Vier Befragte sprachen über die Fähigkeit, ihre Gefühle auf sichere Art und Weise auszudrücken , und wie wichtig es sei, positiver in die Zukunft zu blicken.
Befragter 13 beschreibt es wie folgt:
»Unsere Gefühle auszudrücken, miteinander zu sprechen, hat mir ein besseres Gefühl gegeben, wie alles jetzt läuft. Es ist immer noch eine traurige Situation, aber das Gespräch hat mir wirklich geholfen, optimistischer zu sein.«
Zwei Befragte kamen mit viel Ärger in die Versammlung und wollten nicht über die Situation sprechen. Nachdem sie an der Versammlung teilgenommen hatten, kamen viele ihrer zuvor unausgesprochenen Gefühle zum Vorschein, und dies habe ihnen geholfen haben, optimistischer in die Zukunft zu blicken. Sie beschreiben es wie folgt:
Befragter 21:
»Ich bin mit viel Wut in die Versammlung gegangen. Während der Versammlung erzählten mir alle, wie sie sich fühlten. Das half mir, positiver in die Zukunft zu blicken.«
Befragter 6:
»Vieles musste herauskommen, ich wollte es nicht, aber es ist herausgekommen. Das war eine gute Sache.«
Einige Befragte waren hoffnungsvoll , nachdem sie an der Wiedereingliederungs-Versammlung teilgenommen hatten. Schlechtes war in ihren Augen zwar geschehen, aber nach der Teilnahme an der Versammlung wurden die Dinge besser. Im folgenden Kommentar spricht eine Befragte über die Veränderung, die sie sehen konnte, und darüber, wie hoffnungsvoll sie war, nachdem sie an der Versammlung teilgenommen hatte.
Befragte 7:
»Ich konnte die Veränderung in X sehen. Während der Versammlung haben wir viel miteinander gesprochen. Ich sah die Veränderung in ihrer Körpersprache. X machte sich ausgezeichnet, ich war wirklich hoffnungsvoll. Die Versammlung half mir zu sehen, wo jeder stand.«
Vier Befragte sprachen darüber, wie die Versammlung sie lehrte, den gegenwärtigen Moment zu schätzen. Sie sprachen über die Fähigkeit, positiver in die Zukunft zu blicken, indem sie in der Gegenwart lebten und sich vorwärtsbewegten. Andere beschrieben dies wie folgt:
Befragter 1:
»Die Versammlung hat mich gelehrt, dass man die Dinge im Moment schätzen muss, das, was man im Moment hat. Man kann die Vergangenheit nicht ändern und man muss nach vorne schauen.«
Befragter 4:
»Die Versammlung hat mir gezeigt, wie ich die Vergangenheit loslassen kann. Er hat mir gezeigt, dass ich nicht an der Vergangenheit festhalten sollte. Ich betrachte diesen Menschen jetzt positiver.«
Einige Teilnehmer glauben, dass die Versammlung ihnen geholfen hat, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Befragter 18 reflektierte über seine veränderten Perspektiven, nachdem er an der Versammlung teilgenommen hatte:
Befragter 18:
»Nun, wir leben immer im Augenblick. Die Versammlung hat mich gelehrt, dass die Vergangenheit dich zu dem macht, was du jetzt bist. Sie gab mir verschiedene Perspektiven.«
Befragter 19 beschreibt im folgenden Kommentar, dass sich nicht die Vergangenheit, sondern dass sich seine Sicht auf die inhaftierte Person durch die Versammlung verändert hat.
Befragter 19:
»Es ist schwer zu erklären, aber die Versammlung gab mir eine andere Sicht auf X.«
Inhaftierte Menschen stammen im Allgemeinen aus benachteiligten Familien bzw. schwierigen sozialen Umfeldern. Es ist für sie von entscheidender Bedeutung, Wege zu finden, um mit ihren Angehörigen, ihren Freunden und dem sonstigen sozialen Umfeld in Kontakt zu treten, die ihnen positive Unterstützung bieten können, damit sie von Drogenmissbrauch und Kriminalität Abstand nehmen (Maruna 2005). Die Wiedereingliederungs-Versammlungen geben Einzelpersonen die Möglichkeit, diese unterstützenden Verbindungen und Beziehungen zu entwickeln. April erhielt durch die Hilfe, die ihr von den Unterstützern in ihrer Versammlung angeboten wurde, ein vollständiges drittes Gebiss. Ihr Leben wäre ganz anders verlaufen, wenn sie das Gebiss nicht hätte. Damit ist sie in der Lage, im Einzelhandel zu arbeiten und in der Gesellschaft positiver zu wirken. Einzelne können, insbesondere wenn sie aus benachteiligten Umfeldern oder aus dem Gefängnis kommen, ihre Bedürfnisse nicht alleine abdecken. Sie brauchen Unterstützung und Beziehungen zu Menschen, die ihnen helfen können, grundlegende Veränderungen herbeizuführen. Die Wiedereingliederungs-Versammlungen unterstützen, wie die in diesem Beitrag berichtete Forschung zeigt, die nahestehenden Menschen aus dem sozialen Netzwerk auch dabei, das Leid zu überwinden, das der Verlust des ins Gefängnis gekommenen Menschen verursacht hat. Die Wiedereingliederungs-Versammlung ist eine Intervention, die auf verschiedenen Ebenen zum Aufbau einer Gemeinschaft beitragen kann. Sicherlich werden diese Treffen nicht alle Menschen verändern, aber sie sind eine tragfähige Alternative zum »Fallmanagement« und zu anderen gebräuchlichen Strategien, die derzeit zur Rehabilitation eingesetzt werden. Der Wiedereingliederungs-Planungsprozess sollte also breiter angelegt und weiter erforscht werden.
