Georg Zander strich mit der Hand über die Knopfleisten seiner schwarzen Uniform. »Deswegen! Sagte ich nicht, dass die SS die wahre Macht im Staate ist? Aber auch, weil meine Familie aus Ostfriesland stammt. Kennst du Völlen? Das ist bei Papenburg. Vielleicht seid ihr dort mit eurer Jahrmarktsbude schon mal durchgekommen.«
Erhard Köhler zuckte mit den Schultern; mit den alten Zeiten hatte er abgeschlossen. »Da gibt es Butter im Überfluss?«, fragte er.
»Vor allem gibt es da Bauern«, gab Zander zurück. »Reiche Bauern. Gierige Bauern. Die lassen sich nicht gerne vorschreiben, wann sie wie viel zu schlachten und wem sie was zu liefern haben. Solche Bauern denken nicht an die Volksgemeinschaft, sondern nur an den eigenen Bauch. Die sind erst zufrieden, wenn sie Teppiche im Schweinestall liegen haben.«
Blanker Hass sprach aus Zanders Miene; Erhard zuckte erschrocken zurück. Natürlich wusste er, was die SS war und wofür sie stand. Schutzstaffel, von wegen! Aber zu ihm waren Georg und Hasko Zander immer nett gewesen. Herablassend, das ja, manchmal auch geringschätzig, aber meistens korrekt. Man arbeitete zusammen, man brauchte einander; in den letzten Jahren hatte Erhard sich für das gemeinsame Geschäft unentbehrlich gemacht. Er hatte sich trotzdem bemüht, nicht unvorsichtig zu werden, aber wirklich bedroht hatte er sich nie gefühlt. Jetzt aber hatte er einen Eindruck davon, wie sich das anfühlen konnte.
»Na, Bauern eben.« Zander hatte sich wieder im Griff. »Protzen gern mit dem, was sie haben. Aber wenn du sie wegen Gesetzesverstößen bei den Klöten hast, dann fangen die genauso an zu wimmern wie die Judenbengel.« Er lachte böse. »Dann sind die froh, wenn du nichts anderes von denen willst als ein paar Zentner Butter. Verstehst du? Mach den Leuten immer so viel Angst, dass sie denken, es geht ums Leben. Dann trennen sie sich ganz leicht von allem anderen.«
Erhard nickte schweigend. Genau das ist unser Geschäft, dachte er. Wenn Menschen um ihr Leben fürchten, dann geben sie alles andere leichter weg. Dann sind wir da, um es ihnen abzunehmen. Gegen ein Trinkgeld. Gerade so viel, dass sie in irgendein anderes Land kommen, wo sie sich sicher fühlen. Mit schwerem Herzen und leichtem Geldbeutel. Aber mit dem Kopf fest auf dem Hals.
»Was ist mit dem Schmuck?«, fragte Zander unvermittelt. »Wo ist der ganze Silberkram von Levy? Und wo hast du die goldenen Ringe und Ketten von Hammerschmidt hingetan? Pferdehändlers Notreserve, dass ich nicht lache! Als es drauf ankam, hat er sich nicht getraut, das Zeug über die Grenze zu schmuggeln. Feiges Judenpack!«
»Reservereifen«, sagte Erhard Köhler und seufzte. »Hatte ich schon für den Pritschenwagen fertig gemacht. Jetzt muss ich das Zeug natürlich umpacken. Dabei gehen die Lastwagenreifen so schwer von der Felge ab.«
»Da siehst du es mal wieder, blinder Eifer schadet nur. Bloß keine jüdische Hast.« Unvermittelt beugte sich Zander zu Erhard Köhler herab. »Und wie ist das mit den Diamanten ausgegangen?«, zischte er. »Los, ich will eine Erfolgsmeldung hören.«
»Bedaure.« Erhard hielt dem bohrenden Blick aus kalten blauen Augen stand. »Da ist uns einer zuvorgekommen. Muss deutlich höher geboten haben. Landsberg hat heimlich verkauft und mich hingehalten, bis er und seine Leute in Antwerpen waren. Außer Reichweite.«
»Verfluchte Inzucht!«, schimpfte Georg Zander. »Das passiert jetzt auch immer öfter. Sind mittlerweile viel zu viele Hechte unterwegs in diesem Karpfenteich. Müsste mal wieder richtig aufgeräumt werden. Wie damals 1934 mit dem fetten Röhm und seiner schwulen Bande. Zack, Genickschuss, fertig! Wer war das? Hast du den Namen?«
Erhard Köhler schüttelte den Kopf. »Nein. Angeblich war es einer aus Frankfurt, aber sicher weiß ich das nicht.«
»Das muss aufhören«, bekräftigte Georg Zander. »Sonst funken die uns als Nächstes noch bei den Immobilien rein. Läuft da wenigstens alles sauber mit?« Er unterbrach sich; Geräusche von der Eingangstür ließen ihn aufhorchen. Krachend schlug die Tür zu, schwere Schritte stampften über den Flur. Diesmal war es keine Frage, wer da kam.
