Franklin kam nicht mehr hoch. Er lag auf allen vieren, als ihn seine beiden Häscher erreichten. Seine Hände waren vom Sturz aufgeschürft, seine Knie aufgeschlagen. Er blickte an den beiden Kerlen in die Höhe, und sie kamen ihm aus dieser Perspektive unheimlich groß und wuchtig und ausgesprochen bedrohlich vor. Die Dunkelheit hier in der Gasse verhüllte ihre Gesichter. In der Hand des einen glaubte Bob Franklin eine schwere Pistole wahrzunehmen.
Das Wiesel erschauderte. Seine Zähne schlugen aufeinander.
„Was wollt ihr denn von mir?“, keuchte es entsetzt.
Der eine der beiden versetzte ihm einen leichten Tritt. „Das haben wir dir doch gesagt, Nigger! Wir sollen dich zum Chef chauffieren.“
Der Bursche sprach einen harten Akzent, was verriet, dass er kein gebürtiger Amerikaner war.
„Steh auf. Und jetzt keine Mätzchen mehr, mein Freund, sonst holt dich der Teufel.“
Er half Franklin auf die Beine. Dabei fasste er ihn nicht mit Samthandschuhen an. Er packte das Wiesel einfach beim Genick und zerrte es brutal in die Höhe.
Franklin zitterte. Seine Knie waren butterweich. Er musste zweimal ansetzen, dann entrang es sich ihm: „Bitte, Leute, lasst mich laufen. Sagt dem Boss, ihr habt mich nicht erwischt. Erzählt ihm …“ Er verschluckte sich und musste husten. Wie ein Erstickender japste er nach Luft.
„Du kackst dir ja richtig in die Hose, Nigger“, stieß einer der beiden verächtlich hervor. „Als ich dich vor wenigen Tagen sah, da warst du richtig cool drauf. Hast du etwa ein schlechtes Gewissen?“
„Ich … Ihr … Schlechtes Gewissen – nein. Ich war immer einer der besten Verkäufer und …“
„Bis jetzt, Franklin“, kam es sanft. „Aber dann hast du angefangen, in die eigene Tasche zu wirtschaften. Du hast guten Stoff abgezwackt und die Portionen, die du verkauft hast, mit Mehl gestreckt. Ein Junkie ist daran verreckt. Und wahrscheinlich war das nicht der letzte. Das können wir uns nicht leisten, Franklin. Damit ruinierst du uns das Geschäft.“
„O mein Gott“, schrie das Wiesel. „Niemals habe ich so was getan. Ihr müsst mir glauben. Ich käme niemals auf die Idee, den Boss zu betrügen. Wie kommt er darauf, dass ich …“
„Frag ihn selbst, Franklin. Und erzähl ihm dann deine Story. Aber jetzt schwing die Hufe! Hurtig, hurtig, mein schwarzer Freund. Oder müssen wir dir ein Feuer unter den schwarzen Arsch schüren?“
Bob Franklin taumelte vorwärts. Seine Beine vermochten ihn kaum zu tragen. Er hatte Angst, jämmerliche, hündische Angst – Todesangst. Denn er ahnte, was ihm bevorstand.
Sie bugsierten ihn in den Ford. Er musste auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Hinter ihn setzte sich der Kerl mit der Pistole. Er drohte: „Mach nur keine Zicken, Wiesel. Der Chef hat sicher nichts dagegen, wenn wir dich ihm tot vor die Füße legen.“
Bob Franklin wurde von einer Woge des Grauens durchlaufen. Er spürte Gänsehaut. Und es war nicht nur die Kälte, die von außen kam, die ihn frösteln ließ.
Sie brachten Bob Franklin nach Midtown, in die Nähe der St. Patricks Cathedral, und hier wurden ihm die Augen verbunden. Von nun an merkte er nur noch, dass es kreuz und quer durch New York ging. Einmal vernahm er das Heulen einer Schiffssirene, er wusste aber nicht, ob der Kahn auf dem East River oder auf dem Hudson River fuhr.
Endlich hielt der Wagen. Der Motor wurde abgestellt. Franklin wurde die Augenbinde abgenommen. Sie befanden sich in der tintigen Finsternis eines Hinterhofes. Ringsum sah Franklin nur mehrstöckige Wohn- und Geschäftshäuser.
„Aussteigen!“, wurde er angeherrscht.
In seinen Eingeweiden rumorte die Angst. Im Fegefeuer seiner Empfindungen konnte er keinen klaren Gedanken fassen. Mechanisch langte er nach dem Türgriff. Die Tür schwang auf. Die Innenbeleuchtung des Wagens ging an. Franklins Mund war trocken wie Wüstenstaub, sein Hals wie zugeschnürt.
