„Gern. Aber wollen wir den vielleicht woanders trinken? Ich glaube, ich brauche ein wenig frische Luft. Der Rotwein.“ Frau Grossmann lächelte und fächelte sich mit der Nachspeisenkarte zu, um ihrem Wunsch Nachdruck zu verleihen.
Philipp beglich die Rechnung und wenig später saßen sie im Wagen, dessen glänzend schwarzlackierte Motorhaube die Lichter Berlins widerspiegelte.
„Kaffee. Das war das Stichwort. Haben Sie einen besonderen Wunsch, Frau Grossmann?“
„Nur einen. Es sollte angenehm ruhig sein. Der ganze Tag heute im Büro und jetzt das volle Restaurant. Den Abend in Ruhe ausklingen lassen – das wäre perfekt, oder?
„Hmmh.“ Philipp verzog nachdenklich das Gesicht. Noch bevor er einen Vorschlag anbringen konnte, kam ihm Frau Grossmann zuvor: „Wohnen Sie nicht in dieser Ecke von Berlin?“
„Ganz recht. Keine zehn Minuten von hier. Alt-Treptow, in der Krüllstraße.“
„Hätten Sie Lust, den Kaffee bei Ihnen zu trinken? Nur wenn es keine Umstände macht. Anschließend lasse ich mir ein Taxi kommen, damit Sie nicht mehr fahren müssen.“
„Gern. Ein Kaffee im Restaurant Baker. Klingt perfekt.“
Als Philipp fünfzehn Minuten später die Dreifachverriegelung zu seiner Wohnungstür aufschloss, stand Frau Grossmann so dicht hinter ihm, dass der Hauch ihres Parfums seine Nase umspielte.
„Das ist ja wie in Fort Knox bei Ihnen.“
„Sicherheit geht vor. Kurz vor Weihnachten wurde in meine Wohnung eingebrochen. Junkies! Aber jetzt“, Philipp klopfte auf das Holz der Eingangstür, „kommt hier keiner mehr rein.“
Die Wohnung aus den sechziger Jahren besaß keinen der üblichen Eingangsflure. Alle Innenwände waren entfernt und der Statik wurde durch massive, frei stehende Betonpfeiler Rechnung getragen.
„Machen Sie es sich bequem, fühlen Sie sich wie zu Hause.“
Frau Grossmann zog den Mantel aus, winkelte ihr linkes Bein an, streifte sich den Schuh ab und ließ ihn ebenso achtlos wie den Mantel auf das Parkett fallen. Gleich darauf folgte der zweite Louboutin. Dann lief sie durch den etwa achtzig Quadratmeter großen Wohnraum und besah sich das Interieur.
„Sie beweisen Geschmack, Philipp. Aber das dachte ich mir schon. Von wem ist das Bild?“, fragte sie und deutete auf ein mächtiges, modernes Ölgemälde über der weißen Ledercouch.
„Rayk Goetze, Neue Leipziger Schule“, antwortete Philipp, der hinter der Küchenzeile stand, die in den Wohnraum integriert war. „Ich hätte noch einen Valdo im Angebot, oder doch lieber Kaffee?“
„Beides, wenn machbar“, antwortete Frau Grossmann, ohne den Blick vom Gemälde abzuwenden. Dann, als habe sie eine Eingebung, lief sie zur Küchentheke und nahm auf einem der Barhocker Platz. „Wirklich schön haben Sie’s hier, Philipp. Wohnen Sie allein in Berlin?“
„Nein, meine Mutter wohnt ebenfalls in der Stadt. Mein Vater und mein Bruder leben in den Staaten.“
„Sie haben einen Bruder?“
„Robert, ja, mein Zwillingsbruder. Allerdings bin ich der Hübschere.“ Philipp feixte.
„Dessen bin ich mir sicher“, entgegnete Frau Grossmann augenzwinkernd.
Philipp ließ den Korken knallen und schenkte den Prosecco in zwei Glasschalen. „Cheers, Frau Grossmann. Auf Sie.“
„Auf uns, Philipp. Wir waren heute ein unschlagbares Team. Nennen Sie mich bitte bei meinem Vornamen, wenn wir uns privat treffen. Ich heiße Heidi.“
„Heidi, angenehm, Philipp.“ Er hob die Sektschale in die Höhe.
„Wollen wir nicht aufs Sofa? Ist gemütlicher.“ Heidi lächelte, rutschte elegant vom Hocker und schlenderte am Prosecco nippend zur Couch. Philipp folgte ihr und setzte sich mit etwas Abstand neben sie.
„Ein wirklich schöner Abend, Heidi. Aber verrat mir eines: Hast du tatsächlich den Tisch im Horváth schon vor Tagen reserviert?“
„Ist dir aufgefallen?“ Heidi schmunzelte verschwörerisch.
