1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 An diesem Tag merkte auch Wolfram, dass ihre Julia kein Kind mehr war. Dementsprechend waren auch die Geschenke. Auf Julias Geburtstagstisch lagen ausschließlich moderne, ausgesuchte Textilien. Wolfram bremste immer mal, wenn sie zu ausgefallen waren. Er achtete stets darauf, dass sie möglichst im normalen Bereich blieben.
An diesem Tag gab es wie immer das Mittagessen nicht im Speise-, sondern im Klubzimmer. Tante Dagmar und Onkel Manfred feierten auch wieder mit. Der Tisch war schon vorbereitet, als die Kinder aus der Schule kamen. Julias Platz war mit vielen Blumen geschmückt. Ein Strauß weißer Rosen stand zwischen zwei wunderschönen Kerzenleuchtern auf einem weißen Tischtuch. Alles war sehr festlich. Als der erste Gang auf dem Tisch stand, stießen sie auf Julias Gesundheit an. Diesmal war auch in Julias Weinglas richtiger Wein. Das hatte sie sofort bemerkt. Sie hätte auch darauf aufmerksam gemacht und darauf bestanden, wenn dies nicht so gewesen wäre. Schließlich war sie ja jetzt vierzehn Jahre alt und kein Kind mehr. So hatten nur noch der große und kleine Wolfram Saft im Glas. Als sie aber auf Julias Gesundheit anstießen, verzog das Geburtstagskind dann doch etwas den Mund. Der gewohnte Saft war viel süßer als der Wein.
Nach dem Essen stellte ihr Vati fest: „Jetzt hast du den ersten Schritt ins Erwachsensein gemacht. Nun kommen aber nicht nur mehr Rechte auf dich zu, sondern auch Pflichten. Das solltest du dabei nicht übersehen. Dafür darfst du jetzt aber abends länger aufbleiben.“ Bei dem letzten Satz strahlte Julia wieder.
Da das Wetter es gut mit Julia meinte, machten sie einen Verdauungsspaziergang runter zum See. Als Julia die Leine von einem der beiden Hunde nehmen sollte, kam zum ersten Mal ein offener Protest. So nahm ihr Vater den Hund, sagte ihr aber gleich, dass es so eine Ausnahme nur an ihrem Geburtstag gäbe.
Nachdem die Eltern etwas zurückgefallen waren, sagte Wolfram zu seiner Frau: „Julia wird auch immer schwieriger.“
Da lachte Maria und meinte: „Sie ist kein Kind mehr! Das wird jetzt immer deutlicher. Du hast das nur nicht so gemerkt, weil du tagsüber oft nicht da bist. Mir sind diese pubertären Probleme schon länger bekannt. Bei euch sagt man, sie wird zickig.“
Wolfram nickte und meinte sinnend: „Wie schnell unsere Kinder doch groß geworden sind. Als wir uns kennenlernten, waren sie alle drei noch klein und niedlich. Und heute? Dabei ist das gerade mal elf Jahre her.“
Maria nickte. „Ja, ja. Wir werden älter“, sagte sie nachdenklich. „Vielleicht sollten wir Julia etwas mehr Freiraum geben“, begann Maria das Gespräch wieder.
„Wie meinst du das?“, fragte Wolfram.
„Sie will mit zur Disko. Und wir haben es ihr auch versprochen, sobald sie vierzehn ist. Andere Mädchen in ihrem Alter sind ebenfalls schon auf dem Saal“, klärte Maria ihren Mann auf.
Er überlegte eine Weile und rief dann: „Julia! Komm doch mal zu mir. Wenn du mir den Hund abnehmen würdest, dann könnte ich mich dazu überreden, dass du einmal im Monat mit Laura zur Disko gehen kannst.“
Seine jüngste Tochter sah ihn erstaunt an und hatte die Hundeleine schon in der Hand. „Aber versprochen ist versprochen!“, erinnerte sie. Ihr Vati lächelte. „Selbstverständlich! Aber nur bis 22.00 Uhr. Es gibt ein Jugendschutzgesetz, welches das bestimmt. Dagegen können wir auch nichts tun.“
Julia fragte ihre Mutti misstrauisch: „Das Gesetz gibt es wirklich?“ „Ja, für Jugendliche unter sechzehn Jahren. Das hat auch Laura beachten müssen, als sie noch jünger war.“
Jetzt wandte sich Julia an ihre größere Schwester: „Stimmt das?“ Laura nickte und sah dabei vorsichtig zu ihrem Vater. Doch dieser lächelte. Da meinte sie zu Julia: „Aber du musst dann auch auf mich hören, wenn ich dir etwas sage.“
Ihre kleine Schwester nickte heftig.
