„Genauso wie die Republikaner“, entgegnete Bob. „Versteht ihr: Dieser Krieg erscheint mir aussichtslos, abgesehen davon, dass er seit Jahrzehnten Milliarden an Steuergeldern verschlingt, ohne dass wir jemals Aussicht auf Erfolg hatten. Da können wir auch gleich die vielen Milliarden nehmen und sie diesen Kartellen in den Rachen schieben.“ Der Blick des Präsidenten wanderte durch die Runde.
„Vielleicht sollten wir genau das tun, Mr. President“, hörte Robert sich sagen.
Bob Thompson zog fragend die Brauen nach oben, während William seinen Sohn entgeistert anstarrte. „Könntest du mir bitte erklären, was das soll?“, fragte er verwirrt, da er nicht im Geringsten begriff, worauf sein Sohn hinauswollte.
Robert neigte den Kopf seitlich, richtete den Blick auf Julia Hobbs, als suche er nach der passenden Begründung. „Nur ein Gedanke, den Julia und ich vor ein paar Tagen diskutierten. Tatsächlich ist es so, wie Sie es, Mr. President, gerade ausgeführt haben: Seit Jahrzehnten schlagen wir der Hydra einen Kopf ab, wo umgehend zwei neue nachwachsen. Der Kampf scheint aussichtslos. Schauen wir uns die Geschichte der Prohibition der zwanziger und dreißiger Jahre an – den 18. Zusatzartikel, der ein vollkommenes Alkoholverbot vorschrieb. Und was hat er gebracht? Getrunken wurde trotzdem – nur illegal. Und wer hat davon profitiert? Ausschließlich das organisierte Verbrechen. Durch die Aufhebung der Prohibition war das Problem gelöst.“
„Robert, wir sprechen hier nicht von einem Schluck Whiskey, sondern von harten Drogen. Es wäre ein Unding, wenn du mich fragst, hieran auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Gerade jetzt, wo Rauschmittel auch noch mit giftigen Substanzen gestreckt werden. Der Vorschlag ist irrwitzig.“ William schien verärgert über den voreiligen Vorstoß seines Sohnes.
„Nein, nein, lass ihn, William“, schaltete sich nun Bob Thompson ein. „Ganz so von der Hand zu weisen ist der Gedanke nicht. Überlegt doch mal. Mehr als die Hälfte der Bundesstaaten hat den privaten Genuss von Marihuana legalisiert. Über fünfzig Prozent der Wähler befürworten dies mittlerweile. Wenn nun auch harte Drogen legal wären, hätten wir zumindest die Möglichkeit, deren Konsum zu steuern. Gleichzeitig würde der illegale Handel damit unattraktiv werden.“
„Bei aller Liebe, Bob“, erwiderte William. „Wie stellst du dir das vor? Amerika als Land der Junkies? Wir reden hier nicht von Alkohol oder Cannabis. Damit treibst du deine Wähler direkt in die Arme der Republikaner. Keine Amerikanerin, kein Amerikaner wird es gutheißen, wenn sich deren Kinder legal Koks in die Nase ziehen oder an der Nadel hängen. Wo willst du die Grenze setzen? Kokain und Heroin ja – Chrystal Meth nein? Ganz zu schweigen davon, dass wir solch einen Vorschlag weder im Senat noch im Repräsentantenhaus durchbekommen würden.“
Der Präsident schürzte nachdenklich die Lippen. „Meinst du wirklich?“
Ich hab schon zu viel gequatscht
„Ich und Drogen, spinnst du?“
„Dann ist’s ja gut, Robert. Die sterben ja wie die Fliegen wegen dem Giftpanschen! Da hat euer Präsident ja mal richtig ins Klo gegriffen, so kurz vor der Wahl, meine ich.“
„Das kannst du laut sagen, Phil. Fehlt bloß noch, dass das mit dem Vize …“ Robert brach mitten im Satz ab.
„Willst du damit sagen, dass …“
„Philipp, ich hab schon viel zu viel gequatscht. Behalt das für dich, ja? Sonst bin ich meinen Job los und werde wegen Vaterlandsverrat hingerichtet.“
„Gleich so schlimm?“, fragte Philipp lächelnd.
„Wie läuft deine Kampagne bei British Tobacco?“ Schnell wechselte Robert das Thema.
„Bin gerade bei der Erhebung und Ausarbeitung von Datenmaterial.“
„So weit schon? Dann hast du den Auftrag?“
„Noch nicht, aber ich hab das Ding sicher im Sack.“ Philipp lachte auf. „Nur weiß British Tobacco das selbst noch nicht.“
„Und wie geht’s Mom?“
„Sie ist mehr bei ihrem Pferd im Stall als zu Hause. Bin heute bei ihr zum Abendessen.“
„Grüß sie von mir, ja? Vergiss es nicht.“
„Versprochen. Wir melden uns.“
Der Stoff des Vizepräsidenten
Oliver verließ das Gebäude der Washington Post und lief, den Trenchcoat unter den Arm geklemmt, die Straße hinunter zu seinem geparkten Wagen. Gerade als er den Schlüssel ins Schloss des BMW stecken wollte, hörte er dicht hinter sich seinen Namen.
