Traudel Schmidt
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2014
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Cover
Titel Traudel Schmidt
Impressum Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte beim Autor Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) www.engelsdorfer-verlag.de
Rette mich wer kann!
Im Wartezimmer
Der Höckerschwan
Seifen-Oper
Zu Risiken und Nebenwirkungen
Das Lüftchen
Wo ist Adam?
Vollkommen norm – al
Der Nuss-Streit
Nuklear verseucht?
Handwerk hat goldenen Boden
Der Trugschluss
Gott - loser Sport
Nobel-Preisträger
Der Weberknecht
Back-Wahn
Besuch aus Transsilvanien
Duftes Wochenende
Das Ü - Ei
Was soll ich in Dortmund?
VHS
Frühlingsahnen
Mahlzeit!
So ein Tag, so wunderschön wie heute …
Herbst
Tele komm!
Wenn eine eine Reise tut
O du fröhliche Bettelzeit …
Feuer und Flamme
Es grünt so grün …
Urlaub allerorten
„In“ ist in und „out“ ist out
Das Ende vom Lied
Zweierlei Maß
Ich bin Emil aus der Familie der Graureiher. Seit ich denken kann, wohnen wir auf einem Baum in einem großen Wald. Papa hat erzählt, dass er jedes Jahr zusammen mit Mama hier her kommt und vielen Onkels und Tanten. Die Papas bauen schöne Nester und wir fühlen uns alle wie eine große Familie. Ich will auch mal ein großer Graureiher werden mit einem krummen Hals und einem scharfen Schnabel wie Papa. Aber das dauert noch.
Seit vorgestern schüttet es wie aus Kübeln. Ich ducke mich tief in unser Nest, aber das nützt nicht viel. Mein Gefieder ist total nass und meine Beine auch. Hoffentlich hole ich mir keinen Schnupfen.
Meine dicke Schwester Emilia macht sich im Nest breit und lässt mir kaum Platz. Ich kann ruhig nach ihr hacken, das kümmert sie überhaupt nicht. Mama und Papa haben bei dem miesen Wetter auch keine richtige Lust, immer loszufliegen und Futter für uns zu suchen. Mir ist langweilig. Ich möchte hier raus. Aber ich kann doch noch nicht fliegen.
Am nächsten Tag wird es auch noch windig. Ich muss mich schon ganz schön festkrallen, um nicht aus dem Nest gepustet zu werden. Emilia hat Angst. Aber ich bin ja ein Mann. Fast jedenfalls. Ich habe keine Angst. Fast jedenfalls.
Gegen Abend wird der Wind immer schlimmer. Er heult und die Bäume schaukeln wild. Mama und Papa sind trotzdem los, um Futter zu holen. Mama kommt bald zurück mit einer Maus im Schnabel. Emilia ist mal wieder schneller. Sie schnappt sich den Brocken und ich gehe leer aus. Wenn’s ums Fressen geht, ist meine Schwester immer die Erste. Jetzt kuschelt sie sich an Mamas Bauch und will schlafen. Und ich?
Mein Magen knurrt. Ob Papa wohl bald kommt? Es dämmert schon. Ich klettere auf den Nestrand und halte Ausschau nach ihm. Da packt mich eine Bö. Sie wirbelt mich hoch und drückt mich gleichzeitig wieder runter.
Hilfe! Ich flattere und versuche, ins Nest zurück zu kommen. Geht aber nicht. Zwischen Ästen und Zweigen taumele ich immer tiefer. Schließlich plumpse ich auf den Waldboden. Aua! Mein eines Bein tut weh und mein Flügel auch. Mama! Hol’ mich wieder rauf! Aber sie hört mich nicht. Der Wind heult zu sehr. Und Papa ist nicht da.
In letzter Zeit kommt er sowieso immer so spät nach Hause, sagt Mama. Er trifft sich mit anderen Reiher-Papas zum Wettfischen, wenn die Angler nicht mehr am Teich sind. Wenn er dann heimkommt, riecht er aus dem Hals. Nach Forelle. Sagt Mama.
Warum hört mich denn keiner? Klar! Ich soll ja nicht so laut rumkrächzen. Mama hat uns eingebläut, dass wir den Schnabel halten sollen. Also mache ich nur mal ganz leise „kräck.“ Und noch einmal „kräck.“ Aber besser ist es, ich sage nichts. Mama hat erzählt, im Wald wohnt der Fuchs. Der frisst kleine Reiher. Ich habe Hunger!