Nun begann Laura ihr zu erzählen, was wichtig sei und worauf man achten müsse. Dabei entfernten sie sich allmählich von ihren Eltern. Als sie weit genug weg waren, erklärte sie ihr das Wichtigste: „Wehe du erzählst unseren Eltern, was ich dort mache. Das muss von jetzt an unser Geheimnis bleiben!“
„Was meinst du?“
Laura holte tief Luft. Ihre Schwester war aber noch zu naiv, dachte sie. Dann überlegte sie, wie sie es ihr am besten erklären könnte. „Na, wenn mich zum Beispiel ein Junge küsst. Das müssen doch Vati und Mutti nicht wissen.“
„Ach so. Und wenn … ich meine … wenn …“
„Wenn dich einer küsst? Das müssen sie natürlich auch nicht wissen!“ Julia war begeistert, dass sie so eine verständnisvolle Schwester hatte. Laura hingegen überlegte, dass sie sich nun einmal im Monat etwas zurückhalten musste. Dieses Opfer wollte sie für ihre Schwester schon bringen. Schließlich liebte sie Julia genauso sehr wie ihre anderen beiden Geschwister.
Schon am Abend merkte Julia, dass ihre Eltern Wort hielten. Sie durfte bis 22.00 Uhr aufbleiben. Das waren zwei ganze Stunden mehr als vorher. Von nun an knurrte Junior, dass er immer noch so zeitig ins Bett musste.
Nur fünf Tage später hatte Maria ihren 41. Geburtstag. Nach dem gemeinsamen Wecken am Bett bekam Maria einen langen Kuss von ihrem Mann. Da dieser Tag ein Sonnabend war, hatte sich Wolfram etwas Besonderes einfallen lassen. Als sie aufstanden, bat er Maria, sich etwas besser als nur zum Alltag anzuziehen. Die restliche Familie hatte diese Instruktion schon am vergangenen Abend bekommen. Nach dem Frühstück verließen sie das Haus und trafen sich unten am Häuschen mit Dagmar und Manfred, wo sie in die Autos stiegen. Eva und Laura stiegen bei Brünners ein, die Kleinen waren unter Wolframs Aufsicht besser aufgehoben.
Als sie losfuhren, wusste außer Brünners keiner, wo es hinging. Nach einer Stunde fuhren sie bei Magdeburg auf die Autobahn in Richtung Leipzig. Nun freute sich Maria auf den Leipziger Zoo, den sie vor zehn Jahren mit ihrer Mutter schon einmal besucht hatte. Dabei verstand sie aber nicht, weshalb sie ein gutes Kleid anziehen sollte. Als sie aber nach einer Stunde an Leipzig vorbeifuhren, wurde Maria stutzig. Sie erinnerte sich, dass die nächste große Stadt Dresden war. Ob Wolfram dort hinwollte? Nach einer weiteren Stunde hatte sie Gewissheit, denn Wolfram und Manfred fuhren an der Dresdner Abfahrt von der Autobahn runter und dann ins Stadtzentrum. Hier war alles fremd für Maria, denn Dresden hatten sie noch nie besucht.
Ein Parkplatz war schnell gefunden. Sie stiegen aus und liefen die kurze Strecke bis zum Dresdner Zwinger. Das Wetter meinte es gut mit ihnen, obwohl April war. Nun standen sie vor dem Kronentor. Hier bewunderte Maria die Architektur. Es war einfach schön, diese alten Bauwerke zu besuchen. Ebenso war sie von dem Innenhof begeistert, der wie ein Park vor ihnen lag. Dann besichtigten sie das versteckte Nymphenbad und von dort gingen sie hoch zu dem oberen Rundgang. Von hier aus konnten sie in den Innenhof sehen und sogar durch das Kronentor hindurchgehen.
Anschließend, als das Wetter sich eintrübte, besuchten sie die Gemäldegalerie. Maria stand zum ersten Mal vor so großen wertvollen Bildern. Das beeindruckte sie schon. Besonders fasziniert war sie von der Sixtinischen Madonna. Die beiden Engel unten in der Mitte erkannte sie plötzlich wieder. Diese wurden oft auf Postkarten, Geschirr oder Ähnlichem verwendet. Wolfram erzählte, dass es mit diesen beiden eine besondere Bewandtnis hatte: „Als der Maler Raffael dieses Bild malte, beobachteten ihn oft die beiden Kinder aus der Nachbarschaft. Er verewigte sie auf seinem Bild als Engel. Und zwar genau so, wie sie immer da lehnten und ihm zuschauten.“ Es gab hier aber auch andere berühmte Bilder, die sich Maria nun im Original ansehen konnte. Natürlich betrachteten sie nicht alle Bilder so gründlich, dafür reichte ein Tag gar nicht aus.
Nach den alten Meistern in der Galerie führte Wolfram die Geburtstagsgesellschaft ins Hotel Suitess, welches gegenüber der Frauenkirche steht. Hier aßen sie erst einmal ordentlich zu Mittag. Nun wusste Maria endlich, weshalb sie keine Alltagskleidung tragen sollte. Hier hätte sie sich in Jeans nicht wohlgefühlt.
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