gleiches gilt letztlich für provokativeund beleidigendeFragen; hier ist allerdings insbesondere darauf zu achten, ob überhaupt eine Frage oder nur eine Behauptung vorliegt.
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Praxistipp: |
422 |
Im Zweifelsfall mit Schweigen reagieren und – mit Blick auf den Vorsitzenden – dessen Reaktionen abwarten. |
4.5.4.2.3Rollenfremde Fragen
423 Rollenfremde Fragen zeichnen sich dadurch aus, dass der Zeuge nicht nur aus der Rolledes Zeugen in die des Angeklagtengedrängt, sondern
–zu einem Sachverständigengemacht werden soll, oder
–er als Zeuge zu seinem Wissen (z. B. zu irgendwelchen Normen des Strafrechts) abgefragt und daher in die Rolle eines Prüflingsversetzt wird.
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Praxistipp: |
424 |
Derartige Fragen muss und sollte der Beamte nicht beantworten und insoweit auf seine Rolle als Zeuge hinweisen, dessen Aufgabe es ist, von ihm Wahrgenommenes wiederzugeben. |
4.5.4.2.4Nach den §§ 240, 241 StPO unzulässige Fragen
425 Eine weitere Reihe von Fragen ist nach den §§ 240, 241 StPO unzulässig. Es handelt sich dabei insbesondere um
– Wiederholungsfragen,
– Wissensfragen,
– ehrenrührige Fragen,
– Suggestivfragen, wobei letztere teilweise als zulässig erachtet werden, ihrer Beantwortung allerdings grundsätzlich kein Beweiswert zukommt,
– Fragen nach dem persönlichen Lebensbereich,
– Fragen aus dem Persönlichkeits- und/oder Intimbereichund
– (Ausforschungs-)Fragen,deren Beantwortung nicht von der Aussagegenehmigung gedeckt ist.
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Praxistipp: |
426 |
Eine Beanstandung macht nur Sinn, wenn durch die Fragestellung das System erkennbar wird, den Zeugen „kaputtfragen” zu wollen. Bei mehrfachen Wiederholungsfragen der Verfahrensbeteiligten beispielsweise sollte der Zeuge den Staatsanwalt und das Gericht darauf aufmerksam machen („Das habe ich jetzt schon dreimal erzählt …”). |
4.5.4.2.5Protokollierungsanträge und Suggestivbemerkungen
427 Eine weitere Struktur aggressiven Verhaltens besteht in der Stellung von Protokollierungsanträgenund der Häufung von suggestiven Bemerkungen(„Sie müssten doch wissen …, ich weise Sie nochmals auf Ihre Wahrheitspflicht und die Strafbarkeit einer Falschaussage hin“, …).
428 Das Strafverfahren sieht an zwei Stellen die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit einer wörtlichen Protokollierung vor: So ist ein Protokoll zu erstellen, wenn eine Straftat in der Sitzung begangen wird (§ 183 GVG) oder wenn es – was praktisch kaum der Fall ist – auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung ankommt (§ 273 Abs. 3 S. 1 StPO). Letztendlich bestimmt allein der Vorsitzende, was in das Protokoll aufgenommen wird; er wird derartige Protokollierungsanträge regelmäßig zurückweisen.
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Praxistipp: |
429 |
Antragstellung und Hinweise sind nicht zu unterbinden und auch zulässig, sollen aber den Zeugen verunsichern und provozieren: Erfolgen keine Reaktionen des Gerichts, bleibt dem Polizeibeamten nur die Möglichkeit, ruhig und gelassen zu schweigen, zumal regelmäßig keine Fragen gestellt werden, die – von Ausnahmen abgesehen – beantwortet werden müssen. |
4.5.4.2.6Häufung von Fragen. Unverständliche, geschlossene und Fangfragen
430 Die Verschachtelungvon Fragen, deren unangemessene Häufung oder unverständliche Fragendürfen den Beamten nicht verunsichern.
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Praxistipp: |
431 |
Der Zeuge sollte zunächst die Frage beantworten, die er am besten erinnert und diese kurz wiederholen; danach kann er hinsichtlich weiterer Fragen beim Vorsitzenden nachfragen. |
Bei geschlossenen oder Fangfragensteht erneut die Provokation im Vordergrund.
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Praxistipp: |
432 |
Bei der Beantwortung ruhig bleiben, keine Gegenfragen stellen, sondern durch eine ausführliche Beantwortung (nicht: ja oder nein) die erhoffte Reaktion vermeiden. |
4.5.5Checkliste und Leitfaden zur Vorbereitung und Durchführung der Zeugenaussage
433 Im Folgenden soll dem Leser eine Checkliste zur Verfügung gestellt werden, anhand der er sich auf seine Zeugeneinvernahme vorbereiten kann. Sie erhebt weder Anspruch auf Vollständigkeit, noch gilt sie für jede Hauptverhandlung.
434 Bei der Vorbereitungsollte Folgendes berücksichtigt werden:
–Aus- und Fortbildungsangebote nutzen.
–Prozessbeobachtungen wahrnehmen.
–Verhinderungen am Terminstag (Urlaub, Krankheit …) frühzeitig dem Gericht mitteilen und deren Gründe belegen (Buchungsbestätigung, Attest …).
–Durch eine großzügige Zeitplanung für den Terminstag unnötigen Zeitdruck und Stress vermeiden.
–In begründeten Einzelfällen mit dem Vorsitzenden eine Telefonbereitschaft vereinbaren („ich kann binnen … Minuten im Gerichtssaal erscheinen und bin unter der Tel.-Nr. … erreichbar“).
–Überprüfung des Umfangs der Aussagegenehmigung (und ggf. die Bitte an den Dienstvorgesetzten, diese zu beschränken).
–Existiert eine beschränkte Aussagegenehmigung, sollten deren Grenzen im Hinblick auf den konkreten Einzelfall mit dem Dienstvorgesetzten abgeklärt werden.
–In extremen Ausnahmefällen die Möglichkeit, sich eines Rechtsbeistandes zu bedienen, mit in die Überlegung einbeziehen.
–Konkrete Vorbereitung als „Muss“.
–Versuch, ein konkretes Erinnerungsbild aufleben zu lassen; Hilfestellungen leisten die Lektüre der Akten, Gespräche mit den Kollegen und ggf. auch eine Ortsbesichtigung.
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