Die späteren Zeugnisse sind, wie nicht anders zu erwarten, zahlreicher. Hier eine Auswahl:
Max Müller, später Professor für vergleichende Philologie in Oxford, war zusammen mit Fontane 1842 in Leipzig Mitglied der Herwegh-Gesellschaft. Er erinnerte sich 1898 in seinen Memoiren:
Während meiner Zeit in Leipzig […] gehörte ich sogar einer literarischen Gesellschaft an und ich erinnere mich an […] Theodor Fontane, [er] lebt noch und ist einer der bekanntesten und beliebtesten Romanciers seiner Zeit. Er war eine charmante Persönlichkeit, ein Mann von großen Gaben, voller geistiger Lebhaftigkeit und unerschöpflicher guter Laune. Er begann sein Leben in einer Apotheke und hatte in seiner Jugend viel durchzumachen, was ihn vielleicht daran gehindert hat, seine volle Größe und Kraft zu erreichen. Er wäre wo möglich ein zweiter Heine geworden, aber viele Jahre harter Arbeit und hoffnungsloser Plackerei ließen ihn nicht den Höhenflug gewinnen, zu dem seine jungen Flügel ihn berechtigten.
Der Schriftsteller und langjährige Freund Paul Heyse schilderte seinen Eindruck bei der ersten Begegnung mit Fontane im ›Tunnel über der Spree‹ 1844 in einem sicher etwas verklärenden Gedicht zum 70. Geburtstag des Freundes 1889:
Da ging die Tür, und in die Halle
Mit schwebendem Gang wie ein junger Gott
Trat ein Verspäteter, frei und flott,
Grüßt in die Runde mit Feuerblick,
Warf in den Nacken das Haupt zurück,
Reichte diesem und dem die Hand
Und musterte mich jungen Fant
Ein bißchen gnädig von oben herab,
Daß es einen Stich ins Herz mir gab.
Doch: Der ist ein Dichter! wußt’ ich sofort.
Bernhard von Lepel, damals Fontanes engster Freund, charakterisierte ihn wiederholt in seinen Briefen an ihn. 1849 erwähnte er dessen »feuriges Auge und […] dunkles fantastisch ungeordnetes Haar«. Und zehn Jahre später schrieb er:
Du bist, was der Reiter einen Durchgänger nennt. Es ist auch nicht zu läugnen, daß Du von Deinem Temperament Vortheile hast, die ruhigeren Naturen abgehn. Ich meine namentlich die Sicherheit Deines Auftretens, die Ueberzeugung, von der Du tief durchdrungen bist, u. die Leidenschaftlichkeit, mit der Du sie mitzutheilen pflegst. Es spukt da etwas Französisches in Deinem Blut, […]. Indeß hat es auch schon Nachtheile gebracht. Sowohl bei Deinen Arbeiten, namentlich wo Du den Politiker herauskehrst, als auch im Verkehr mit Anderen.
Der Architekt Richard Lucae begleitete Fontane 1863 auf einer märkischen Wanderung. Später amüsierte er sich über diesen gemeinsamen Ausflug:
Fontane war übrigens zum Totlachen komisch. Von jedem alten Stein wollte er womöglich einen ganzen Roman ablesen (u. that es meist auch), u. ich sollte ihm von jedem Schnörkel womöglich Tag und Stunde seiner Geburt bestimmen. […] Der Eifer, der unsern alten Nöhl [Fontanes Spitzname] für seine Arbeit beseelt, ist wirklich rührend.
Der Jurist und Romancier historischer Romane Felix Dahn erinnerte sich an Fontane als an einen
Mann in der Vollblüte der Jahre, hoch aufgeschossen, so hoch und schlank, daß Brust und Schulter fast zu schmal geraten aussahen; ein bleiches langgezogenes Gesicht mit blitzenden, dunkelblauen Augen war umflutet von einer Fülle seidenweichen schwarzen Haares. Die ganze Gestalt so geschmeidig und so vornehm wie die eines englischen Knight of Percy Relics.
Und zu guter Letzt soll Gerhart Hauptmann zu Wort kommen, der, rund vierzig Jahre jünger als Fontane, in den 1890er Jahren bei diesem zum Dinner eingeladen war:
Die Unterhaltung bei Tische war eine prickelnde. Der alte Herr liebte eine gewisse Pikanterie, […]. Gewagteste Zweideutigkeiten indes – hier trat die französische Abkunft des Dichters zutage – gingen unter in dem bezaubernden Fluß seiner meist übermütigen Konversation.
