Die Zeitungen werden förmlich verschlungen; leider kommen sie aber nur unterbrochen und verspätet an.
5. August 1914:Heute kam der Stationsvorstand – Deutscher – atemlos in die Stadtkanzlei gelaufen und meldete, dass laut einer Drahtnachricht französische Autos bei Reichenbergdie österreichische Grenze überschritten haben und daher die Barrikaden strengstens zu bewachen seien. Dies wurde sofort angeordnet, und die Feuerwehr ließ ihre Mitglieder durch Hornsignale zusammenrufen. Eine halbe Stunde später meldete wieder der Finanzwach-Reszipient, dass die Insassen der Autos diese verlassen haben und nunmehr als verkleidete Maurer auf Fahrrädern ihre Reise weiter fortzusetzen beabsichtigen, wobei sie wahrscheinlich größere Orte umfahren. Es ist daher weniger auf die Barrikaden als auf die nächsten, außerhalb des Ortes gelegenen Verbindungswege zu achten.
Nachmittags. Telegramm, aufgegeben in Mittelwalde um 12.42 Uhr: ‚Französischer Konsul bereits in Mittelwalde, darf nach Österreich nicht eingelassen werden, nimmt Richtung Oderberg.’
Nachdem von diesem Telegramm die Bahnämter, Gendarmerie und Finanzwache Kenntnis haben, kommt es für das Stadtamt weniger in Betracht.
5 Uhr. Soeben wird die Nachricht verbreitet, dass der radikaltschechische Abgeordnete Klofatsch in Prag standrechtlich erschossenwurde. Da aber in diesen Tagen viel gelogen wird, glaube ich dieser Botschaft nicht. Verdient hätte er solches Schicksal schon vor zwei Jahren, als er in Serbien gegen Österreich Hochverrat spann.
Heute gegen Abend wurde die polizeiliche Bekanntmachung verlautbart, dass nach 10 Uhr abends in der Gemeinde vollständige Ruhe zu herrschen habe und dass Gruppenansammlungen verboten sind, was auch befolgt wurde. Vor dieser Stunde herrschte aber auf allen Plätzen und Gassen ein Lachen und Scherzen, als wollte man sich für das spätere ungewohnte Schweigen entschädigen. Das Publikum zog wie an einem Fest herum, obwohl schon die Nachricht bekannt geworden war, dass England an Deutschland den Krieg erklärthabe.
6. August 1914:Diensttelegramm, aufgegeben in Olmütz, am 6. August um 3.45 Uhr früh im Bahnstationsamt Grulich angekommen. Dringend. ‚ Feindliche Aeroplanekommen von Breslau der Eisenbahnstrecke entlang und werfen Bomben. Sämtliche Posten, Gendarmerie und Behörden sofort melden.’
Weitere Telegramme.
‚Teplitz 6. August. ‚Ein feindliches Luftschiffwurde über Zell a. d. Donau gesichtet, zwischen 9 bis 10 Uhr abends in der Richtung gegen Ungarn. Ein Aeroplan donauabwärts durch Pöchlarn, Direktion A. T. E
Von allen diesen Aeroplanen haben wir in Grulich glücklicher Weise nichts bemerkt.‘
‚Olmützer Direktion 6/8 11. V: ‚Vom Statthaltereipräsidium in Brünn folgende Depesche angelangt: Von Ratibor sind russische Aeroplaneauf der Fahrt nach Breslau der österreichischen Grenze entlang und werfen Bomben. Gendarmerieposten und Behörden verständigen.‘
Heute keine Zeitungen angelangt. Verlangen danach ist groß.
7. August 1914:Diensttelegramm Olmütz, Direktion, 7. August 9.48 Uhr. ‚Laut Nachricht von Röderau und Welbten besteht dringender Verdacht, dass die französischen Autos versuchen, Geldsäcke und Kisten auf Landfuhrwerke und Bauernkarren umzuladen. Es werden auf allen Chausseen und Feldübergängen Fuhrwerke jeder Art anzuhalten und eingehend zu durchsuchen sein. Es ist ersucht worden, außer Bahnbediensteten auch Orts- und Polizeibehörden, Feuerwehr und Dienststellen des verschärften Bahnschutzes sofort zu benachrichtigen und für Weiterverbreitung an die Ortsbehörden zu sorgen.’
Olmütz Nordböhmen, 7. August 11.45 Uhr. ‚Ein feindlicher Aeroplan Richtung Prerau-Olmütz.’
Deutschland weist sämtliche junge Österreicher aus, damit sie hier ihre militärischen Pflichten erfüllen.