„Mr. Konecki? Sie sind doch Mr. Konecki?“
Als sich Oliver umdrehte, stand ein Mexikaner vor ihm, der sichtlich nervös wirkte. „Ja, kann ich Ihnen helfen?“
Der Latino sah sich hektisch nach allen Seiten um, zog, ohne ein Wort zu verlieren, einen Zettel hervor und schob ihm diesen unauffällig in die Handfläche. Oliver spürte etwas Raues an seinen Fingern, als sein Blick auf den Verband an der Hand des Mannes fiel.
„Was …?“ Noch ehe Oliver weitere Fragen stellen konnte, machte der Fremde auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Menge der Passanten.
Erstaunt blickte Oliver dem Mexikaner hinterher. Er überlegte kurz, ihm zu folgen, entschied sich dann aber doch dagegen, öffnete die Fahrertür und stieg in den Wagen. Neugierig lehnte er sich in dem durchgesessenen Fahrersitz des BMW zurück, faltete das Papier auseinander und las die gekritzelten Druckbuchstaben auf dem zerknitterten Zettel: „23:00 Uhr, Buzzard Point, Ecke First Street SW. Allein!“
Vage erinnerte sich Oliver an das Areal. Dort, am Buzzard Point, trafen die beiden Flüsse Anacostia River und der Potomac aufeinander und bildeten eine Halbinsel südwestlich von Washington. Vor einigen Jahren hatte man in der Nähe des Buzzard Point die Leiche einer jungen Studentin gefunden. Hatte dieser Mexikaner etwa darauf abgezielt? Soweit Oliver wusste, wurde der Mord an jener Studentin niemals aufgeklärt. Noch während er vor sich hin grübelte, breitete sich ein unwohles Gefühl in seiner Magengegend aus, so als hätte er zu viel und zu schnell Fettiges in sich hineingestopft. Sollte er tatsächlich allein einen Wildfremden nachts auf diesem abgelegenen Territorium Washingtons treffen? Und wozu?
Mit einer kleinen Taschenlampe leuchtete er auf das Ziffernblatt seiner Armbanduhr. Es war bereits 23:10 Uhr. Somit harrte er bereits über eine halbe Stunde im Dunkel des grauen Betonklotzes, direkt am Ufer des Anacostia Rivers aus. Das Gebäude, das die Ausmaße eines Fußballstadions besaß, wirkte im nächtlichen Mondlicht bedrohlich massiv.
„Verdammt“, fluchte Oliver vor sich hin. Fröstelnd trat er aus dem Schatten der Fassade und wandte sich zum Gehen, als er plötzlich eine Präsenz ganz in seiner Nähe spürte. Er blickte nach rechts und sah eine Gestalt, die mit großen Schritten zielstrebig auf ihn zugelaufen kam.
Oliver erkannte den Mexikaner erst, als dieser direkt vor ihm stand. „Was soll das Ganze?“, zischte er, während seine Linke den Elektroschocker in der Hosentasche fest umschlossen hielt. 500.000 Volt Leistung gaben ihm ein spärliches Gefühl von Sicherheit.
„Kommen Sie, Mr. Konecki“, bedeutete ihm der Mexikaner in starkem Akzent.
„Moment mal, Mister. Ich gehe nirgendwo hin. Was soll diese Heimlichtuerei? Wer sind Sie überhaupt?“
„Mein Name ist Rodrigo. Das tut jetzt aber nichts zur Sache. Ich muss dringend mit Ihnen sprechen.“
„Gut, dann sprechen wir, aber hier. Oder besser noch, Sie kommen morgen in mein Büro. Ich spendiere sogar einen Kaffee. Was soll diese Geheimniskrämerei?
„Jetzt kommen Sie schon, bevor uns jemand sieht.“ Rodrigo zupfte Oliver ungehalten am Ärmel.
„Wer soll uns sehen? Was …“
Ohne weiter auf Oliver einzugehen, huschte Rodrigo im Schatten der Fassade entlang, um zum anderen Ende des Buzzard Point-Gebäudes zu gelangen. Kurz haderte Oliver, doch dann gewann seine journalistische Neugier die Oberhand und so folgte er dem Heimlichtuer. An der Ostseite des Baus bog der Mexikaner links ab und eilte etwa 200 Meter weiter in Richtung Anacostia River, an dessen Ufer einige kleine Motorboote vor Anker lagen. Ehe sich Oliver versah, kletterte dieser Rodrigo auf eines der Boote und kauerte sich ins Dunkel. Vorsichtig folgte Oliver dem Latino, während das sanfte Schaukeln des Kahns seinen Adrenalinpegel noch weiter anheizte.
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