Coleman zuckte nichtssagend mit den Achseln. „Ich würde nur gerne wissen, ob an diesem Schwachsinn etwas Wahres dran ist. Ich meine …“
„George“, fiel Bob Thompson dem Senator ins Wort, „nichts von alledem steht auf meiner Agenda. Das versichere ich Ihnen. Kommen Sie, George, genießen Sie den Abend und grübeln Sie nicht über Dinge, die man sich in Ihrer Partei unter vorgehaltener Hand erzählt. Dennoch danke ich Ihnen, dass Sie mich über die Tuschelei aufgeklärt haben.“ Er klopfte dem Senator vertrauensvoll auf die Schulter, drehte sich um und ließ ihn stehen.
Philipp saß zwischen Oliver Konecki und seinem Bruder Robert in William Bakers Arbeitszimmer, um über die Planung notwendiger Ressourcen zu sprechen, als das Telefon klingelte. Sein Vater formte flüsternd die Worte, dass Bob Thompson in der Leitung war.
„Gestern sprach mich auf der Galaveranstaltung Senator Coleman an. So wie es aussieht, macht unser Projekt bereits die Runde. Wie kann das sein? Sollte die Presse jetzt schon Wind davon bekommen, müsste ich ein Dementi abgeben. William, glaubst du, der Journalist hat geplaudert?“
William blickte kurz auf und betrachtete Oliver Konecki von der Seite. „Ohne Gewähr, Bob. Denke eher nicht. Welchen Sinn würde es ergeben? Meines Erachtens …“ William überlegte kurz: „Nein“, hörte er sich dann bestimmt sagen.
Einige Sekunden des Schweigens in der Leitung. Als wäre die letzte Frage nie gestellt worden, fuhr der Präsident fort: „Macht ihr bereits Fortschritte?“ Hierauf erhielt Bob Thompson bloß einen kurzen Schnauf, den er verstand. „Sorry, William. Es ist nur … Coleman hat mich gestern eiskalt erwischt. Ich bin nicht erpicht auf eine Wiederholung. Also, macht es gut.“
Philipp sah über die vielen Papiere der auf dem Tisch ausgebreiteten Ideensammlung hinweg. „Was Neues, Dad?“
„Bob wurde gestern direkt auf War on drugs angesprochen. Ich stelle die Frage nur einmal: Hat jemand von euch …?“
Sie sahen sich einer nach dem anderen an. Ohne Argwohn – eher mit dem Ausdruck der Verwunderung. Dann schüttelten sie ausnahmslos verneinend die Köpfe.
„Der Präsident hat auf mich getippt, richtig?“ Oliver fuhr sich mit der Hand durch die dichte Mähne.
„Wenn Sie so direkt fragen, ja“, antwortete William Baker wahrheitsgemäß.
„Welchen Grund sollte ich haben? Ich bin Journalist, kein Idiot. Wäre ich allein der Story wegen in diesem Team, würde ich Daten sammeln und kurz vor Schluss berichten. Nicht zu Anfang, wo keiner weiß, ob wir schwanger gehen oder nicht.“
„Was ist mit Julia?“, fragte Robert.
„Julia?“, wiederholte William, während Philipp und Oliver aufmerksam die Stirn runzelten.
„Ja, Julia ist die Einzige, außer uns, die in den Plan eingeweiht ist“, ergänzte Robert seine Mutmaßung.
„Ausgeschlossen.“ William wischte das Misstrauen mit der flachen Hand von sich. „Philipp, was ist mit dir und der Marketingtante. Du hast ihr doch nicht …?“
„Nein! Wie besprochen habe ich Frau Grossmann den Vertrag zugeschickt und ihr bis heute Mittag Zeit für eine Entscheidung gegeben. Näheres würde sie erst hier in den Staaten erfahren – so wie wir es ausgemacht haben.“
„Okay. Dann lasst uns nicht weiter über die undichte Stelle grübeln. Jeder weiß, was er zu tun hat. Ergebnisse übermorgen. Jungs, ich verlass mich auf euch.“ William Baker wollte Motivation ausstrahlen, doch die Art, wie er sprach, verriet seine Sorgen. Noch immer stand er nicht hinter dem Plan des Präsidenten.
„Du kommst tatsächlich. Glückwunsch zur richtigen Entscheidung.“ Philipps Stimme klang offenkundig heiter.
„Klar! So ein Angebot bekommt man nicht alle Tage.“
„Was sagt Dr. Fischer dazu?“
„Das willst du nicht wissen.“
„Hat er den Auftrag zurückgezogen?“
„Yep“, antwortete Heidi kurz und knapp.
„Egal. Die Tickets sind in Schönefeld bereits für dich hinterlegt. Dein Flug geht übermorgen.“
„Dann muss ich schleunigst packen. Ich freu mich auf dich, Philipp.“
„Dito. Was machst du gerade?“
„Was soll ich morgens um vier Uhr schon machen? Ich liege verschlafen im Bett.“
„Was hast du an?“, hauchte Philipp ins Telefon.
