Später sollte ich erfahren, dass ich unter allen Bewerbern unter die ersten drei gereiht worden war, sich der künftige Dienstgeber aber nicht so rasch entscheiden könne und vor Herbst sicherlich keine Entscheidung zu erwarten sei.
Die Geschichte vom Mahlsteiner Axel
Axel war einer von unseren Monteuren. Er gehörte also zu jenen Burschen, die man am einen Tag dahin und am anderen dorthin schickte, die also bestens beraten waren, Zahnbürste und Pyjama stets in der Firma zu haben, denn es konnte durchaus passieren, dass man als Monteur um 16 Uhr erfuhr, dass man am nächsten Morgen z.B. in Köln sein muss. Axel war ein gutmütiger Riese, etwa zehn Zentimeter größer als ich (und ich bin schon nicht klein) und mit Oberarmen, deren Umfang etwa jenem meiner Oberschenkel entsprach. Axel hatte vor seinem Dienstantritt bei den Bammers eine bessere schulische Ausbildung genossen, er war bereits Geselle, als ich in die Firma eintrat. Bisweilen wirkte er etwas schwerfällig, obwohl er sein Handwerk tadellos beherrschte. In der Firma konnte er jedoch nicht weiterkommen. So begann er, einen Meisterkurs zu absolvieren, um seine Chancen zu verbessern. Manni, jener Meister, unter dessen Ägide Axel arbeitete, sah natürlich sofort seinen Status bedroht. Er schickte Axel noch öfter in der Welt herum als zuvor, der sollte möglichst wenig Gelegenheit bekommen, seine Kursabende zu besuchen. Auch das Familienleben forderte Axel, zwei seiner drei Kinder waren bereits auf der Welt. Dennoch schaffte es Axel, nach etwa zwei Jahren hatte er seinen Meistertitel. Nun hoffte er darauf, endlich mehr Verantwortung, eine interessantere Herausforderung oder zumindest mehr Geld zu bekommen. Der Firma kam es natürlich am billigsten, Axel mit einer interessanten Herausforderung zu ködern, das Finanzielle sollte dann folgen, wenn das von Axel künftig zu verantwortende Projekt einmal satte Gewinne abwirft.
Der Zufall wollte es, dass wir gerade ein sehr innovatives, jedoch auch komplexes Produkt auf den Markt gebracht hatten, dessen Entwicklung noch in den Kinderschuhen steckte und das daher die intensive Betreuung durch einen versierten Handwerker mit guten Theoriekenntnissen erforderte. So tourte Axel weiterhin durch die Welt, jedoch mit Fokus auf unser neues Produkt, die künftige Cash Cow der Firma. Sonst aber ging nicht viel weiter. Axels sich vergrößernde Familie saß in einer kleinen Wohnung fest, die Karotte, die man ihm vor die Nase gehängt hatte, kam nicht näher. So begann Axel seine Fühler auszustrecken und fand bald einen Arbeitgeber, der bereit war, schon als Einstiegsgehalt 400 Euro mehr zu bezahlen, als Axel nach etlichen Jahren bei den Bammers verdiente. Obwohl er dadurch zwei Monatsgehälter an Abfertigung verlieren sollte, beschloss Axel, zu kündigen. Die Kündigung gab er bei Albrecht ab, doch schon zwei Minuten später rief der Chef Axel zu sich. Die Szenen, die sich im Chefbüro abgespielt haben, wurden mir so beschrieben: »Ja, was glaubst du denn, du kannst uns doch jetzt nicht einfach im Stich lassen! Jetzt haben wir dir dieses tolle Projekt zukommen lassen und die Firma beweist so viel Vertrauen in dich, und du hast nichts Besseres zu tun, als dich woanders zu bewerben.« Axel verwies darauf, dass er selbst als Meister noch im Arbeiterstatus geführt werde, die anderen Meister jedoch längst Angestellte seien und dadurch auch höhere Bezüge hätten. »Ja, dann sag das doch, das ist ja überhaupt kein Problem, du kannst ab nächstes Monat Angestellter sein.« Axel lamentierte weiter, dass er dann ja trotzdem noch als einfacher Monteur durch die Lande gondeln müsse, wobei er doch gerne Teamverantwortung übernehmen würde. Nun sagte ihm der Chef auch das zu. Gott sei Dank fiel Axel noch ein, dass er, wenn er nun Angestellter wird, in dieser Firma keinen Anspruch mehr auf Diäten haben würde. Es war den Bammers wichtig, dass Angestellte keinesfalls in den Genuss solcher steuerfrei auszubezahlenden Gehaltsbestandteile kommen, stattdessen behielt man es sich vor, eine jährlich neu zu beschließende Prämie (Schleimzulage) zu zahlen, von der wir Arbeitnehmer gleich einmal 60 % an Krankenkasse und Fiskus abliefern mussten. Im Fall von Axel sagte der Chef nun sogar zu, dass er auch als Angestellter weiterhin seine Diäten einreichen dürfe. Axel, von der spontanen und komplett unerwarteten Generosität des Chefs vollkommen überwältigt, zog seine Kündigung zurück und sagte dem potentiellen künftigen Chef ab.
