Allein schon die Flucht. Was hat die Generation da über sich ergehen lassen müssen …
„Es gab das Lager. Und es gab uns. Und Angst. Wir Frauen wurden hinaus zitiert, so, wie es ihnen passte. Die Kinder mussten zurückbleiben“, im Erzählen meiner Großmutter konnte ich spüren, dass sie von ihrem Ehemann verlassen worden und wie frustriert sie von den Männern war, wie sich ihr Leben, traumatisiert vom Krieg, fortsetzte, eben einfach weiterzugehen hatte. Ohne zu fragen, was zum Beispiel Massenvergewaltigungen anrichten.
Kein Wunder, dass sie mir am Ende dann wirklich lebensmüde vorkam.
Ganz im Gegensatz zu der Zeit, in der ich auf Partnersuche war. Da kam voller Überzeugung:
„Was willst du mit einem Mann? Die Männer sind alle schlecht!“
Alles Einzelpersonen, Schicksale und hier Frauen.
Wobei meine Großmutter aber nicht in der Lage war, die schlimmen Kriegserlebnisse zu verarbeiten. Und so hat sie all das, was sie für sich als Los oder Last wahrnahm, ihrer Tochter – und damit meiner Mutter – mit aufgebürdet und es sie ein Leben lang spüren lassen. Wieder und immer wieder. Ich denke, es gibt bessere Mutter-Tochter-Beziehungen als die ihre einst gewesen war, von der ich noch einiges selbst miterlebt hatte. Was mich im Grunde traurig stimmt, weil sich mir das Tragische in der Sache offenlegt: Wie sehr meine Mutter darauf gehofft hatte, ja, wirklich bis hin zum Tod meiner Großmutter, dass sie als deren Kind endlich die ersehnte Anerkennung bekommt. Anerkennung, gleich welcher Art, auch Zuneigung, Zuspruch und Liebe.
Etwas, das sie nie erhalten hatte.
Ein Defizit, das sich oft unbewusst auf die nachfolgenden Generationen überträgt.
Unter diesen Umständen – das „Überraschungspaket“ einer Frau zu sein, bei der es selbst schwierig zuging, da sie eben von der eigenen Mutter nie richtig geliebt worden war – stand für mich beizeiten fest, dass ich nur dann ein Kind haben möchte, wenn es hundertprozentig von mir und meinem Partner gewollt, erwünscht, ja, ersehnt ist.
Ein Kind, das mit offenen Armen empfangen wird …, das stellte ich mir als eine der schönsten Visionen der Welt vor!
Gleichermaßen hatte ich immer den Anspruch, für dieses, mein Kind, auch einen Vater zu wollen; niemals wollte ich ein Kind nur um des Kindes Willen.
So war er eben, mein großer Traum.
Ein einfacher und völlig natürlicher: dass ich eines Tages vor meinem Partner stehen und ihm Geheimnis umwoben mitteilen würde, dass ich schwanger bin. Wobei sich sein Gesicht erhellen und ich in seine glänzenden Augen sehen würde.
Die äußeren Umstände und die Prägung aus meinem Elternhaus formten mich und mein Leben. Mit 19 Jahren heiratete ich zum ersten Mal. Nicht ahnend, dass sich erst nach und nach im Laufe unserer Ehe herausstellen würde, dass mein Mann Daniel 1gar keine Kinder wollte. Und weil ich wegen eigener Erfahrungen und Vorsätze es auch nie darauf angelegt hatte, war diese, unsere Ehe, in der Tat kinderlos geblieben. Was den Wunsch beileibe nicht mit ausradiert hatte. Was mir mein Inneres darum als nicht gewollt, als nicht annehmbar zurückgab. Wofür ich kaum etwas konnte, worunter ich aber litt. So sehr litt, dass sich das Faire unserer Beziehung immer häufiger verlor und ich bald keinen anderen Weg mehr sah, als den der endgültigen Trennung voneinander.
Die ich am Ende trotzdem betrauerte.
Nicht nur einmal, nein, zweimal habe ich geschluckt, als ich erfahren musste, dass dieser von mir einst geliebte Mann inzwischen doch Vater geworden ist. Und das seit vielen Jahren schon, in seiner zweiten Ehe.
