„Du befindest dich hier an einem verborgenen Ort, der den Sündern die Luft abdreht“, sagte Akron abschließend und sprang an Land.
Ich sah mich um. Wir befanden uns in einer nach zwei Seiten zum Wasser hin offenen Riesenhöhle, die mich an den Bauch einer Riesenkrake erinnerte.
„Ein seltsamer Zufahrtsweg für eine Hölle“, entgegnete ich keuchend und fuhr dann fort: „Ist sie nur mit einem Schiff zugänglich?“
„Ganz recht“, antwortete er und streckte mir seine Hand entgegen, um mir aus dem schwankenden Kahn zu helfen, „man kann sie nicht im Kopf, sondern nur im dunkelsten Bereich der Seele über die Atemwege erreichen.“
„Ich ringe immer noch nach Luft“, wimmerte ich gequält und packte seine Hand.
„Das betrifft nicht dich, das betrifft nur die Sünder. Ihr Zugang erfolgt oft über den Zustand emotionaler Besessenheit mit der Neigung zum Erstickungstod“, differenzierte er seine Aussage und zog mich aus dem Boot. „Paß auf, daß die sauerstoffarme Atmosphäre nicht deine verdrängten Geburtsszenen auslöst, sonst bleibst du möglicherweise in den Fragmenten deiner erwachenden Erinnerung hängen!“
„Was willst du damit sagen, Akron?“ wollte ich wissen, als ich wieder festen Boden unter meinen Füßen fand.
„Damit möchte ich nur sagen, daß wir uns den Bildern deiner zukünftigen Alpträume nähern, und dazu brauchen wir mehr Licht“, gab er unserem Gespräch eine andere Richtung und riß eine der Fackeln, die den Anlegeplatz markierten, aus der Halterung. „Alle Seelen, die sich zu dieser Hölle hingezogen fühlen, werfen die brennende Fackel des Schmerzes in die offene Wunde ihrer Schuld. Dahinter wirkt die verborgene Schwerkraft des Todestriebes, die deshalb etwas so ungemein Fesselndes für uns hat, weil die Schwester der Lust am Untergang die Lust an der Erlösung ist!“
Im Lichtschein der Fackel sah ich, daß in der Höhle ein riesiges Fresko wie über eine gewölbte Zirkuskuppel aufgespannt war. Sämtliche Flächen waren mit Sado-Maso-Szenen übersät und stellten eine Vielzahl von Folterszenen dar. Einigen der geräderten oder gepfählten Sünder wurden brennende Fackeln an den Leib gedrückt, anderen wurde das Fleisch mit glühenden Zangen vom Leib gerissen. Die meisten Motive waren von Hieronymus Bosch, doch das Hauptmotiv stellte der „Baphomet“ von H. R. Giger dar, der auf einem schwarzen Würfel inmitten einer riesigen Menge saß.
„Akron, was sind das nur für schreckliche Bilder?“ Irgendeine unangenehme Energie schien von ihnen auszugehen, zumindest fühlte ich eine üble Kraft, die auf mich einwirkte.
„Es ist die Lust am Schmerz, die jede Seele befällt, die diesen Ort betritt, und zwar umso stärker, desto tiefer sie tritt.“ Er zeigte mit der Hand auf eine Öffnung im Boden: „Unten in den Katakomben werden diese Bilder real erlebt, wenn die Sünder die Szenen in ihrem lebendigen Ausdruck erfahren müssen.“
„In welchen Katakomben…?“ versuchte ich den Punkt zu klären, denn die Räume darunter konnten nicht viel größer als der Grundriß dieses Bauwerks sein.
„Die Hölle befindet sich in den unergründlichen Kellerschächten dieses Turms“, bemerkte er und steuerte auf das dunkle Loch in der Mitte des Raumes zu.
„Wie hat die Hölle in diesem engen Gemäuer Platz?“ Ich versuchte ihm zu folgen, so gut ich konnte, und so kamen wir nach etwa zwanzig Fuß an eine enge Wendeltreppe, die sich wie ein Korkenzieher in die Tiefe drehte.
