»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht«, sagt der hochrangige Vertreter einer westlichen Supermacht, dessen Namen ich nicht nennen darf – das gehört zu den Spielregeln, auf die wir uns vor dem Gespräch geeinigt haben. Im Vorzimmer seines Büros laufen rund um die Uhr Nachrichten von CNN, so als sei die Botschaft mit dem Sender verkabelt, und an der Wand hängt ein Evakuierungsplan mit der Aufforderung, im Fall eines Angriffs Geheimdokumente zu vernichten und alle Türen offen zu lassen, damit kein Botschaftsangehöriger im Innern des Gebäudes eingeschlossen wird. Daneben ein Poster mit Gebrauchsanweisungen zum Nachladen einer »Beretta«, wie sie Geheimagent 007, alias James Bond, zum Töten benutzt. Trotz der Sicherheitsmaßnahmen wirkt die Atmosphäre zivil und entspannt.
»Die gute Nachricht ist, daß Darfur kein zweites Ruanda ist. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich war lange in Kigali stationiert.« Er zeigt auf eine großflächige Landkarte, die neben Farbfotos des Außenministers und des amtierenden Präsidenten über seinem Schreibtisch hängt. »Die schlechte Nachricht ist, daß es sich um den schlimmsten Konflikt im heutigen Afrika handelt. Ethnische Vertreibung – kein Völkermord, aber nahe daran!«
Der Diplomat zwingt sein zuckendes Knie zur Ruhe und erläutert anhand der Landkarte, daß der in der Sahelzone liegende Osten des Tschad ein ökologisches Krisengebiet und zugleich Schauplatz einer humanitären Katastrophe ist. Das fragile Gleichgewicht sei schon jetzt zerstört durch zu viele Menschen, zu wenig Wasser und zu viel Vieh – und mit ihm der innere Frieden des Vielvölkerstaats Tschad. »Arabischstämmige Milizen morden, plündern, stehlen und vergewaltigen in Komplizenschaft mit der sudanesischen Armee, die ihnen Waffenhilfe leistet, während die Regierung in Khartum die Augen verschließt und angeblich von nichts weiß. In der Provinz Darfur leben zwei Millionen Menschen, von denen 800 000 aus ihren Dörfern vertrieben worden sind und seit Monaten schutzlos umherirren. 110 000 Flüchtlinge haben die tschadische Grenze überschritten, und mindestens 10 000 Männer und Frauen, Kinder und Greise wurden von Janjaweeds – so heißen die Nachfahren der arabischen Sklavenjäger – massakriert oder verschleppt. Die Zahlen sprechen für sich!«
Zum Abschied überreicht man mir einen Computerausdruck: Die Rede des amerikanischen Delegationsleiters Richard S. Williamson bei der Genfer Sitzung der UN-Menschenrechtskommission, die sich nur zu einer verhaltenen Verurteilung Sudans durchringen konnte. Ohne Namen zu nennen, geißelt Williamson die Halbherzigkeit der Europäer und vergleicht die ethnische Vertreibung in Darfur mit den Killing Fields in Kambodscha und dem Völkermord in Ruanda.
Der sudanesische Botschafter ist nicht einverstanden mit dieser Sicht. Hassan Bechir Abdulwahab – sein Name unterliegt nicht der Geheimhaltung – trägt ein weißes Gewand mit Turban und empfängt mich mit orientalischer Höflichkeit. Er war vor Öffnung des Eisernen Vorhangs in Prag stationiert und fuhr von dort nach Weiden in die Oberpfalz zum Einkaufen. Bechir liebt Deutschland und ging als zahlungskräftiger Kunde bei Mercedes in Sindelfingen aus und ein. »Europa versteht uns besser als Amerika«, sagt der Diplomat und schiebt mir eine Silberschale mit Datteln zu. »Ihr trinkt Tee mit uns und hört zu, was wir zu sagen haben. Die Amerikaner sind daran nicht interessiert. Sie wollen uns ihren Willen aufzwingen durch Diktat an Stelle von Dialog.«
Er winkt einem folkloristisch gekleideten Diener, der mir bittersüßen Tee einschenkt – eine Wohltat bei der trockenen Hitze hier. Der Botschafter lehnt sich zurück und erklärt, die Regierung in Khartum wolle freundschaftliche Beziehungen zu den USA. Sie sei Washington in jeder Hinsicht entgegengekommen: Durch die Auslieferung des Terroristen Carlos und durch frühzeitige Hinweise auf Osama Bin Laden, dessen Firma im Sudan Straßen gebaut habe. Anstatt die Hinweise ernstzunehmen, habe das Pentagon als Vergeltung für den Bombenanschlag von Nairobi eine Medikamentenfabrik in Khartum zerstört und die zugesagte Wiedergutmachung nie bezahlt. Dabei habe die sudanesische Regierung mit Terroristen nichts im Sinn – im Gegenteil: Den fundamentalistischen Heißsporn Turabi habe sie politisch kaltgestellt. Er kenne ihn persönlich: Hassan Turabi sei ein anerkannter Experte für islamisches Recht, aber statt sich auf Gelehrsamkeit zu beschränken, predige er Haß und habe sich durch seinen Fanatismus selbst ins Gefängnis gebracht. Der Mann sei verrückt!
