Nach längerer Zeit jedoch versucht Herr Abschied mir etwas begreiflich zu machen. Erst fasse ich es gar nicht. Je öfter er aber nach meiner Hand langt, um mir beizubringen, mit welcher Geste auch ich mich eines Tages von ihm werde verabschieden müssen, leuchtet es mir schließlich ein. Trotzdem ist es vertrackt und die ersten Winkversuche scheitern schon im Ansatz. Alles, was mit ihm zu tun hat, fällt mir außerordentlich schwer.
Bis ich schließlich irgendwann erkenne, dass ich mir für eine Person wie ihn, ob ich will oder nicht, entsprechend Zeit nehmen muss. Ehe es dann später, nach unzähligen Versuchen, fast geschafft zu sein scheint – denn da reißt er sich von mir los. Er winkt und rennt und rennt und winkt und lacht und weint darüber, dass meine befreiende Kraft groß genug war, dass ich nicht an ihm kleben geblieben bin.
Bis dahin aber ist es ein weiter Weg und in der Regel ziemlich anstrengend, immerfort gastfreundlich zu Herrn Abschied zu sein. Sein Handwerkszeug ist die Schere und er trennt alles, was einem lieb und teuer geworden ist. Gleich, ob es sich um Partner, Freund, Vater, Mutter oder Kind handelt. Er bringt sie alle auf eine Ebene. Was mich schmerzt. Wobei es sich manchmal um eine gewöhnliche Trennung handelt, manchmal jedoch verhandelt er sogar über den dauerhaftesten aller Abschiede, den Tod.
Wobei, wenn der Tod auf jemanden trifft, der schon in die Jahre gekommen ist und ein gesegnetes Leben vorweisen kann, hilft dieses Alter sehr, Herrn Abschied hereinzulassen.
Sich jedoch von einem jungen Menschen zu verabschieden, ist viel schmerzhafter.
Und wie müsste dann der Abschied aussehen von einem Menschen, der das Licht der Welt noch gar nicht erblickt hat? Die Antwort ist ebenso schwierig, wie der Weg dorthin Verzweigungen aufweist.
Doch Herr Abschied hat viele Facetten. In ihm steckt die Verabschiedung von dem nie Geborenen, von den Wünschen, von den Hoffnungen.
Auch weiß er über die daraus resultierenden Schmerzen Bescheid.
Manchmal erbarmt er sich, bleibt fern und schickt stattdessen Frau Hoffnung vorbei.
„Richtig“ erfreulich. Frau Hoffnung
Es gibt Personen, die einem unglaublich wichtig werden, dass man meint, ohne sie überhaupt nicht mehr zurecht zu kommen. So ergeht es mir mit Frau Hoffnung. Die Plauderstunden mit ihr sind das Beste, was man sich vorstellen kann, und eigentlich überhaupt nicht zu beschreiben.
Frau Hoffnung lässt mich nicht im Stich. Sie begegnet mir mit einem Lächeln und einer Zufriedenheit, wie ich sie bei Menschen noch nie erlebte. So dass es immer wieder geschieht, dass sich ihre Hoffnung regelrecht auf mich überträgt. Sie kommt jedes Mal in ihrem schönen weißen Gewand daher, was mich freut, denn es ist für sie wie geschaffen und völlig unaufdringlich. Ein Gewand, das äußerst dünn wirkt, aber haltbar zu sein scheint, obwohl transparent. Außerdem ist es so geformt, dass sich ihre sanften Bewegungen gern mit dem Lichteinfall mischen, so schön, dass ich einfach ständig zu ihr hinschauen muss. Mal zu ihr hinauf, mal zu ihr hinaus, je nachdem, wie nah Frau Hoffnung mir gerade ist.
Ich bin froh, dass es diese Frau Hoffnung gibt. Ich zeuge ihr Respekt und bin entzückt über jeden ihrer Besuche. Weil sie als eine der wenigen die große Gabe hat, Ängstliche und Verzweifelte in die entgegengesetzte Stimmung zu bringen. Frau Hoffnung ist großzügig. Sie schenkt sich selbst. Sie gibt Hoffnung bei den anfallenden Entscheidungen, gibt Hoffnung auf den seltsamen Wegen, die plötzlich zu gehen sind und hat immer wieder eine große Portion Hoffnung parat, wenn es gilt, trotz aller Umstände den Familienbestand zu erhalten.
Sie ist pünktlich. Sie ist diszipliniert. Das schätze ich sehr an ihr. Damit kann ich umgehen. Bei jedem neuen Arzttermin ist Frau Hoffnung mit dabei und gibt mir die Kraft, die unzähligen medizinischen Strapazen und Therapien zu überstehen.
„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt sie von sich selbst.
Was ich ihr voll und ganz glaube.
Außerdem sind wir uns schon sehr nah und zu eng befreundet, um gegenseitig irgendetwas anzuzweifeln.
Manchmal sieht sie mich mit einem eigenartigen Blick an und da passiert es, dass sie mir steckt:
„Ehrlich, du meinst, du bist allein, viel zu allein. Aber schau dich doch mal um! Es gibt auch die umgekehrte, analoge Situation. Durchaus. Es gibt genauso Kinder, die von ihren Eltern im Stich gelassen werden. Die ausgeliefert und allein sind.“
Ob sie auf Pflege- oder Adoptivkinder hinaus will? Die es niemals gäbe, wenn sich Frau Hoffnung mit ihrem Engagement nicht so einsetzte.
Ich weiß zwar nicht recht, ob ich solche Geschichten überhaupt hören will. Aber ich höre ihr trotzdem zu. Das ist man sich unter Freundinnen schließlich schuldig.
Vielleicht will sie ja nur, dass auch ich weiß, dass es da noch eine andere, weitere Hoffnung gibt …
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