„Wenn du glaubst, mein Lieber, du weckst mich mitten in der Nacht, dass ich dir schmutzige Sachen ins Ohr flüstere, dann täuschst du dich aber gewaltig. Mach dir meinetwegen versaute Gedanken. Was mich angeht … gute Nacht!“ Heidi schmatzte noch einen Kuss durch die Leitung, dann legte sie auf.
Perfekt, sann Philipp.
Eine Tüte Chips sowie zwei Gläser Rotwein später schlief er im Doppelbett seines geräumigen Vier-Zimmer-Apartments vor laufendem Fernseher ein. Sein Schnarchen übertönte das leise Klicken an der Eingangstür. So bekam Philipp nicht mit, wie eine dunkle Gestalt lautlos in die Wohnung schlüpfte und mit dezentem, kaum wahrnehmbarem Knacken die Tür hinter sich schloss. Der Unbekannte steckte sein Werkzeug in die Seitentasche der eng anliegenden schwarzen Jacke und knipste eine Taschenlampe an, bevor er im matten Lichtkegel auf leisen Sohlen durch den Wohnraum in Richtung des Schlafzimmers schlich. Er huschte durch die angelehnte Tür und stand wenige Sekunden später vor dem Schlafenden. Routine, dachte der Eindringling. Zwei, drei Handgriffe und schon wäre der Job erledigt. Er fasste in die Seitentasche seiner Hose und zog einen etwa sechzig Zentimeter langen Kabelbinder hervor. Die genialste Erfindung, seit es Fesselungen gibt, amüsierte sich der Unbekannte. Über den Schlafenden gebeugt, schob er das dünne Plastikband vorsichtig unter dessen Knöchel, um die Enden mit einem einzigen kurzen Ruck zusammenzuziehen. Blitzartig erwachte Philipp aus seiner Tiefschlafphase, riss die Augen auf und erkannte im bunten Flackerlicht des Fernsehapparates eine Gestalt, direkt über ihn gebeugt. Als würde in seinem Körper eine Bombe gezündet, platzte das Adrenalin förmlich in Philipps Kreislauf. Instinktiv schoss er in die Höhe, um dem Fremden die Faust ins Gesicht zu rammen. Doch bevor auch nur eine seiner Bewegungen ihr Ziel fand, brach ein harter Schlag sein Nasenbein. Tränen schossen Philipp in die Augen, ein unsäglicher Schmerz schoss von der gebrochenen Nase abwärts bis zu den Schultern und ließ ihn wie einen Sack nach hinten aufs Bett fallen. Doch der Urtrieb eines jeden Menschen, der kraftvolle Überlebenswille, gewann die Oberhand. Im Schleier seiner tränenden Augen boxte er blindlings um sich, wobei all seine Hiebe ins Leere schlugen. Abermals spürte Philipp die Faust, dieses Mal am Kinn, und ehe er sich versah, presste der Unbekannte mit enormer Brutalität ein Kopfkissen auf sein Gesicht. Philipps immer noch verschleiertes Sichtfeld verdunkelte sich – aus dem Versuch, zu schreien, wurde ein gedämpftes Stöhnen. Er wollte Luft holen, doch das Kissen ließ keinen Atemzug zu. Seine Fingernägel kratzten sich in die Handrücken der ledernen Handschuhe des Fremden. Es waren große, kräftige Hände, die das gesamte Körpergewicht auf das Kissen pressten. Die Tatsache, nicht atmen zu können, die Angst, zu ersticken, wandelte sich zu schierer Panik. Philipp stampfte mit den gefesselten Füßen, bog seine Hüften nach oben, zappelte wie eine sich windende Katze – doch nach wenigen Augenblicken verließen ihn die Sinne.
Erstickte Angst schlängelte sich sacht in sein Bewusstsein. Wie flutender Nebel, der sich zur Abenddämmerung einen Weg zwischen Bäumen und Sträuchern des Waldes sucht. Dann, schlagartig, ohne Vorwarnung, durchzuckte ihn der Schmerz. Dieser war so präsent, als gäbe es nichts anderes. Philipps Kopf glühte, pochte im Rhythmus seines Blutes. Er wollte die Augen öffnen, doch er bewirkte gerade einmal, dass sich die Lider einen Spaltbreit hoben. Im Hintergrund flimmerte noch immer das unregelmäßige bunte Licht des Fernsehapparates. Als hätte man Apfelsinen in die Haut der Augenlider implantiert, fühlte er die Schwellung, die sein gesamtes Gesicht unter Spannung setzte. Benommen rappelte er sich ein Stück weit auf und stützte sich auf den rechten Ellenbogen. War er tatsächlich noch am Leben? War er allein? Neuerlich erfasste ihn unsägliche Panik. Hektisch zitterte seine linke Hand zum Nachttisch neben dem Bett, den Schalter der Lampe suchend. Endlich fühlte er den Kippschalter und drückte dagegen. Der aufflammende Lichtkegel schmerzte durch die winzigen Sehschlitze, was ihn blitzschnell die Augen schließen ließ. Kraftlos sank er zurück aufs Bett. Seine Atmung glich einem Röcheln, war unregelmäßig schwer. Wild wirbelten seine Gedanken durcheinander – doch einer Tatsache war er sich sicher: Er lebte und es schien, als sei er allein im Zimmer.
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