»Und was sagen Sie zu den Menschenrechtsverletzungen im Westsudan?«
Bechir beugt sich vor und zündet sich eine Zigarette an. »In Darfur lebten zahlreiche Ethnien friedlich nebeneinander: Zaghawa, Fur, Massalit und andere. Letztes Jahr zettelten die Zaghawas einen Aufstand gegen die Zentralregierung an, unterstützt durch Waffen und Soldaten aus dem Tschad. Dessen Staatschef Déby ist unser Freund, denn er kam mit sudanesischer Hilfe an die Macht.« Doch die tschadische Armee werde von Zaghawas dominiert, die in Darfur einen separaten Staat errichten wollten. Sie glaubten, der Moment zum Losschlagen sei gekommen, als die Regierung in Khartum, als Zeichen ihres guten Willens, Waffenstillstand schloß mit den Rebellen im Südsudan. Um den Friedensprozeß zu stören, hätten die Zaghawas Polizei- und Militärposten angegriffen. »Wir sind verpflichtet, unsere nationale Souveränität zu verteidigen, und die sudanesische Armee hat den Aufstand niedergeschlagen. Falls es dabei zu Menschenrechtsverletzungen kam, bedauern wir dies und haben unsere Bereitschaft erklärt, UN-Beobachter und Hilfsorganisationen nach Darfur einreisen zu lassen. Trotzdem wird Sudan als Schurkenstaat verteufelt und in den Medien an den Pranger gestellt!«
Szenenwechsel . Carnivore heißt Fleischfresser, und das Restaurant trägt seinen Namen zu Recht. Hier gibt es die besten Steaks von N’djamena, und nach Einbruch der Dunkelheit findet eine andere Art Fleischbeschau statt. Junge Frauen aus Kamerun, die im Tschad Abitur machen – das Kameruner Abitur wird in Frankreich nicht anerkannt – geben sich ein Stelldichein mit Geschäftsleuten, Diplomaten und Entwicklungshelfern. Einer von ihnen ist Georges, der seit drei Jahren in einer Oase im Norden des Tschad arbeitet, wo es weder Alkohol noch Frauen gibt: Ehemänner, Brüder und Väter halten sie eifersüchtig unter Verschluß. Alle zwei Wochen fährt er in die Hauptstadt, um Pernod zu trinken und sich sexuell auszutoben. Ich will wissen, wie er sich gegen AIDS schützt. »Es gibt zwei Denkschulen. Mein russischer Kollege behauptet, Wodka sei das sicherste Mittel gegen AIDS. Aber das ist russisches Roulette. Am besten legt man sich eine feste Freundin zu!« Zur Zeit hat Georges Liebeskummer: Seine Ex-Geliebte hat Abitur gemacht und ist nach Jaunde zurückgekehrt, und er kann sich nicht entscheiden zwischen Frau und Kind in Lyon und einer anderen Kamerunerin. Während Georges das Für und Wider erörtert, fegt eine Sturmbö durch das Gartenlokal, die Äste von den Bäumen und Speisekarten über die Tische wirbelt – ein Vorbote der Regenzeit, die den Osten des Tschad in eine Schlammwüste verwandeln wird.
Georges Nummer zwei, ein Namensvetter des Entwicklungshelfers, ist aus anderem Holz geschnitzt. Der Jesuitenpater arbeitet seit 36 Jahren im Tschad, trägt ausgelatschte Sandalen, und Malaria oder Hepatitis hat seine Haut gelb gefärbt. 1984 – 86 hat er eine katastrophale Dürre miterlebt, in der die Bauern Haus und Hof verließen und ihre Kinder im Busch aussetzten, weil sie weder Wasser noch Nahrung fanden. Zehn Jahre zuvor hatte ein Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd das Land in feindliche Lager geteilt; wer die unsichtbare Front überschritt, wurde verdächtigt, ein Kollaborateur oder Verräter zu sein.
»Stammesfehden haben hierzulande Tradition, denn alle ethnischen Gruppen haben alte Rechnungen miteinander zu begleichen«, sagt Pater Georges, der mir im Büro des Erzbischofs, der Procure, unter einem Papst-Poster gegenübersitzt. »Nicht nur Polizei und Armee, auch die Nachbarstaaten Sudan und Libyen mischen in undurchsichtiger Weise mit. Es geht um die Verteilung immer knapper werdender Ressourcen, und für Nomaden ist Viehdiebstahl kein Verbrechen, sondern Ehrensache. Die Zaghawas sind ein altes Kriegervolk, und bevor sie in Darfur rebellierten, haben Zaghawa-Söldner in der Zentralafrikanischen Republik einen dem Tschad genehmen Putschoffizier namens Bozizé an die Macht gebracht. In letzter Zeit aber nehmen die Verteilungskämpfe immer bestialischere Formen an, und was derzeit an der sudanesischen Grenze passiert, sprengt den Rahmen der üblichen Banditentätigkeit und ist offener Krieg. Passen Sie auf sich auf!«
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