»Heil Hitler, ihr Luschen!« Hasko Zander war kaum kleiner als sein Bruder, einen oder zwei Zentimeter vielleicht, und das bei identischer Schulterhöhe; auch Stirn und Hinterkopf waren gleichermaßen ausgeprägt. Der Unterschied lag im Gesicht. Haskos Augen waren schmal und von wulstigen Brauen überwölbt, seine Nase wirkte gestaucht, seine Oberlippe war kaum vorhanden; sein Mund war breit, sein Kinn kurz und vorspringend. Trotzdem war die Familienähnlichkeit unverkennbar. Hasko war ein gequetschtes Pendant seines Bruders.
Die Begrüßung fiel herb aus: ein Hieb auf die Schulter, ein Stoß vor die Brust. Für Erhard fiel ein beiläufiges Nicken ab. »Ihr seid beim Geschäft, was?«, stellte Hasko fest. »Sehr gut. Ich brauche Bares.«
»Andauernd brauchst du Geld.« Georg war wenig begeistert. »Neues Auto schon wieder? Das können wir doch über die Firma laufen lassen.«
»Nix Auto. Edelgard!«, rief Hasko. Tief in ihren Höhlen blitzten seine Augen. »Wird Zeit für den Antrag. Ich brauche Ringe! Erst einen, dann noch zwei.«
»Ringe?« Georg schmunzelte belustigt. »Kein Problem, Erhard muss sowieso noch mal an den Ersatzreifen ran. Aber wieso denn jetzt auf einmal? Hast du Edelgard etwa geschwängert, du Hengst? Keine Selbstbeherrschung, der Herr Sturmbannführer, was?«
»Blödsinn«, erwiderte Hasko. »Es ist ihr Vater. Macht Druck, der Herr Großkonfektionär. Will seine Nachfolge endlich geregelt wissen. Hat bloß Töchter, dieser Büchsenmacher. Also ran an den Feind. Heiraten, Enkel zeugen, schon stehe ich im Testament. Und im Grundbuch.«
»Klingt nach überfallartigem Angriff. Mit Stellungskrieg hast du es wohl nicht so, was? Davon hält unser Führer bekanntlich auch nichts.« Sie lachten grölend, wohl wissend, auf wie dünnem Eis sie sich bei dieser doppelten Anspielung auf Hitlers Weltkriegserfahrungen und seinen Familienstand bewegten. »Los, Kleiner, dann leg mal etwas vor!«
Hasko hob abwehrend die Hände: »Von wegen, nicht so ein Judenzeug! Etwas richtig Schickes, maßgefertigt, von dem arischen Goldschmied in der Achternstraße. Ein Ring zur Verlobung, mit Stein, und natürlich Eheringe. Alles schön verziert.«
»Seit wann gibt es einen arischen Goldschmied in der Achternstraße?« Georg Zander schaute Erhard Köhler fragend an. »Ich kann mich an keinen jüdischen Juwelier dort erinnern, den wir … du weißt schon.«
»Gab’s auch nicht«, sagte Hasko Zander. »In dem Haus war ein Klamottenjude. Ist letztes Jahr weg. Jetzt ist da ein Goldschmied drin.«
Sein älterer Bruder seufzte. »Na dann hol mal Bargeld raus, Erhard! Wie viel brauchst du denn, Hasko?«
»Sieben fünf«, sagte Hasko Zander in beiläufigem Ton.
»Bist du bekloppt?«, rief der Ältere entsetzt. »7.500 Reichsmark! Dafür kriegst du einen Mercedes Benz 230 Cabrio, brandneu und mit Küsschen auf den Arsch! So viel Geld willst du für ein paar Ringe ausgeben? Wo wir hier mehr als genug von dem Zeug haben? Und dann womöglich noch so ein kitschiges Zeug mit Hakenkreuz und Totenkopf?« Er ballte die Faust und präsentierte seinen SS-Ehrenring: »Für so was kenne ich eine billigere Bezugsquelle.«
»Vorsicht, Georg«, zischte Hasko Zander zurück, die Zähne gefletscht, die rechte Hand ebenfalls zur Faust geballt. »Darüber macht man keine Witze, nicht einmal dir lasse ich das durchgehen. Auch wenn du einen Rang über mir stehst.« Nase an Nase, Faust an Faust standen sie da, sekundenlang, der eine bebend vor Zorn, der andere vor Gier. Bis Georg Zander sich bewusst wurde, dass Erhard Köhler immer noch neben ihnen stand, in geduckter Haltung und mit wachsamem Blick. »Schon gut, hol das Geld!«, wies er ihn an. »Wir haben genug von dem Zeug.«
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