»Mein ratlos widerspruchsvolles Wesen«
Als Henri Théodore Fontane am 30. Dezember 1819 in Neuruppin geboren wurde, lebte die hugenottische Familie schon seit mehreren Generationen in der Mark Brandenburg, hielt aber das Bewusstsein ihrer Herkunft aus Südfrankreich wach. Fontane nannte sich einen »Märker, aber noch mehr Gascogner« und gestand 1888 seiner Frau: »Wie stolz und glücklich bin ich, dass ›meiner Ahnen Wiege‹ in Languedoc, ja sogar in der Gascogne gestanden hat.« Noch als alter Mann sprach er von seiner »eigensten südfranzösischen Natur« und von der »Wonne, einem höhren Culturvolk […] anzugehören«. Sein Vater, »ein großer, stattlicher Gascogner« ( Meine Kinderjahre ), wuchs noch in einer französischsprachigen Familie auf, Theodor selbst aber beherrschte die Sprache nur noch unvollkommen. Sein jüngster Sohn berichtete nach dem Tod des Vaters, man pflegte den Familiennamen »nach wie vor mit französischem Anklang, das heißt mit Nasallaut und stummem e auszusprechen – jedoch mit Betonung auf der ersten Silbe und nur ›an Sonn- und Feiertagen‹«. In Schach von Wuthenow hat Fontane den halb-assimilierten Hugenotten mit Tante Marguerite, »einer echten Koloniefranzösin«, ein karikierendes Denkmal gesetzt: Sie war
eine alte Dame, die das damalige, sich fast ausschließlich im Dativ bewegende Berlinisch mit geprüntem Munde sprach, das ü dem i vorzog, entweder »Kürschen« aß, oder in die »Kürche« ging, und ihre Rede […] mit französischen Einschiebseln und Anredefloskeln garnierte.
Aber das Französische in Fontane bezog sich nicht auf seine nationale Identität, sondern nur auf seine Persönlichkeit, auf seine »angeborne Artigkeit« und auf »Leichtigkeit, Grazie, Humor«, die er in der deutschen Literatur vermisste: »Das romantisch Phantastische […] bildet meine eigenste südfranzösische Natur.« Seiner nationalen Identität nach empfand Fontane sich als Preuße. Mit Ausnahme weniger Jahre verbrachte er sein Leben in der Mark Brandenburg, ja er entwickelte sich zu einem der ›preußischsten‹ Autoren – auch wenn er dabei im Lauf seines Lebens zwischen demonstrativer Anpassung und kritischer Distanz schwankte.
Über 65 Jahre lebte Fontane in Berlin. Seine Kindheit aber verbrachte er in dem »spießbürgerlichen« Neuruppin und in dem »poetischen« Swinemünde. Sein Vater betrieb dort jeweils die Apotheke. Doch mit der Familie ging es langsam finanziell bergab, denn »die Spielpassion« des leichtsinnigen Vaters und »die Schenk- und Gebepassion« der strengeren Mutter ( Meine Kinderjahre ) untergruben die familiären Finanzen, und so landete man schließlich in der Apotheke des Oderbruch-Dorfes Letschin. Fontanes charakterlich sehr unterschiedliche Eltern trennten sich 1850. Ihr ältester Sohn Theodor – später wurden noch vier Geschwister geboren – nannte sich in einem Brief an Theodor Storm rückblickend einen »mittelmäßigen Schüler«. »Ohne Vermögen«, schrieb er spät im Leben, »ohne Familienanhang, ohne Schulung und Wissen, ohne robuste Gesundheit, bin ich ins Leben getreten, mit nichts ausgerüstet als einem poetischen Talent und einer schlecht sitzenden Hose. (Auf dem Knie immer Beutel.)« In Meine Kinderjahre beklagte er seinen Mangel an höherer Bildung: »alles blieb zufällig und ungeordnet, und das berühmte Wort vom ›Stückwerk‹ traf, auf Lebenszeit, buchstäblich und in besonderer Hochgradigkeit bei mir zu.« Aber im Laufe seines Lebens eignete er sich eine umfangreiche Bildung an, wie sich an den vielen Zitaten aus klassischen Autoren in seinen Werken und Briefen leicht erkennen lässt.
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