Einmal wurde ich dazu befragt: „Wie geht es dir damit?“, und ich war froh, offen sagen zu können: „Es ist für mich in Ordnung. Jeder lebt sein Leben. Wie könnte ich ihm sein Kind neiden?“
Meine Beziehung mit Marco entwickelte sich aus einer Urlaubsbekanntschaft heraus. Wir hatten das Glück, in der gleichen Stadt zu wohnen und wurden schnell ein Paar. Er war zwar ein kleiner Chaot, aber ein lebensfroher, bejahender Mensch. Der mich damit ansteckte, den ich dafür bewunderte und ganz sicher benötigte ich diese Beziehung für mich und mein Leben. Also entschlossen wir uns, nach vielen Turbulenzen schließlich zusammenzuziehen und unsere Zukunft gemeinsam zu gestalten.
Weil die deutsch-deutsche Grenze gerade geöffnet worden war, gab es wenig freie Wohnungen. Mit Hund gelang es ohnehin schwer eine Wohnung zu finden, so hatten wir uns für seine entschieden. Die war günstig, wir renovierten, ich bestellte eine neue Küche und kündigte mein bisheriges Wohndomizil auf.
Dem Anschein nach lief alles bestens. Es schien toll, turbulent und ganz nach meinen Wünschen. Andererseits stand doch irgendetwas zwischen uns. Die Aussprache ergab es – auch Marco wollte keine Kinder.
Zwar fiel ich nicht mehr aus allen Wolken, zog die Konsequenz diesmal gleich und also gar nicht erst in die renovierte Wohnung mit ein. Trotzdem aber war es eine vierjährige Beziehung gewesen …
Die mit getrennten Wegen endete. Marco behielt die renovierte Wohnung, vor der meinen stand bereits die Nachmieterin in den Startlöchern. Dass sich dann für mich und meine bestellte Küche, die bis heute existiert, doch noch ein Zuhause fand, schien einem Wunder gleich. Wohnungen waren zu der Zeit eine Rarität und die meine hatte ich am Ende nur der Hilfe eines mir wohlwollenden Menschen zu verdanken.
Was aus Marco geworden ist, weiß ich nicht. Ich hoffe, er hat sich seine Lebensfreude bewahrt und begreife inzwischen für mich, dass die Beziehung schon deswegen in die Brüche gehen musste, weil wir nicht zusammenpassten.
Dann platzte Josef in mein Leben. Wieder etwa vier Jahre, wieder die reinste Chaosbeziehung, wieder ständige Berg- und Talfahrten. Noch nervenaufreibender als die Partnerschaft mit Marco, nur Josef konnte oder wollte sich nicht fest binden. Mal wollte er Kinder, dann wieder keine. Plötzlich wollte er heiraten und das ganze Familienglück – dann wieder lieber das Gegenteil oder sonst wer weiß was. Somit schafften wir es nicht einmal, zusammenzuziehen.
Ein Kind, das wollte er gerne. Aber nach seinen Bedingungen. Nach denen es so aussah, dass ich als Mutter über ihn versorgt wäre und er wiederum sich je nach seinen Möglichkeiten um das Kind, unser Kind, kümmern und vorbeikommen würde. Ich gebe zu, dass ich über diese Eventualität nachgedacht hatte; mich aber dennoch entschied, unter solch einseitigen Bedingungen kein Kind in die Welt zu setzen. „Ich bin mit Kind, Alltag, Arbeit und Sorgen allein – und er macht einen auf Sonntagspapa?“
Ich lehnte dankend ab.
Monate später folgte ein Heiratsantrag. Josef sprach von Kindern und Zukunft. Ich von einer Paartherapie. Machte sie zur Bedingung. Josef akzeptierte das.
Alles verlief gut. Alles hatte einen Sinn bekommen. Und ich begann gerade, mich gewissermaßen in unsere Beziehung fallen zu lassen.
Bis Josef darauf drängte, das Kind sollte doch jetzt so schnell wie möglich kommen.
Ich erklärte, dass dafür unsere Beziehung erst stabil sein sollte …
Plötzlich machte er einen Rückzieher. Für mich, die Therapeutin und alle anderen völlig unerwartet. Josef beendete die Beziehung. Getrennte Wege. Ich verstand überhaupt nichts mehr. Es brach eine Welt zusammen.
Etwas später, in einer gesonderten Sitzung versuchte ich zu erkunden, ob die Paar-Therapeutin so etwas ähnliches schon einmal erlebt hätte. Sie verneinte. Eine solche Verwandlung wäre selbst ihr fremd.
Nach diesen Erfahrungen räumte ich mein Leben radikal auf und ergriff die Chance, wieder neu anzufangen. Wozu ich mich anfangs eher um andere Dinge, um möglichst nichts Familienlastiges mehr kümmerte, sondern um mich selbst, um eine separate Gesprächstherapie, um den Kauf einer Eigentumswohnung und üblicherweise so anfallenden Dingen.
Читать дальше