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Abb. 3: Ansicht von Mainz mit alter Martinsburg und neuem Südflügel, 1633 (Ausschnitt aus: Matthäus Merian: Topographia Archiepiscopatuum Moguntinensis, Trevirensis et Coloniensis, 1646)
DAS MAINZER KURFÜRSTENSCHLOSS ALS VISITENKARTE VON ERZBISCHOF UND ERZSTIFT
Die Neubaukampagne von 1628 ff.
Als diese Auffassungen von der staatstheoretischen Sinnbildlichkeit eines fürstlichen oder königlichen Residenzschlosses formuliert wurden, befand sich das Residenzschloss der Mainzer Erzbischöfe und Kurfürsten gerade in einer großangelegten Umbauphase, die das Aussehen und die innere Raumorganisation des aus dem späten 15. und der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts überlieferten alten Residenzschlosses, der Martinsburg, deutlich verändern sollte. Dieser Umbau geschah ab 1628. Bis dahin blieb die ab 1477/1478 unter Kurfürst Diether von Isenburg neuerbaute und ab 1556 aufgrund von umfassenden, am 27. August 1552 im Markgräflerkrieg entstandenen Kriegsschäden 7unter Kurfürst Brendel von Homburg wiederaufgebaute Martinsburg in ihrer spätmittelalterlichen Gestalt ( Abb. 2) äußerlich vollkommen unangetastet. Vor allem von der Rheinseite präsentierte sich das Mainzer Kurfürstenschloss als ein monumentaler Kubus, an dessen Ecken zinnenbekrönte Türme für das typische Bild spätmittelalterlicher Burgbzw. Schlossarchitektur sorgten. 8Aufgrund der L-förmigen Grundgestalt des Schlossbaus konnten Betrachter von der Rheinseite dabei durchaus den Eindruck erhalten, auf ein Schloss mit der vor allem im Mittelalter und der beginnenden Frühen Neuzeit prestigeträchtigen rechteckigen bzw. quadratischen Kastellform zu blicken ( Abb. 3; vgl. Taf. 22) 9. Dass zu dieser Form zwei Flügel fehlten, wurde durch die Anordnung der beiden übereck gestellten Flügel zur Rheinseite und die Ausbildung von zwei Turmaufsätzen auf der Westseite geschickt kaschiert. Zur Stadt hin war dem Kernbau eine Vorburg aus einzelnen Wirtschaftsgebäuden und zwei Rundtürmen vorgelagert. In dieser Form präsentierte sich der Bau bis 1628 äußerlich unverändert, wie auch Zeichnungen von Wenzel Hollar, darunter aus dem Jahr 1627/1628, belegen (vgl. Abb. 2). 10Wenn es bis dahin zu Neubauten kam, dann wurden diese – wie etwa das Kanzleigebäude von 1575 oder die ebenfalls ab 1575 erbaute Schlosskirche St. Gangolph – in den an das engere Burgareal angrenzenden Bereichen errichtet (vgl. auf Abb. 3die Gebäude links von der alten Martinsburg und dem neuen Ostflügel sowie Taf. 26). 11

Abb. 5: Mainz, erzbischöfliches Residenzschloss, Ansicht des Nordwestflügels (oberhalb des Sockelmauerwerks zwischen 1750 und 1752 errichtet) mit dem Sockelmauerwerk von 1687