Der Bursche, der im Fond gesessen hatte, nahm ihn draußen in Empfang. Franklin spürte den unerbittlich harten Druck einer Kanone auf seiner Niere.
Der Fahrer schob seine riesenhafte Gestalt aus dem Auto. Seine Tür schlug zu.
„Marsch!“, kommandierte der Mister mit dem Schießeisen. Im Vorbeigehen warf er die Tür der Beifahrerseite ebenfalls zu. Nach einigen Schritten flammte Licht auf. Ein Bewegungsmelder hatte die Treppenhausbeleuchtung und das mit dieser gekoppelte Hoflicht eingeschaltet. Geblendet schloss Franklin die Augen.
Derjenige, der den Ford gesteuert hatte, öffnete die Haustür. Der andere verstärkte seinen Druck mit der Beretta auf Franklins Nierengegend. Franklins Zähne schlugen zusammen wie im Fieber. Sein Herz raste. So konnte nur einem Mann zumute sein, wenn er in die Gaskammer oder zum elektrischen Suhl geführt wurde.
Sie dirigierten ihn in den Keller hinunter. Es gab dort einen erleuchteten Flur, von dessen beiden Seiten einige Türen in irgend welche Räume führten. Die Wände waren schmutzig und mit allen möglichen Sprüchen und Parolen beschmiert. Die Schritte seiner Begleiter hallten in dem leeren Korridor. Schließlich wurde Franklin in einen Raum auf der linken Seite gedrängt.
Und hier empfing ihn grelles Neonlicht. Ein Tisch stand da, vier Stühle, an einer Wand sah Franklin einen alten Rollschrank mit abgerissener Jalousie. Die Fächer waren leer. Daneben befand sich eine alte Anrichte.
Er wurde wortlos auf einen der Stühle gedrückt. Einer der beiden Kerle, die ihm Furcht einflößten, holte aus der Anrichte eine dünne, aber widerstandsfähige Schnur und fesselte Franklin auf dem Stuhl fest. Er knebelte ihn. Als es Franklin von dem Knebel hob und ihm weit die Augen aus den Höhlen traten, lachten sie schallend.
„Lass dir die Zeit nicht lang werden, Nigger“, knurrte der mit der Beretta ohne jede weitere Gemütsregung, dann drehten sie das Licht aus und verschwanden. Über Franklin schlug absolute Finsternis zusammen. Er hörte, wie sich auf der anderen Seite der Tür der Schlüssel knirschend drehte, dann wurde er abgezogen.
Franklin begann, an seinen Fesseln zu zerren. Der Knebel erstickte ihn fast. Aber die Fesseln hielten, und der Knebel ließ sich nicht herausstoßen.
Ein Mann näherte sich dem „Maxim“. Das Maxim war ein Junkie-Treff mitten in Harlem. Es ging auf Mitternacht zu. Ein Schwarzer in Jeans und Turnschuhen und einem gestrickten, abenteuerlich farbigen Mantel stand etwas abseits, ein ganzes Stück vom Rand des Lichtscheins entfernt, in einer Gruppe von Jugendlichen. Es waren Burschen und Girls. Hauptsächlich Schwarze.
Der Mann trug seinen Hut tief in der Stirn, die Hände hatte er tief in den Taschen seines Trenchcoats vergraben. Die Enden des Gürtels waren nicht zusammengebunden, sondern hingen lose an den Seiten des Mannes nach unten.
Er durchquerte den flackernden Lichtschein. Er hatte ein schmales, kantiges Gesicht, seine Lippen waren zusammengepresst, in den Mundwinkeln hatten sich dunkle Kerben gebildet. Er war Mitte 50, und er war weiß.
Ohne im Schritt zu stocken näherte er sich der Gruppe um den Burschen mit dem schreiend-farbigen Wollmantel, der in diesem Moment von einem der Jungs einige Dollarscheine entgegennahm und sie schnell in der Manteltasche verschwinden ließ. Er griff unter den Mantel, da sah er den Ankömmling. Seine Hand fiel nach unten. Misstrauisch fixierte er den Weißen.
Der blieb zwei Schritte vor der Gruppe stehen. Mit klarer, präziser Stimme sagte er: „Kinder, lasst die Finger vom Rauschgift. Jagt den dreckigen Dealer im bunten Mantel zum Teufel und kehrt um auf eurem sicheren Weg in die Hölle. Dort werdet ihr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit landen, wenn ihr das Teufelszeug nehmt.“
Einige der jungen Leute lachten.
Der Schwarze im Wollmantel drängte sich mit tänzelnden Schritten durch sie hindurch, umrundete den Weißen einmal, dann grinste er ihm ins Gesicht: „Wer bist du denn, Opa? Ein Prediger, ein selbsternannter Apostel, der irgend welche verirrten Schäfchen auf den Pfad der Tugend zurückbringen möchte?“
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