Irgendwann muss ich eingedöst sein, denn als ich wieder wach werde, ist es hell. Aber der Sturm orgelt weiter. In den Bäumen kracht’s und mir tun die Knochen von meinem Sturz weh. Mein Kopf brummt und in meinem Bein zwickt’s. Mein Magen ist leer und keine Mama weit und breit. Was soll ich denn jetzt machen? Vielleicht mache ich mich einfach auf den Weg aus dem Wald heraus. Dann kann mich Mama besser sehen. Also hinke und flattere und laufe ich. Aber alles, was ich sehe, sind Häuser von Menschen. Von oben sahen die immer so klein aus. Dann müssen Menschen wohl Riesen sein.
Ich hocke mich an einen Abhang. Mein Bein tut weh. Lange kann ich damit nicht laufen. Hier wächst lauter Grünzeug. Ob man das fressen kann? Mein Magen kullert vor lauter Hunger. Igitt! Das schmeckt ja eklig! Außerdem kann ich mich hier überhaupt nicht festkrallen. Ich benutze meinen langen Schnabel, um mich abzustützen, sonst verliere ich das Gleichgewicht. Aber ich muss aufstehen und weiter humpeln. Hier kann ich nicht bleiben. Aua! Das Grünzeug hält mich fest! Lass mich sofort los!
Endlich habe ich beide Beine frei. O Schreck! Da kommt ein Riese auf mich zu. Mein Herz rast. Wie komisch der aussieht. Er hält sich immerzu ein Kästchen vor die Augen, in dem es „klick“ macht. Wahrscheinlich soll ich ihn nicht erkennen. Dabei gucke ich ihn vor lauter Angst schon gar nicht an! Wenn er noch näher kommt, hacke ich mit dem Schnabel. Mama! Wo bist du? Hilf mir doch!
Ich setze meinen wütendsten Blick auf. Vielleicht hilft der! Warum fragt der Riese nur in einem fort: „Ja, wer bist du denn?“ Wenn ich ihm antworte, versteht er mich doch sowieso nicht! Warum versucht er denn, mich in den Wald zurückzutreiben? Da komme ich doch gerade her! Irgendwann gibt der Riese auf und geht zu seinem Haus zurück. Gott sei Dank.
Humpelnd und flatternd bewege ich mich vorwärts. Aber wohin ich auch gucke: Nur Häuser. Kein Reiher-Papa. Keine Reiher-Mama. Noch nicht mal Emilia. Und kein Fressen …
Irgendwann kann ich nicht mehr. Ich hocke mich unter einen Busch vor einem der Häuser und warte. Einmal meine ich, dass Tante Agathe und Onkel Hugo über mich hinwegfliegen. Ich rufe leise „kräck“. Aber sie hören mich nicht. Wenn ich nicht bald was zu fressen kriege, falle ich um.
Hilfe! Da kommt ein Fuchs! Langsam schleicht er auf mich zu. Aber kampflos kriegt der mich nicht! Komm nur her, du komisches Vieh! Er sieht bloß ganz anders aus, als Mama ihn immer geschildert hat. Dieser hier ist weiß mit schwarzen Flecken und sagt „Miau“. Sicher eine ganz besondere Sorte Fuchs. Ich hacke nach ihm. Ha! Das hat gesessen! Er springt zurück und versucht, mich mit seiner Pfote zu kratzen. Ich hacke hinein. Treffer! Ich humpele ein paar Schritte zur Seite. Der Fuchs schleicht mir nach und will mich von hinten anspringen. Ich drehe mich um. Da ertönt ein lautes „Miez! Miez! Ja, was hast du denn da?“ Ein Riese kommt aus dem Haus. Der Fuchs kann aber auch keine passende Antwort geben. Immerhin läuft er dem Riesen entgegen und lässt mich in Ruhe. Ich würde auch laufen, kann aber nicht. Wie angewurzelt bleibe ich hocken und kneife die Augen zu. Vielleicht sieht mich jetzt keiner. Aber ich spüre, wie der Riese auf mich zukommt. Tu mir nichts! Bitte! Tu mir nichts! Er bleibt vor mir stehen und fragt: „Ja, wer bist du denn?“ Ob Riesen nur diesen einen Satz sagen können? Ich öffne vorsichtig ein Auge, dann das andere. Einer Gefahr muss man mit offenen Augen begegnen, hat Papa immer gesagt.
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