Abb. 4: Mainz, erzbischöfliches Residenzschloss, Ansicht von der Rheinseite (heutiger Zustand nach Abriss der Martinsburg unter Napoleon 1809)
1628, mitten im Dreißigjährigen Krieg, entschloss sich Kurfürst Georg Friedrich von Greiffenclau zu einer großangelegten Neubaukampagne. 12Der Verlauf dieser Baukampagne sollte jedoch bereits drei Jahre später durch den Einmarsch des schwedischen Königs Gustav Adolf und seiner Truppen in Mainz abrupt unterbrochen werden. Dennoch gelang es den Bautrupps des Mainzer Erzbischofs bis dahin, an das südöstliche Ende der Martinsburg einen achtachsigen und drei Geschosse hoch aufragenden Neubau anzufügen, der bis an die Südmauer der Martinsburg heranreichte. Allerdings konnten bis 1631 zunächst nur die Außenmauern – vermutlich nur mit einem Notdach abgedeckt – fertiggestellt werden (vgl. hierzu Abb. 3, Taf. 22), während unter der schwedischen Besatzung die Baustelle ruhte. Doch auch danach, 1647, erfolgte kein Weiterbau, dieses Mal offensichtlich wegen zwischenzeitlich festgestellter Probleme mit dem durch den nahe gelegenen Rhein und Hochwasser durchfeuchteten Baugrund (weil man dn [sic] Boden nicht allzu gut befunden hat) . So begründet jedenfalls Balthasar de Moncony in seinem Reisebericht vom 16./17. Januar 1664 die Ursache für den damals immer noch unfertig als Bauruine herumstehenden neuen Schlossflügel (Taf. 20). 13Beinahe wäre das unvollendete Bauwerk deswegen durch den damals amtierenden Fürstbischof Johann Philipp von Schönborn wieder abgetragen worden, um seine sehr schön aus jenem roten Stein ausgeführt[en] Mauern anschließend im Bereich der Mainzer Zitadelle neu aufzubauen. So schildert es der Jesuit Daniel Papebroch 1660 in seinem Reisebericht. 14
Ob dieser neue Flügel, dessen Architekt nach wie vor nicht identifiziert werden konnte, 15von vornherein nach Norden weitergeführt werden sollte oder – wie es Lorenz Frank rekonstruiert 16– zunächst als abgeschlossener, achsensymmetrischer Gebäudetrakt mit zur Stadtseite hin sichtbarem nördlichem und südlichem Eckerker sowie Walmdach konzipiert war, muss derzeit offen bleiben. 17In den Jahren zwischen 1675 und 1678 ließ dann Kurfürst Damian Hartard von der Leyen das im Dreißigjährigen Krieg begonnene Werk des Kurfürsten Georg Friedrich von Greiffenclau fortsetzen und den neuen Schlossflügel um weitere acht Achsen nach Norden ( Abb. 4; vgl. Taf. 4) erweitern. Direkt anschließend war ein weiterer Flügel geplant, der an der Nordwestseite der Martinsburg ansetzen sollte. Dieser unter Kurfürst Anselm Franz von Ingelheim ab 1687 in den Fundamenten und im Sockelmauerwerk vorbereitete Nordwestflügel 18( Abb. 5; vgl. Taf. 10, 17) blieb aber für viele Jahrzehnte – u. a. auch als Folge des Pfälzischen Erbfolgekrieges – ebenfalls als Bauruine stehen und konnte erst zwischen 1750 und 1752 unter Kurfürst Johann Friedrich Carl von Ostein im aufgehenden Mauerwerk errichtet und vollendet werden. 19Damit war die 1628 in Angriff genommene Modernisierung und Erweiterung des Mainzer Residenzschlosses – immer wieder durch schwere Kriege unterbrochen – nach immerhin 124 Jahren Bauzeit zumindest äußerlich im Gebäudebestand abgeschlossen. Dass in dieser Schlussphase des Schlossausbaus aber die alte Martinsburg schließlich doch noch für den Abriss freigegeben werden sollte, wie in der Literatur behauptet wird, ist sehr zweifelhaft und dürfte auf einer Fehlinterpretation einer Schriftquelle beruhen. 20Stattdessen ist über alle Ausbauphasen hinweg und ungeachtet der Bemühungen um eine bauliche Modernisierung und ein möglichst einheitliches Erscheinungsbild der frühneuzeitlichen Erweiterungsbauten die konsequente Bewahrung des spätmittelalterlichen Kernbaus des Mainzer Residenzschlosses zu beobachten. Die Ursachen für dieses auffällige Festhalten an der alten Martinsburg sind in der politischen und historiografischen Erinnerungsfunktion des geschichtsträchtigen Altbaus zu suchen, auf die weiter unten, im dritten Kapitel des vorliegenden Beitrags, nochmals zurückzukommen sein wird.

Abb. 6: Dresden, Schloss, Ansicht nach Antonius Weck, 1680

Abb. 7: Berlin, Residenzschloss, Innenhof, Zeichnung von J. Stridbeck, 1690
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