Ich musste nun ›Ja‹ sagen.
›Na, ick habe Sie doch jleich erkannt – nach den Bildern in der Zeitung. Haben Sie't eilig?‹
›Das gerade nicht‹, antwortete ich. ›Aber ich muss fahren, weil meine Beine mich nicht mehr so weit tragen.‹
›Woll'n Sie nich noch'n bißken spazieren fahren? Ick stelle de Uhr ab. Sie kommen doch jewiß nich mehr ville an de frische Luft! .. Un for Zille'n hab' ick immer'n bißken Zeit!‹
Und er fuhr mich raus bis Spandau und dann wieder nach Hause – So richtig durch die schöne Luft ...«
*
»Ein anderer Schofför hatte mich auch mal nach Hause gefahren. Als ich nach der Taxe sah, war die Uhr nicht eingestellt. Ich fragte: ›Ja, was habe ich Ihnen denn für die Fahrt zu zahlen?‹
›Nischt. Herr Zille, nischt!‹ sagte er lächelnd.
›Was denn?‹
›Na – Sie sind doch Meester Zille! Ick habe doch zu Hause alle Bücher von Ihnen. Und da müssen Sie mir schon mal das Vergnügen machen ...‹
Was sollte ich tun? Ich konnte ihm nur die Hand schütteln.«
*
»Als die Vorwahlen zur Wahl des ersten deutschen Reichspräsidenten waren (und die Wahl fiel auf Fritz Ebert), saß ich mit am Wahltisch, in einer kleinen Kneipe, als Beisitzer. Gegen 11 Uhr Vormittag kam ein vergnügtes Volk, Masken vom Maskenball – hatten aber keine Ausweise und wurden durch die Verkleidung auch nicht erkannt. ›Na, aber Herr Direktor,‹ sagten die Mädels, ›wir sind doch alles Zillekinder!‹«
*
Sehr hübsche Erlebnisse erzählt Zille von Aufwärterinnen und anderen weiblichen Wesen, die seine Kunst verehrten:
15. Vadding in Frankreich. Vierzehn Tage Urlaub.
»Du Korl, ick glöw, de Unnerstand von dien Patenkind is nass!«
Ulk 1915.
»Eine Aufwärterin fragte mich, ob ich denn nun wirklich Professor sei?
›Nee,‹ sagte ich, ›das gibt's doch jetzt nicht mehr in der Republik, dass einer einen Titel kriegt, der nicht auch das Amt ausübt. Ich lehre doch nicht. Also kann ich doch auch nicht Professor sein.
Ja früher, da kriegte jeder Steißtrommler, jeder Gymnasiallehrer den Professor!‹
›Aber in de Akademie sind Se doch, Herr Zille! Det weeß ick doch. Een Schwager von mir is doch ooch da! Der freut sich immer so über Ihre Bilder!‹
Ich sah sie erstaunt an: ›Kennt er sie denn?‹
»Ja, er kennt sie alle.‹
›Ein Schwager von Ihnen? Wer ist denn das? Was ist er denn? Ist er Dichter?‹
›Nee‹ –
›Macht er laut? (d. h. ist er Musiker?)‹
›Na – er is doch Heizer in de Akademie!‹«
*
»Da habe ich in dem Zimmer nebenan ganze Packen Studien-Blätter und Mappen. Die wollte ich eigentlich mal alle in den Ofen schieben. Was soll der ganze Kram in der Welt, wenn ich nicht mehr bin? ... Das hörte auch meine Aufwartefrau und bat:
›Och nee – machen Se doch det nich. Jeben Sie mir wat! Und wenn't bloß 'n paar Zettel mit so 'n paar Kinderkens oder Frauen sind – ick würde mir det zu jerne an de Wand hängen!'«
*
Ein kleines Geschäftsmädchen brachte Zille ein Paket. Sie bekam ihr Trinkgeld, druckste aber eine Weile und bat dann zögernd, ob sie nicht lieber »ne kleene Zeichnung kriejen könnte«.
»Ja, aber Kind,« erwiderte Zille, »was soll ich Ihnen denn geben? Das ist nicht so leicht – ich werde ohnehin schon so geplündert!«
»Ach,« meinte sie, »wenn't ooch janz wat Rüdijes is, ick freu mir darüber!«
*
Ein andermal erzählte Zille:
»Einmal schrieb ein Konditor aus Chemnitz an mich, er hätte meine Bücher gekauft – und ob denn das wirklich so schlimm wäre mit der Not in Berlin. Ich möchte ihm doch einige Adressen schicken, wo es einen Zweck hätte, zu Weihnachten Stollen hinzuschicken.
Es ist noch viel schlimmer in Berlin! antwortete ich ihm und schickte ihm die gewünschten Adressen. Und dann hörte ich auch, dass mehrere arme Luders so rechte schöne große sächsische Stollen von ihm bekommen haben.
16. Im Scheunen-Viertel, Füsilierstraßen-Ecke, inzwischen abgerissen.
Nach dem Original.
Schließlich tauchte er selbst in Berlin auf und wollte sich überzeugen, ob's so schlimm war. Ging hin zu den Leuten, denen er Stollen geschickt hatte. Und besuchte mich nachher.
›Ja, das ist wirklich schlimmer als bei uns‹, sagte er mir. ›So elend wie hier sind die Menschen bei uns nicht. Wenn einer bei uns Unglück hat, dann kümmern sich doch die Nachbarn oder sonst wer um ihn. Wir kennen doch unsere Armen. Aber hier – so elend – so einsam – so. verlassen ... Es ist ja, als ob hier die Menschen allein sind, wenn sie ins Unglück kommen.‹
Seh'n Sie«, fügte Zille hinzu – »dadrum muss ich zu Weihnachten soviel Päckchen verschicken, damit sich die Leute nicht so allein auf der Welt fühlen ...«
*
Bei diesen unmittelbaren Erlebnissen blieb es nicht. Ganze Stöße von Briefen erfreuten den Meister. Manche kamen spontan, wenn irgendein Bild oder ein neues Album von Zille erschienen war. Viele Freunde aber dachten an ihn zu Weihnachten. Aus der Fülle solcher Festgrüße seien hier einige Proben gegeben. Aus dem Gedicht von zwei jungen Leuten zu Weihnacht 1924, aus dem Zille den mittleren Teil für ein Bild entnahm: »Alle Menschen sin vaeint –« seien hier die ersten und die letzten Zeilen nachgedruckt:
»Stille Nacht, heil'je Nacht« Und da hab'n wa jedacht, Unsern lieben alten Zillen Woll'n wa 'n Weihnachtsjruß vapillen.
Lieba juta Weihnachtsmann, Streng dir mal 'n bißken an: Keenen Hass nich, keene Hiebe, Frieden wolln wa: Christboomliebe.
*
Mit herzlichem Weihnachtsgruß und allen guten Wünschen unserm lieben und verehrten Herrn Heinrich Zille
W... C... und B... W... Weihnachten 1924
*
Ein sehr hübsches Gedicht bekam Zille von einem Mann, den er bei seinen Fahrten durchs »Milljöh« kennengelernt hatte. Auch hier seien Anfang und Ende wiedergegeben. Hier haben wir gleich den heiteren Widerhall von Dingen, die in einigen folgenden Abschnitten – »Zille und seine Modelle«, »Wenn man berühmt ist« usw. – berührt werden.
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