Die meisten der über 100 Kindertageseinrichtungen20 in Bayern mit Mehrsprachigkeitsmodellen im Vorschulbereich stehen unter freier Trägerschaft. Dabei handelt es sich mehrheitlich um privatwirtschaftliche Angebote, d.h. Angebote von Anbietern, die mit entsprechend hohen Gebühren verbunden sind und eine ökonomisch wie sozial eher privilegierte Bevölkerungsschicht ansprechen. Oft arbeiten sie immersiv, meistens für ein bereits bilinguales Publikum, das seine Familiensprache fördern möchte. Eine immer breitere Kundschaft finden bilinguale Einrichtungen mit einem englischen oder chinesischen Zweig,21 die darin allerdings mehr einen ökonomischen Wettbewerbsvorteil für ihre Kinder sieht, als ein rein kulturelles, soziales oder familiäres Anliegen damit verbindet.22
Bei den Sprachen nimmt bundesweit – auch in Bayern – Französisch den zweiten Rang ein.23 Unter Berücksichtigung des deutsch-französischen Netzwerks der Elysée-Kitas – dürften sich die Sprachangebote für Englisch und Französisch nun aber nahezu angeglichen haben.
2 Das bilaterale Programm Elysée-Kitas 2020 / écoles maternelles Elysée 2020 : Verortung im europäischen Bildungsraum
Will man verstehen, wie sich einerseits das Pilotprojekt Deutsch-Französische Elysée-Kitas 2020 in diesem Zusammenhang darstellt und warum andererseits nicht alle Kindertageseinrichtungen mit Französischangeboten im Netzwerk der Elysée-Kitas aufgenommen wurden, muss man der Genese dieses bilateralen Pilotprojektes nachgehen. Zum 50. Jubiläum des Elysée-Vertrags1 unterschrieben der französische Bildungsminister (Ministre de l’Education Nationale) Vincent Peillon und die Bevollmächtigte der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten, Annegret Kramp-Karrenbauer, im Jahr 2013 die bilaterale Vereinbarung Deutsch-Französische Elysée-Kitas 2020. 2 Die bildungspolitischen Zielsetzungen der Elysée-Kitas sind in einer sogenannten Qualitätscharta festgelegt: Deutschland und Frankreich sehen sich als „Vorreiter und Motor beim Aufbau eines gemeinsamen europäischen Bildungsraums“, wollen mit dem „frühkindlichen Erlernen der Partnersprache […] die gegenseitige Verständigung“ weiter vertiefen und ein „dauerhaftes Freundschafts- und Vertrauensverhältnis“ vom jüngsten Kindesalter an aufbauen. Die Deutsch-Französische Agenda 2020 ist insofern konsequent, als sie auf dem „Strategischen Rahmen für die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung“ basiert. Bereits im März 2002 formulierte der Europäische Rat diese Forderung als Instrument der Chancengleichheit und der europäischen Integration:
Angesichts der Bedeutung des Erwerbs von zwei Fremdsprachen ab einem frühen Alter, auf die in den Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates von Barcelona hingewiesen wird, wird die Kommission ersucht, dem Rat bis Ende 2012 einen Vorschlag für eine mögliche Benchmark in diesem Bereich, die auf den laufenden Arbeiten zur Sprachenkompetenz aufbaut, vorzulegen.3
Von der Grundannahme geleitet, dass im Bereich ‚Sprachbildung‘ auch die Frühpädagogik einen eigenen Beitrag zu leisten habe, stellte sich für die LH München die Frage, wie das Konzept Elysée-Kitas für ein breites Publikum umgesetzt werden könnte. Im Oktober 2014 führte die LH München im Sinne der Bildungschancengleichheit und Inklusion dieses Pilotprojekt in die städtischen Kindertageseinrichtungen ein. Ausgangspunkt des Städtischen Trägers war, das Angebot für Kinder ohne Französischkenntnisse kostenfrei in den Einrichtungen zu implementieren. Damit trug er auch der Erkenntnis der Sprachpsychologin Gudula List, „das Gehirn hat Platz für viele Sprachen“, Rechnung.4 Die zweite Zielsetzung dieses Pilotprojektes war darüber hinaus, einen Beitrag zur Integration von Migrationskindern mit Familiensprache Französisch zu leisten, da man hier 2014 einen Bedarf vermutete. Tatsächlich zeigen die Zahlen rückblickend, dass über ein Drittel der in München angemeldeten afrikanischen Migrantinnen und Migranten aus dem frankophonen Afrika stammten.5
2.1 Schwerpunkte der französischen Analyse
Auf der französischen Seite des Netzwerks der Écoles maternelles Elysée 2020 erfolgte eine Evaluation im Auftrag des französischen Bildungsministeriums. Sie wurde intern durch die Generalinspektion des Bildungsministeriums durchgeführt und im Dezember 2018 veröffentlicht.1 Die kleine Stichprobe aus acht freiwilligen französischen Vorschulen ( écoles maternelles ) bildete die Basis für eine Bestandsaufnahme des gesamten französischen Netzwerks, welches damals aus 73 Vorschulen bestand. Die Schwerpunkte der Analyse ergaben sich aus einem institutionellen Interesse des französischen Bildungsministeriums. Die Studie ist keine sprachwissenschaftliche Analyse, eher eine deskriptiv-präskriptive institutionelle Berichterstattung.
