Hans Ostwald/Heinrich Zille
Das Zille-Buch
Mit 223 meist erstmalig veröffentlichten Bildern
Das Zille-Buch
Hans Ostwald/Heinrich Zille
Mit 223 meist erstmalig veröffentlichten Bildern
Impressum
Texte: © Copyright by Hans Ostwald
Umschlag: © Copyright by Walter Brendel
Illustrator: © Copyright by Heinrich Zille
Verlag: Das historische Buch, 2021
Mail: walterbrendel@mail.de
Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,
Berlin
Inhalt
Einleitung
Zille als Künstler
Zille in der Liebe des Volkes
Wenn man berühmt ist ...
Zille-Feste
Zille und seine Modelle
Zille-Studien und -Akte
Zille-Mächens.
Die Männer der Mächens.
»Milljöh.«
Zille-Kneipen.
Zille-Fräuleins.
Zille-Kinder
Die Jugendlichen
Kleinbürger und Proletarier
Der fünfte Stand
Zille als Sozialkritiker
Aus Zilles Kindheit
Aus Zilles Lehrzeit
Aus der Gesellenzeit Heinrich Zilles
Heinrich Zille und die Soldaten
Zilles Lehrer und Kollegen
Zille-Witze
Zille-Weisheiten
Heinrich Zille
Motto: Am Tage: Arbeit, ernster Wille,
Abends: einen Schluck in der Destille.
Dazu ein bisken Kille-kille,
Das hält munter –
Heinrich Zille.
Das Zillebuch –
Es ist selbstverständlich, dass sich dies Zillebuch nicht mit kunstwissenschaftlichen oder kunsttechnischen Betrachtungen abgibt, sondern vor allem der Persönlichkeit des Künstlers gerecht zu werden versucht.
Seine Bedeutung in der Kunst steht fest. Sie ist offiziell von seinen Kollegen durch seine Berufung in die Akademie der Künste anerkannt worden.
Auch in diesem Buch wird hier und da auf einige wichtige Seiten seines Schaffens eingegangen werden. Es soll eine Darstellung seines Gesamtwerkes werden. Das Wesentliche aber ist der Mensch, der aus seinen Werken und aus seinem Wirken zu uns spricht.
Zille ist immer ein ganzer Mensch gewesen. Als seine ersten Zeichnungen aus dem Volke in den humoristischen Zeitschriften auftauchten, um 1900 herum, empfanden alle Leser, dass hier eine durchaus besondere und bedeutende Persönlichkeit sich äußerte. Eine eigenartige, persönliche Auffassung sprach aus dem kräftigen Strich der Darstellung, die eine ebenso geschulte wie eigenwillige Hand erkennen ließ. Das Dargestellte aber selbst: Volk, elendes, gedrücktes Volk, das sich trotz allem den Humor nicht nehmen ließ, das mit Lachen gegen den Druck und gegen seine kümmerliche Lebenshaltung aufbegehrte.
Zille wurde ein Programm.
Was andere in langen Reden und dicken Büchern sagten, wozu andere jahrelange Untersuchungen brauchten, das teilte er durch seinen Zeichenstift mit wenigen Linien mit. Er übermittelte aber mit seinen humorvollen Darstellungen nicht nur Elendsmenschen und Elendswinkel. Mit voller Liebe und mit vollem Bewusstsein berichtete er auch von der Kraft des Volkes.
Seine Gestalten sind durchaus nicht immer Elendsgestalten. Ja, auf den meisten Blättern sind Kinder und Frauen recht wohlgenährt und die Männer robust und kräftig.
Er glaubte ja auch an das Volk. Er glaubt auch heute noch an das Volk.
1. Pfefferkuchen nach einem Zillebild.
Mitmenschen!
Ja – ich erinnere mich; als ich zum ersten Mal, auf Drängen meiner Freunde, in der ersten Schwarz-Weiß-Ausstellung der Sezession, so um 1901 herum, in der Kantstraße neben dem Theater des Westens, meine Zeichnungen hingegeben hatte – Zeichnungen, die viel besser, wahrer waren als die, die ich später zum Broterwerb geleckter, frisierter bringen
musste, die das herbe Leben der Armen zeigten –, da standen vor den Bildern viele Menschen; und ich hörte, als ich mal lauschte, wie ein älterer Herr, wie es schien, Militär in Zivil oder Hauptmann an der Majorsecke, zu seiner Dame sagte: »Der Kerl nimmt einem ja die ganze Lebensfreude« – da schämte ich mich, so verstanden zu sein!
