ABB. 23: DR. STILL VOR DER ABSCHLUSSKLASSE DES JAHRES 1909
Im Alter wurde Dr. A. T. Still liebevoll der „Alte Doktor“ genannt. Seine Söhne, die nun alle D.O. s waren, waren die jungen Dr. Stills. George Laughlin, A. T. Stills Schwiegersohn, sagte, dass Dr. Still nie ein Bankkonto gehabt oder einen Scheck ausgestellt habe. Im Grunde genommen war er sehr sorglos im Umgang mit Geld und gab es häufig weiter, sehr zur Verzweiflung seiner Familie.1 Verschiedene Geschichten über seine Großzügigkeit wurden überliefert: Als der Tornado des Jahres 1899 große Teile von Kirksville zerstörte, verloren einige Studenten ihre ganze Habe, sodass Dr. Still ihnen ihr Schulgeld zurückzahlte.2 Ein andermal verkündete er eine Ermäßigung des Schulgelds auf 200 Dollar, sehr zum Leidwesen seiner Söhne und des Geschäftsführers. Er sagte, die Schule habe genug Geld und einige der Studenten könnten es sich nicht leisten, 500 Dollar zu bezahlen. Ein wohlhabender Patient aus Chicago war so erfreut über seine Behandlung, dass er einen Scheck von 1000 Dollar übersandte. Aber Dr. Sill schickte 975 Dollar zurück mit dem Kommentar, die Rechnung betrage 25 Dollar.3 Blanche Still Laughlin berichtete, dass ihr Vater mit großer Freude die Feiertage erwartet habe, besonders Weihnachten. Bei dieser Gelegenheit hatte er immer 100 bis 150 Dollar in kleinen Scheinen – ein bis fünf Dollar – bei sich, die er denen gab, die ihn aufsuchten. Eines Tages fragte sie ihn, warum er das tue. Er antwortete: „Ich habe alles, was ich brauche. Ein gutes Bett, reichlich zu essen, alles, was ich wünsche, und ich möchte geben, also gib mir noch etwas mehr Kleingeld.“4
Dr. Laughlin sagte auch, dass Dr. Still nie ein Telefon benutzt habe, obwohl Telefone in seinem neuen Haus und im Krankenhaus installiert wurden, als es gebaut wurde. Mit einem Automobil fuhr er nur ein einziges Mal. Er meinte, es sei zu gefährlich, und bevorzugte Züge.5 Mit dem Zug reiste er 1904 zur Weltausstellung nach St. Louis. Die AOA hatte ihre Jahresversammlung so gelegt, dass sie in die Zeit der Messe fiel, vom 11. bis 14. Juli. Die Hauptversammlung der AOA fand im Missouri Building statt. Die Leiter der Messe hatten einen Tag, den 12. Juli, als „Tag der Osteopathie“ reserviert. Mehr als 2.000 Leute nahmen an einem Empfang in der Festhalle teil. Und als der Alte Doktor an dem Abend in den Bankettsaal kam, wurde ihm applaudiert und er wurde rundum bejubelt. Die Zeitungen berichteten, es sei das größte Bankett der Messe gewesen, und die Tatsache, dass kein Alkohol ausgeschenkt wurde, stieß auf Zustimmung seitens der Presse.6
ABB. 24: DR. A. T. STILL IN HUT UND MANTEL, BEREIT FÜR SEINE JÄHRLICHE ANSPRACHE
Mit dem Zug reiste Dr. Still auch zu verschiedenen anderen osteopathischen Zusammenkünften. Während eines Abendessens zu seinen Ehren im Rahmen einer Tagung in New York im Jahr 1905 wurden zu Anfang Austern serviert. Dr. Still bat darum, ob er nicht stattdessen etwas Brot und Milch haben könne. Der Kellner war schockiert, dass der Ehrengast um ein so einfaches Gericht bat. Aber er bekam Brot und Milch.7 Im selben Jahr nahm der Alte Doktor an der AOA-Tagung in Denver teil. Auf der Reise wäre er beinahe ums Leben gekommen, als der Zug, mit dem er unterwegs war, mit einem anderen zusammenstieß.“Er wurde heftig gegen die Wand seines Schlafwagenabteils geworfen, stieß und verletzte sich das Genick. Von den Folgen der Verletzung erholte er sich nie wieder gänzlich.“8