„So wie jeder Baum nach unten Wurzeln hat“, erklärte Akron und betrat die Stufen, „genau so hat auch dieser Turmbau einen Keller. Und der Keller reicht genauso weit in die Tiefe, wie der Turm über der Erde in die Höhe ragt.“ Nach etwa sechzig spiralförmigen, engen Serpentinen kamen wir unten in einem kleinen Vorhof an, von dem verschiedene, in den Felsen gehauene Gänge wie Wurmlöcher abzweigten. „Die Umwandlung von Libido in Schmerz ist das Thema dieser Hölle“, fuhr er fort, „und indem die Sünder ihren Untergang feiern, sind sie ihr eigener Opfergott, der sich in der Selbstzerstörung erlöst.“
Ich folgte ihm durch einen der schmalen Seitengänge, der vom Vorhof abzweigte, und kroch durch einen unterirdischen Schacht, aus dem von oben durch merkwürdige Löcher ein schummriges Licht hereinfiel, obwohl wir uns nach meinem Ermessen direkt unter dem See befinden mußten. „Die Sünder stehen mit großer Angst vor dem Verlust ihrer Identität - angesichts der Tatsache, daß sie sich selbst opfern müssen, um das ganze Loch ihrer Schuldgefühle auszufüllen. Deshalb ist dieser Ort die Hölle ihrer inneren Bilder, denn sie wähnen sich in der Schöpferrolle, und ihr einziges Ziel ist es, die Welt ihren inneren Ängsten nachzubilden. Doch genug geredet, wir sind da“, sagte Akron, „vor dir befindet sich der Eingang zur Hölle!“
„Was glaubst du, Akron, was mich hier erwartet…“, wagte ich schüchtern einzuwenden.
„Geh einfach hinein, dann erfährst du es gleich“, lächelte er freundlich und trat einen Schritt beiseite.


Sonne in Skorpion
Hölle
Die Qual emotionaler Psychosen (das Inferno exzessiver Folter gegen andere und sich selbst)
Sünder
Schwarzmagier, böse Hexen, exzentrische Dominas, grausame Vampire (Mafiosi, Sadisten, Zuhälter, Krisengewinnler)
Disposition
Der Schattenbereich von Sonne im Skorpion und Sonne im 8. Haus sowie disharmonische Sonne/Pluto-Aspekte
Schuld
Übertriebenes Machtstreben, Persönlichkeitskult und sexueller Zerstörungswahn mit der Neigung zum Exodus
Strafe
Dein ständiges Verlangen, andere Menschen durch hemmungslose Manipulation für deine eigenen Ziele auszubeuten und die Opfer, die dabei auf der Strecke bleiben, grausam zu verachten, läßt dich hier nun zum Zielpunkt deiner eigenen Phantasien werden. Du verlangst nicht nur, daß die dich Liebenden dir alle Wünsche erfüllen, sondern schaffst es auch noch, dich als Opfer ihrer Abhängigkeit darzustellen und sie zu beschuldigen, wenn sie dir nicht bringen, was du von ihnen verlangst. So wie du als Vampir die Energie (Libido) und das warme Blut der anderen für dich abgezogen hast, um daraus deine eigene magische Welt zu bauen, so saugt dich dieser Ort aus, um die Energien denen zurückzugeben, von denen du sie dir ausgeborgt hast. Ohne diese Kraft der anderen wirst du mit deiner eigenen, gnadenlosen Exzessivität konfrontiert, die deine Sexualität absorbiert, dein Innerstes nach Außen stülpt und dir nichts erspart, was du anderen an Grausamkeit und Leid zuzufügen dir vorstellen kannst.
Lösung
Als Vision jenes ultimativen Tribunals, das deiner harrt, läßt dieser Ort keine Form der Apokalypse aus. Die wahre Hölle ist in dir, wo dich der Geist deiner schrecklichsten Alpträume erwartet, um dich mit den Vorstellungen deiner eigenen Seele zu konfrontieren. Wie ein Ungeheuer, das dich zu Tode erschreckt, um dich eindringlich vor den Konsequenzen deines Handelns zu warnen, verschlingt dich der Dämon, aber bevor er dich kastriert, drückt er dir seinen vergifteten Kuß auf, und mit einem Stöhnen der Wollust durchglüht dich der rasende Schmerz. Der Augenblick, in dem dir der Widerspruch, nämlich Lust und Schmerz, aus deinem tiefsten Innersten entgegensieht, ist gleichzeitig der Moment, in dem du die eigene Hölle erkennst, die du da draußen in der Welt kreierst. Spätestens dann, wenn du durch deine eigene Lust und den eigenen Schmerz erkennst, daß deine wahre Stärke nicht darin liegt, beides zu genießen, sondern schonungslos zu den Quellen der Ursprünge vorzudringen und die Grundlagen des menschlichen Wesens zu erkennen, wirst du darin die wahre Ursache für dein Verhalten entdecken und dadurch den eigentlichen Sinn deiner Geburt.
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