1Aus dem Englischen von Johannes Hampel.
2Der im Englischen gebräuchliche Begriff »Restorative Justice« wird meist auch im Deutschen verwendet. Es finden sich aber auch Bezeichnungen wie »Restaurative Justiz«, ausgleichende Gerechtigkeit oder auch restaurative bzw. Wiedergutmachungs-Verfahren (Anm. d. Hrsg.).
3Als Fallmanager wird die zuständige Person eines Amtes bezeichnet, die z. B. bei der Arbeitsvermittlung oder auch anderen Bedarfen wie Schulden, Wohnungssuche etc. hilft.
4Das Bezirksgericht der Vereinigten Staaten für den Bezirk Hawaii nutzt die Wiedereingliederungs-Versammlungen seit 2015, und für viele am Programm beteiligte Personen werden die Treffen bereits vor ihrer Verurteilung und Inhaftierung initiiert (Walker a. Kobayashi 2020).
5Indigene Menschen auf der ganzen Welt haben »Talking Circles« (Isaacs 1999) und auch im Westen wurden bis zur Eroberung durch die Normannen (Van Ness a. Strong 2002) Verfahren angewandt, die wiedergutmachenden Charakter hatten. Die moderne »Restorative Justice«, um die es in diesem Beitrag geht, begann sich im Westen in den 1950er-Jahren zu entwickeln mit dem Werk von Albert Eglash in den USA, in den 1970erJahren Nile Christie in Norwegen und in den 1980er-Jahren Howard Zehr (Walker, Rodgers a. Umbreit 2018).
3Der Familienrat und die Wiederherstellung von Familienidentität – Ein Vermächtnis der Maori für kultursensible Praxis und gemeinschaftliche Krisenbewältigung
Erzsébet Roth
Herr und Frau Özgür sind seit Jahren zerstritten. Sie haben drei gemeinsame Kinder, die bei Frau Özgür leben. Beide sind mittlerweile mit neuen Partnern liiert. Doch die Streitigkeiten nehmen kein Ende. Das Hilfesystem ist dabei aktiv mit eingebunden. Die Kollegin im Jugendamt erhält regelmäßige Beschwerdeanrufe des leiblichen Vaters: »Sie sollten mal überraschend zu Hause auftauchen. Was meinen Sie, wie es da zugeht. Es ist ja sonnenklar, sobald Sie sich anmelden, wird die Wohnung aufgeräumt, die Kinder hübsch angezogen und das ›Wir-sind-eine-gute-Familie-Gesicht‹ aufgesetzt. Gehen Sie mal überraschend hin, dann sehen Sie mal selbst die Zustände, die dort herrschen.«
Regelmäßig schreibt Herr Özgür dem Jugendamt Briefe, in denen er die aktuelle Situation der Kinder anprangert. Nach einem Kennenlernen und einer Bedarfsfeststellung handelt das Jugendamt. Doch die Briefe und Anrufe setzen sich fort. Mit Anwalt wurde auch schon gedroht. Die zuständige Jugendamtskollegin möchte dem entgegenwirken – mit einem Familienrat: »Wissen Sie«, berichtet sie in einem Telefonat der für den Familienrat beauftragten Koordinatorin, »die Streitigkeiten sind wohl schon zum Beziehungsmuster geworden. Am Anfang haben wir den Vater auch ernst genommen und haben tatsächlich Handlungsbedarf gesehen, aber mittlerweile haben sich die Kinder und die Mutter so gut entwickelt, dass die Anrufe und Briefe keine Rechtfertigung mehr haben. Ich nehme an, dass ein Familienrat vor allem dem Vater das Gefühl gibt, ernst genommen zu werden. Er lebt jedoch mittlerweile in Österreich. Für den Familienrat müsste er in die Heimatstadt seiner Kinder kommen.« Die Koordinatorin versichert, zumindest in einem Telefongespräch zu versuchen, Herrn Özgür von einer Teilnahme zu überzeugen.
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