Ja, und wie es mir passierte, dass ein reicher Kunstjünger, der »Armut« malen wollte und sich dachte, wenn er meine Modelle, die vom Wedding, hätte – dass er sich dann in das »Milljöh« könnte hineinarbeiten, oder dass ihm die Sache dann besser liege –, der aber auszusetzen hatte, der Mutter der Kinder gegenüber: »Det se doch so wenig sauber und so sehr dreckig wären« und dass die Mutter ihm entrüstet erwiderte: »Ja – und for Zillen ken'n se jarnich dreckig jenuch sind –« Soll man sich da eigentlich nicht schämen?
Da hab' ich mich, als ich das später erfuhr, doch etwas geschämt. – Und als mein lieber Freund Karl Arnold, der Zeichner im »Simplicissimus«, ein Bild brachte, das mich zeigt, wie ich vor zwei »wohlhabenden« Männern »untertänigst« stehe und der wohlhabendste mich mit den Worten anspricht: »Nehm' Se sich noch ne frische Habana, Meister Zille, Sie ham uns mit Ihren Nutten un arme Leute imma so ville Freude jemacht!«
... Da schämte ich mich, dass das so wahr war.
Z.
Wenn Zille auch hinterher in seinem Alter manchmal sich kränkt, dass seine Schilderungen nur als Humoristika aufgenommen werden, so liegt doch in seinem Wesen und seiner Kunst so viel Humor, dass er selbstverständlich nicht nur als Elendsmaler gelten kann. Er selbst steckt so voller Eulenspiegeleien, dass er sogar in seiner Krankheit und unter den Erscheinungen des Alters seinen Humor immer wieder explodieren lassen muss. Näheres darüber findet der Leser in den letzten Abschnitten dieses Buches.
2. Pennbruder. Studie nach der Wirklichkeit.
Nach dem Original zum 1. Mal veröffentlicht.
Zille ist aber ganz gewiss der moderne Eulenspiegel. Er löckt mit tolldreisten Streichen und Aussprüchen wider bösartige Erscheinungen aller Art an. Seine humoristische, allerdings manchmal mit einem »Bittern« durchwürzte Lebensauffassung hat zweifellos unsere Weltanschauung und die allgemeine Einstellung zum Volke und zum Leben überhaupt beeinflusst.
Zille selbst blieb allerdings durchaus in seinen Schichten, in seiner Lebensführung sowohl wie in seiner Anschauung. Er blieb im Volksviertel wohnen. Er blieb in seiner Empfindung und seiner Überzeugung kampflustiger Proletarier, der immer auf eine Besserung dieser »besten aller Welten« hindrängt. – Dies aber, dass er sich immer als »Knecht des Kapitals« fühlt, ist seine künstlerische Stärke. Dies befähigt ihn, aus innerstem Erlebnis heraus zu schaffen, jede Linie seiner Gestalten mit ihrem Empfindungsgehalt zu füllen.
Er ist eben aufgewachsen in einer Zeit, als auf der einen Seite das Bürgertum nach außen hin fromm tat, als es aber in Wirklichkeit, verführt durch den Milliardensegen der siebziger Jahre, in übermütigem Genuss viele Ideale verlor. Das einfache Volk fühlte nur die Last der Anforderungen, den harten Druck der Verwaltung und eine quälende Verlassenheit. Die Berufenen, Kirchendiener und Staatsangestellte, fanden nicht den Ton und die Tat, um dem Volke Liebe und reine Lebensfreude zu geben. Zille weiß aus jener Zeit genug volkliche Derbheiten zu berichten und zu schildern. In Wort und Bild.
Gründlich verfehlt wäre es jedoch, nach manchen Zille-Gestalten zu schließen: Zille habe nur die fragwürdigen Elemente des Berlinertums und der Hauptstadt schildern wollen oder er habe nur solche Gestalten als »Volk« gesehen. Nein, er hat alle Schichten des Volkes mit gleicher Liebe geschildert. Das Kleinbürgertum, das arbeitende und werktätige Volk sind in seinem Werk mit gleicher Liebe behandelt worden wie die Außenseiter der Gesellschaft. Ja, wer sein Werk mit Gründlichkeit betrachtet, wird finden, dass er mit besonderer Liebe das sich ehrlich ernährende Volk dargestellt hat. Allerdings ist er an den Außenseitern, an den Entgleisten und Verkommenen nicht lieblos vorbeigegangen.
3. »Wenn man so in de Kintöppe sieht, wie se sich haben – die Lotte Werkmeister, die Cläre Waldoff, die Söneland – der lange Westermeier und der schlacksige Lambert Paulsen – un' wie die Prominenten alle heißen, dann denkt man, det se woll alle in de Kaschemme sind uffgewachsen – aber keene Spur von Klammergast – de janzen Fisimatenten ham se sich von hinten rum abjekiekt und sich so quasi weggestohlen – Kunststück!!«
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