„Klar, ich meine …“
„Pass auf, Philipp. Den Tisch habe ich natürlich im Voraus reserviert. Ebenso war mir klar – zumindest hatte ich es gehofft –, dass du genauso vorbereitet im Meeting erscheinst, wie du es getan hast. Dein Ruf eilt dir voraus und ich wollte unbedingt die Feldstudie mit deiner Agentur – oder exakt: mit dir haben.“
Erstmals an diesem Tag setzte Philipp eine verblüffte Miene auf. „Tatsächlich? Dich sollte man nicht unterschätzen.“
„Ganz sicher nicht“, entgegnete Heidi, während sie ein Bein auf dem Sofa anwinkelte, um sich draufzusetzen. Divenhaft legte sie ihren Kopf auf die Rückenlehne des Ledersofas, rieb sich mit der linken Hand den rechten Fuß und seufzte leise: „Ah, diese Schuhe. Da habt ihr Männer leichteres Spiel. Ich könnte jetzt stundenlang so sitzen bleiben. Diese Ruhe.“
„Dann lehn dich zurück und genieße. Apropos Ruhe. Etwas Musik?“ Ohne die Antwort von Heidi abzuwarten, griff Philipp nach der Fernbedienung auf dem Glastisch und drückte die Play-Taste. Sofort erfüllte angenehme Lounge-Musik den hohen Raum. „Auch noch einen Schluck Valdo?“
„Gern“, lächelte Heidi und reichte ihm das Glas.
Philipp lief an die Küchenbar und schenkte in jede der Sektschalen nach. Als er zur Couch zurückkehrte, winkte Heidi ihm mit der rechten Hand. „Stört es dich, wenn ich rauche?“
Erst jetzt sah Philipp die gedrehte Zigarette, die Heidi zwischen Zeige- und Mittelfinger hielt. „Keineswegs, ich hol dir einen Aschenbecher.“
Abermals verschwand Philipp hinter der Küchenzeile, kramte in einem der Schränke, bis er mit einem Kaffeebecher in der Hand zurück ans Sofa kam. „Mit nem Aschenbecher kann ich leider nicht dienen.“ Philipp verzog seine Lippen zu einem Schmunzeln. „Der müsste aber auch gehen.“ Er stellte den Becher auf den Glastisch.
Sichtlich mit Genuss zündete sich Heidi die Selbstgedrehte an und inhalierte den Rauch des ersten Zuges tief in ihre Lungen. Süßlicher Geruch nebelte sie ein. „Willst du auch ziehen?“, fragte sie und reichte Philipp den Glimmstängel entgegen.
„Ist das …?“
„Völlig harmlos“, beschwichtigte Heidi. „Nur ein wenig Gras. Vertreibt jeden nervigen Gedanken. Du hast noch nie, oder?“
„Ehrlich? Nein. Noch nie. Ab und an eine Gauloises.“
„Das kannst du nicht vergleichen“, meinte Heidi verständnisvoll. „Hat mit Rauchen an sich nichts zu tun. Ist wie … wenn du einen Schluck zu viel hast – gerade so, dass es angenehm ist. Sehr beruhigend. Also, ein Zug?“
Philipp langte nach dem Joint, betrachtete kurz die schwelende Glut und legte das andere Ende an seine Lippen. Erst zog er zaghaft, dann etwas beherzter. Das Eingeatmete breitete sich über die Luftröhre in seinen Lungenflügeln aus und reizte seine Atemwege. Ein Hüsteln war das Resultat, gefolgt von einer Träne, die aus dem linken Auge rann.
„Wau, da merkst du, dass ich noch nie …“, bemerkte Philipp sich räuspernd und gab den Joint dankend zurück.
„Du bist ja süß“, antwortete Heidi und zog genussvoll am Joint. „Merkst du schon, wie es wirkt?“, fragte sie neugierig, die Augen des Qualms wegen zu zwei kleinen Schlitzen zusammengekniffen.
„Hmm“, war die lapidare Antwort. Tatsächlich spürte Philipp, wie sich die Droge in seinem Körper ausbreitete. War es das Gras oder die Tatsache, etwas Verbotenes zu tun – egal, er fühlte, ja, er fühlte eine Erregung in sich aufsteigen. Sein Glied verhärtete sich, was ihn zwang, die Sitzposition zu verändern, da sein Penis ungünstig in der Unterhose eingezwickt war. Unbewusst zupfte er am Schritt, bis alles korrekt und angenehm saß.
Heidi hatte das nervös wirkende Manöver beobachtet und lachte: „Na, das ist ja wohl die beste Wirkung, die man sich erhoffen kann.“
Leichte Röte färbte Philipps Wangen, als er halblaut murmelte: „Ist das so, ja?“ Dann musste auch er lachen.
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