Obwohl die Münchner Untersuchung andere Schwerpunkte setzt, zeigen sich in der Durchführung thematische Schnittstellen, die im Sinne des bilateralen Projektes zukünftig gemeinsam und komplementär bearbeitet werden können. Sie werden im Folgenden knapp vorgestellt.
2.1.1 Lernfortschritt im Spracherwerb
Zur Messung des Lernfortschritts werden aus den Kompetenzbereichen Sprechen und Hörverstehen didaktische Zielsetzungen definiert. In der Anlage zur französischen Analyse werden die Sprachstanderhebungsbögen aus der Grenzregion Elsass-Lothringen1 exemplarisch präsentiert. Sie sind nicht für ganz Frankreich repräsentativ. Gerade weil sie nur in der Grenzregion angewendet werden, ist es interessant, sie mit denjenigen zu vergleichen, die für die Münchner Untersuchung entwickelt wurden. In der Anlage findet man auch ein Zeugnisheft für die bilinguale Vorschule. Innovativ dabei ist die vollständige Integration des Deutschunterrichts im Schulzeugnis des französischen Bildungsministeriums. Lern- und Arbeitsverhalten sowie die Sprachkenntnisse und kommunikativen Kompetenzen werden beurteilt und benotet. Das französische Schulzeugnis für die Vorschule weist mit dem KOMPIK - Beobachtungsbogen2 Gemeinsamkeiten auf. Bei Ersterem liegt der Schwerpunkt stärker auf Bildung und Kompetenzen, denn auf Entwicklung und Interessen. Grundsätzlich war seitens des Bildungsministeriums eine Evaluation der Kompetenzen anhand des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) erwünscht. In ihrer Bestandsaufnahme der besten Praktiken zur Evaluation von Spracherwerb und Progression registrierten die Autorinnen der Studie punktuelle Initiativen der Schulleitungen oder Schulinspektionen mit dieser Zielsetzung entweder in der dritten Klasse der Vorschule (grande section de maternelle) oder in der ersten bis vierten Klasse der Grundschule. Dies weist eine Kontinuität des Angebots nach.
2.1.2 Kontinuität des Angebots
Die Kontinuität des Angebots ist für das französische Bildungsministerium Dreh- und Angelpunkt des Modells. Die Kinder sollen in der Grundschule und den weiterführenden Schulen die Möglichkeit haben, schulischen Deutschunterricht zu besuchen und im Idealfall deutsch-französische Curricula in bilingualen oder europäischen Zweigen zu absolvieren. In den Grenzregionen ist die Möglichkeit bereits gegeben, das Bildungsministerium legt jedoch für ganz Frankreich Wert darauf.
Wir möchten die von beiden Ländern eingeleiteten Maßnahmen zur Förderung des Erlernens der Partnersprache vertiefen, insbesondere durch die Schaffung bilingualer Klassen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in der Schullaufbahn der Kinder und Jugendlichen, ebenso wie durch den Ausbau von Abibac-Zweigen1im Gymnasium, die gleichzeitig zum französischen Baccalauréat und zur allgemeinen Hochschulreife (Abitur) führen.2
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