Die AOA-Versammlung 1908 fand in Kirksville statt anlässlich des 80. Geburtstages von A. T. Still. Beinahe 2000 Leute nahmen daran teil und alle Hotelzimmer der Stadt waren belegt, sodass ortsansässige Bürger ihre Häuser den Besuchern zur Verfügung stellten. Praktisch alle Bundesstaaten waren vertreten, zudem Irland, Mexiko, Hawaii und Kanada. Höhepunkt der Versammlung war die Enthüllung eines Porträts von Dr. Still, das George S. Torrey gemalt hatte. Torrey hatte auch berühmte Leute wie Präsident Theodore Roosevelt und König Georg von Griechenland porträtiert. Die ASO-Alumni hatten ihm im vorangegangenen Jahr den Auftrag erteilt. Die AOA überreichte Dr. Still einen silbernen Pokal mit der Gravur „Dem geliebten Begründer der Osteopathie an seinem 80. Geburtstag.“ Und die Bürger des Ortes zollten Dr. Still ihre Anerkennung, dem Mann, den sie einst gemieden hatten, für sein Genie, seine Großzügigkeit und dafür, ein guter Nachbar zu sein.9
ABB. 25: DAS ÖLGEMÄLDE VON TORREY WAR EINE GESCHENK ZU SEINEM 80. GEBURTSTAG 1908, WÄHREND DIE AOA-VERSAMMLUNG IN KIRKSVILLE GEHALTEN WURDE
In seinen letzten Jahren zog sich der Alte Doktor sowohl von seinen Unterrichtspflichten als auch von der Behandlung der Patienten zurück. Er übergab die Leitung der Einrichtung an seinen ältesten Sohn, Dr. Charles E. Still. Er blieb körperlich aktiv, wanderte häufig durch die Wälder in der Nähe seines Hauses, blieb so im Einklang mit der Natur. Auch geistig blieb er lebendig. Weiterhin experimentierte er in seiner Werkstatt hinter dem Haus und erfand immer wieder Gerätschaften, die bei der Behandlung von Patienten behilflich sein konnten. Ferner experimentierte er mit der Wirkung von Licht auf das Wachstum von Mais. Er entwickelte eine Vorrichtung zur verschmutzungs- und rauchfreien Verbrennung in Kohleöfen, und diesmal erhielt er sogar ein Patent.10 Außerdem hatte er eine Leiche hinter seinem Haus, an der er sein Studium des menschlichen Körpers fortsetzte. Der Alte Doktor war häufig im Garten anzutreffen, wo er in einer Hängematte döste oder sich mit einem Stuhl gegen einen Baumstamm lehnte, schnitzend oder lesend. Er erfreute sich an Gesellschaft und man konnte oft beobachten, wie er auf der vorderen Veranda mit Kollegen oder Freunden plauderte.11
Nachdem Dr. Still und seine Schule Erfolg hatten, änderte sich Mary Stills Leben in erheblicher Weise. Zeiten der Entbehrung und des Kummers lagen hinter ihr. Im Jahr 1899 ließ er für sie ein schönes zweistöckiges, gemauertes Haus in der Osteopathy Street, am Ende der Jefferson Street, bauen, wo sie dann häufig die Gastgeberin für Andrews Kollegen und Patienten gab. Sie hatte Dienstboten und einen Wagen und andere waren auf ihre Bekanntschaft aus. Obwohl Andrew nicht mit ihr zum Gottesdienst ging, gehörte sie der United Methodist Church in Kirksville an. Sie war Mitglied im Sojourner’s Club, einer von Julia Foraker, der Frau des US-Senators Joseph Foraker aus Ohio – sein Sohn war ein Patient von Dr. Still –, gegründeten Organisation. Der Club war gegründet worden, um den vielen Frauen, welche aufgrund der Osteopathie zeitweise in Kirksville wohnten, die Gelegenheit zu geben, ortsansässige Frauen zu treffen und kennenzulernen. Außerdem war Mary Still im Ann-Haynes-Chapter der Daughters of the American Revolution.12 Die Studenten nannten sie liebevoll „Mutter Still.“ Sie starb 1910 im Alter von 76 Jahren.13 Andrew sagte, seine Frau habe ihn ermutigt und unterstützt, niemals von ihm verlangt, umzukehren, aber ihn stets vorwärts gedrängt. Er sagte, dass er die anfänglichen Angriffe und Enttäuschungen ohne ihren Optimismus und ihren Glauben niemals hätte überleben können.14
ABB. 27: DER ALTE DOKTOR BEIM SPAZIERGANG AUF DER OSTEOPATHY STREET
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