Nun ging es daran, die neuen Vereinbarungen umzusetzen: Axel wurde tatsächlich Angestellter, das Grundgehalt bewegte sich etwas in die richtige Richtung. Vom Angebot der anderen Firma war man aber noch meilenweit entfernt. Auch das Team, dessen Leitung Axel fortan übernehmen durfte, war rasch zusammengestellt: Der Lackierer und ein Lehrling aus dem ersten Lehrjahr wurden Axel »unterstellt«. Zwar durfte er dadurch deren Urlaubsanträge abzeichnen, de facto aber hatte er auf die beiden Leute keinerlei Zugriff und konnte sie auch für jenes Projekt, das er weiterhin zu betreuen hatte, überhaupt nicht brauchen. Immerhin: Bereits am nächsten Lohnzettel fand Axel die ihm zustehenden Diäten angeführt, wenngleich er inzwischen tatsächlich Angestellter war. Dies ging sogar noch ein weiteres Monat so. Im dritten Monat nach dieser Umstellung aber vermisste Axel seine Diäten plötzlich. Er ging ins Lohnbüro, um sich danach zu erkundigen. Luise teilte ihm nüchtern mit, dass die Auszahlung seiner Diäten in den vorangegangenen beiden Monaten leider irrtümlich erfolgt und künftig natürlich vollkommen ausgeschlossen sei. Darüber werde sich aber demnächst eh noch die Chefin mit ihm unterhalten. Man hatte Axel schlichtweg verarscht. Weil er natürlich nichts Schriftliches vorweisen konnte, musste sich Axel schließlich doch noch einen neuen Job suchen.
Unser Chef reiste in den Anfangsjahren des Jahrtausends oft und gerne zu seinen Händlern, Lieferanten und Kunden. Nachdem er bereits als junger Spund einen Hang zur Fliegerei entwickelt hatte, lag es auf der Hand, dass er Termine in einer Entfernung von hunderten Kilometern bevorzugt mit einer kleinen Propellermaschine anpeilte. Zu diesem Zwecke war er vor langer Zeit dem »Fliegerbund« beigetreten, einer Vereinigung, die gemeinsam mehrere Flugzeuge besitzt und an die Mitglieder verleiht. Wer nun einen Flug zu absolvieren hatte, suchte sich das geeignete Gerät aus und zahlte einen angemessenen Stundensatz plus Sprit. Das große Manko an dieser Regelung lag jedoch darin, dass man als Mitglied eines Vereins nicht das alleinige Diktat führen konnte, sondern immer in Abstimmung mit Gleichgestellten entschied. Dem Herrn Alfred Bammer dürfte dies wohl kaum geschmeckt haben. Oft berichtete er während der Mittagspause von den skandalösen Zuständen in diesem Verein, dass der abgehobene Vorstand die Wartungsarbeiten quasi unter der Hand an befreundete Unternehmen vergebe und dass diese nicht mit der entsprechenden Sorgfalt durchgeführt würden. Mit einem leitenden Vereinsmitglied kam es daraufhin zu einem tiefgreifenden Zerwürfnis. So schrieb dieser Diplomingenieur unserem Chef auf dessen Firmen-E-Mail. Sinngemäß teilte er unserem Herrn Bammer mit, er könne sich seinetwegen in seiner Firma aufführen wie ein Kaiser, im Verein aber habe er sich den Statuten und Beschlüssen der Gremien unterzuordnen. Vermutlich war es nur ein fataler Irrtum, dass der Herr DI dieses E-Mail in BCC (also für den Chef nicht sichtbar) auch an die offizielle Mailadresse der Firma sandte. So erlangte schließlich auch ich eine Kopie dieses Schreibens. Die geschilderten Charakterzüge waren uns Mitarbeitern leidvoll bekannt, nun konnten wir mit einiger Häme darüber schmunzeln, wie dem Chef hier ein Spiegel vorgehalten wurde.
Das Fass war damit übergelaufen. Im Verein stand die Neuwahl des Vorstandes an. Nun dürft ihr raten, wer sich für die Position des neuen Vereinsvorstandes berufen fühlte. An mich erging in diesem Zusammenhang der Auftrag, ein gediegenes »Propagandaschreiben« zu erstellen, in welchem die herrschenden Zustände kritisiert und eine strahlende Zukunft der Vereinigung unter der Ägide des Herrn Bammer angekündigt wurden. Als Bildmotiv für den Kopf der Aussendung wählte ich das Triebwerk einer Propellermachine vor strahlend blauem Himmel und kleine weiße Wolkenfetzen im Hintergrund, dies ließ ich abgesoftet verlaufen und in einen martialisch-revolutionären Text übergehen. Ich hätte nach Lektüre dieses Schreibens mit Sicherheit meinen Chef gewählt. Von diesem Rundbrief druckte ich etwa 160 Stück, die Kuvertierarbeit muss wohl die Chefin übernommen haben. Leider kam die Wahlpropaganda bei den Vereinsmitgliedern anscheinend nicht ganz so gut an. Obwohl alles Weitere reinste Geheimsache war und ich natürlich von offizieller Seite keinerlei Informationen mehr erhielt, erfuhr ich Folgendes: Der Vorstoß muss blamabel gescheitert sein. Bereits am nächsten Tag traten der Chef, unser Junior (welcher die Flugleidenschaft des Vaters zwangsläufig teilen musste) und unser Pilot, ein Freund des Chefs, aus dem Fliegerbund aus. Nun war aber wirklich Feuer am Dach: Wie lange würde die Firma wohl noch bestehen können, so gänzlich ohne Zugang zu einem Fluggerät? Alle Besuche mit dem Auto oder per Linienflug zu absolvieren und dabei nicht einen einzigen Kilometer zur Aufrechterhaltung der Pilotenlizenz zu erfliegen, das war eine höchst prekäre Situation. Die Stimmung war schlecht. Eine große und kostspielige Messe stand an. Zumindest war es nicht
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