Wie mir gestern ebenfalls ein gewisser Grulicher aus Preussen erzählte, ist die Erbitterung in Deutschland über den ruchlosen und schändlichen Überfall durch Russland und Frankreich ungeheuer. Eine Million Männer haben sich schon freiwillig zum Kriegsdienste gemeldet. Selbst Mütter bringen mit Entschlossenheit 16jährige Söhne dem teuren Vaterlande dar!
Eine Zeit wie jetzt wird kaum mehr ein Geschlecht erleben; ein Meer von Blut und Tränen bereitet sich vor.
Bei Lichtenau soll heute ein Aeroplan niedergegangen sein. Gendarmerie und Polizei begaben sich sofort dahin; aber diese Nachricht erwies sich als Lüge. Nach dem Urheber wurde zwar gefahndet, er konnte aber nicht ermittelt werden.
8. August 1914:Telegramm Olmütz. Direktion, 8. August 12.00 Uhr. ‚Nach Mitteilung des hiesigen Bahnkommandos sollen heute ab 5 Uhr früh deutsche Flieger unterwegs sein. Die beteiligten Organe sind zu verständigen, dass beim Nahen der Flieger nicht geschossen wird.’
Auch diese Flieger wurden hier nicht gesehen.
Goldgeldgibt es überhaupt nicht mehr. Auch das Silber- und teilweise sogar Nickelgeld verschwindet aus dem öffentlichen Verkehr, weil viele Leute es unvernünftiger Weise zurückbehalten und auf Banknoten kein Kleingeld herausgeben. In einzelnen Geschäften müssen die Leute entweder genau abgezähltes Geld hinlegen, oder es wird vertrauenswürdigen Kunden so lange geborgt, bis eine runde Summe, die einer Banknote entspricht, aufgelaufen ist.
Das führt zu empfindlichen Verlegenheiten.
Die Lebensmittelsteigen im Preis. Weizenmehr früher 1 Kilo zu 44 Heller kostet jetzt 60 Heller.
Die Sammlung für die armen Angehörigen der Eingerückten hat den Betrag von 1.309,80 Kronen ergeben. Es wurde aber nicht bei allen Bewohnern, sondern nur bei den wohlhabenden gesammelt.
14. August 1914:Nach einer Prager Zeitung entsprechen die Drahtnachrichten über die Autos mit der Millionenfracht, die radfahrenden Maurer usw. nicht der Wahrheit. Seither sind schon mehrere Telegramme über Autos und Aeroplane hier eingetroffen, die ich aber nicht mehr anführe.
17. August 1914:Telegramm: ‚Entscheidender Sieg der Österreicher bei Waljewo.Viel Kriegsmaterial erbeutet. Serben werden verfolgt. Unser 16. Inft. Regnt besonders tapfer gewesen.’
Schon vor einigen Tagen hatte das Redemptoristenkollegium3 in Niederheidisch einen großen Reisighaufen links der großen Steige aufschichten lassen, welcher mit brennbaren Stoffen getränkt war und dazu dienen sollte, beim ersten Siege der Österreicher angezündet zu werden, was dann heute Abend geschah. In der Stadt standen und zogen die Leute zahlreich umher. Wenn sie auch einen Sieg zu feiern hatten, so hätte dies in Hinblick auf die blutigen Opfer, die ein solcher kostet, auch in gesetzterer Weise geschehen können. Aber hier war es wie bei einer Faschingsunterhaltung, was bei den jetzigen tiefernsten Zeiten jeden denkenden und fühlenden Menschen abstoßen muss.
In der Stadtkanzlei ist stets sehr viel zu tun. Kaum sind die Anmeldungen auf Unterhaltsanspruch der Angehörigen der Eingerückten an die Bezirkshauptmannschaft eingesandt, so erkundigen sich schon die Weiber, wie weit die Unterstützung gediehen ist. Heute war eine Menge Fabrikweiber gleichzeitig in die Kanzlei gekommen, um die staatliche Unterstützung zu betreiben. Ich machte sie aufmerksam, dass jetzt alle Ämter viel Arbeit haben und daher einige Geduld nötig sei. Einzelnen sehr Bedürftigen mussten Vorschüsse von 10 bis 20 Kronen gegeben werden. Es ist übrigens Tatsache, dass mehrere Weiber aus der Kolonie sich nicht schämten, schon einen Tag nach der Einrückung ihres Mannes Vorschüsse auf den Unterhaltsbeitrag zu begehren. Das berechtigt mich zu der Kritik: Viele Fabrikarbeiter, die bis jetzt immer guten Verdienst hatten, haben eben alles flott verlebt und keine Ersparnisse gemacht. Jetzt sind die meisten am Trockenen. Aber einige meinen: ‚Wenn kein Verdienst mehr sein wird, gehen wir auf die Felder und raufen die Erdäpfel aus.’
Читать дальше