„Damit wären wir bei Ihnen, Zoe.“ Joe schaute sie freundlich an. „Ihre Großmutter hatte so warme, herzliche Erinnerungen daran, wie sie mit Ihnen durch die Obstwiesen gestreift ist. Sie spürte Ihnen eine besondere Verbundenheit mit dem Land ab und obendrein eine unersättliche Neugier auf die Abläufe, die sie an ihren Ehemann erinnerte.“
Eine schreckliche Vorahnung überfiel Zoe, noch während die Worte Joes Mund verließen.
„Sie hat Ihnen die Plantage hinterlassen, Zoe. Die Obstgärten und das Bauernhaus, abzüglich ein paar persönlicher Dinge, von denen Sie später lesen werden. Sie hoffte, Sie würden nach Hause zurückkehren und das Unternehmen führen.“
„Was?“ Ihr Ausruf war mehr ein Schnappen nach Luft als ein Wort.
Kyle plusterte sich neben ihr auf. „Das ist lächerlich.“
„Trotzdem“, sagte Joe. „Nellie hat unerbittlich darauf bestanden, dass die Obstplantage an Zoe geht.“
„Dann wird sie verkaufen müssen“, sagte Kyle. „Sie hat schon eine Karriere und ein Leben, und zwar anderswo.“
Brady nagelte ihn mit einem Blick fest. „Das geht dich überhaupt nichts an. Du solltest nicht einmal hier sein.“
„Das geht mich wohl etwas an, verdammt noch mal.“
„Wir wollen uns alle ein wenig beruhigen“, sagte Joe. „Heute müssen keine Entscheidungen mehr getroffen werden. Lassen Sie uns die Zeit nehmen, das Ganze erst einmal etwas sacken zu lassen.“
Kyle stand auf. „Da gibt es nichts, was sacken müsste. Sie verkauft. Komm mit, Zoe.“
„War da … gibt es sonst noch etwas, Joe?“
„Nichts Wesentliches. Sheila wird Ihre Ausfertigung des Testaments für Sie an der Rezeption bereithalten.“
Kyle, der ein finsteres Gesicht machte, war bereits an der Tür. Der finstere Gesichtsausdruck war direkt an sie gerichtet.
Zoe stand auf und nahm Gracies Hand.
Brady sah aus, als würde er gleich von seinem Stuhl aufspringen. Joe hatte seine Hand auf Bradys Arm gelegt, als wollte er ihn festhalten.
Zoe sah Brady entschuldigend an. „Ich rufe dich später an.“
„Ich kann morgen nicht abfahren, Kyle. Ich habe hier Pflichten.“ Noch mit der Handtasche über der Schulter stand Zoe zwischen den beiden Hotelbetten. Er hatte nur einer weiteren Nacht zugestimmt, aber morgen war Samstag. Sie brauchte mindestens ein paar Tage mehr.
Zu Hause zu sein – in der Nähe von Brady und Hope und den Leuten, die sie liebten – hatte ihr irgendwie Mut geschenkt.
Oder vielleicht war es auch einfach nur Dummheit.
Gracie war im Auto eingeschlafen, und Kyle hatte kaum ein Wort gesagt, seitdem sie das Anwaltsbüro verlassen hatten. Im Hotel hatten sie eine weitere Nacht dazubuchen können und ihre Koffer wieder hineingeschleppt. Kyle hatte sich aufs Bett fallen lassen und zappte jetzt mit versteinertem Gesicht durch die Fernsehkanäle. Das halblange braune Haar, in das seine weiblichen Fans so verschossen waren, hing ihm über dem einen Auge.
Er bedachte sie mit schweigsamer Gleichgültigkeit. Das war seine effektivste Bestrafungsform. Zoe konnte es nicht leiden, ausgeschlossen zu werden, deshalb führte es immer wieder dazu, dass sie sich bei Kyle einschmeichelte und nachgab. Alles war besser als seine kalte Schulter.
Das Testament ihrer Großmutter hatte ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht, aber Brady war auch nicht gerade hilfreich gewesen. Immerhin war Kyle heute nicht persönlich an Cruz geraten. Gott sei Dank war Kyle nicht mit zur Beerdigung gekommen. Er hätte sie nie gehen lassen, wenn er gewusst hätte, dass Cruz dort sein würde.
Diese Seite an ihm hasste sie. Die sture, wütende Seite, die ihr das Gefühl gab, einsam und hilflos zu sein.
Aber er hat auch eine gute Seite, dachte sie und erinnerte sich daran, wie er Gracie sanft auf das Doppelbett gelegt und sie dort sorgfältig zugedeckt hatte, als wäre sie seine eigene Tochter. Und er war großzügig. Er hatte die Gewinne ihres letzten Konzerts dem Sohn eines Bandkollegen gespendet, der gegen Leukämie kämpfte.
Sein Mitgefühl und seine Großzügigkeit waren es, die sie anfangs angezogen hatten. Er hatte sie unter seine Fittiche genommen und ihr Stabilität und Halt geboten, als sie selbst nichts anzubieten hatte. Als die Grundfesten ihres Lebens weggebrochen waren. Als sie sich festgefahren hatte und voller Angst gewesen war.
Er behandelte Gracie wie sein Eigen, und seine Zärtlichkeit ihrer Tochter gegenüber hatte ihn Zoe lieb gemacht. Aber als sich ihre Beziehung veränderte, mehr wurde, wurden auch seine Besitzgier und seine Manipulationen offensichtlicher. Am Anfang war sie seinen Fehlern gegenüber blind gewesen. Aber nun war sie nicht mehr blind.
Sie betrachtete ihn. Sah die angespannten Augenwinkel. Wenn sie ihn drängte, würde sie die Sache nur schlimmer machen. Aber sie mussten einige Entscheidungen treffen.
„Kyle, wir müssen darüber reden.“
In aller Ruhe drückte er den Kanalknopf auf der Fernbedienung.
„Es wird nur ein paar Tage dauern, das hier alles zu ordnen.“
Obwohl sie ehrlich gesagt nicht wusste, wie genau sie hier „alles“ ordnen sollte. Sie befand sich nun im Besitz einer Obstplantage, um Himmels willen. Was sollte sie nur damit anfangen? Der Gedanke daran, sie zu verkaufen, brach ihr das Herz.
Ihre Großmutter und ihr Großvater hatten diesen Betrieb mit ihren eigenen Händen aufgebaut. Großvater war gestorben, als Zoe noch klein gewesen war, und Granny hatte den Rest ihres Lebens damit verbracht, ihn zu einem erfolgreichen Unternehmen auszubauen.
Zoe konnte den Hof nicht verkaufen. So viel war sie ihrer Großmutter schuldig.
Aber sie konnte ihn auch nicht führen. Sie hatte ein Leben. Eins, zu dem viele Reisen gehörten und ein Freund, der niemals länger in Copper Creek bleiben würde. Schon gar nicht für einen Haufen Pfirsichbäume.
Würde Brady die Plantage haben wollen? Er hatte nie großartig Interesse am Familienbetrieb gezeigt. Seine Leidenschaft galt den Autos. In seinem Leben gab es weder den Raum noch den Wunsch nach Landwirtschaft.
Oder in ihrem.
Aber das stimmte nicht so ganz. Der Landbau lag ihr im Blut. Sie hatte die Obstwiesen immer geliebt. Da hatte ihre Großmutter schon recht gehabt. Selbst heute noch wachte sie manchmal mitten in der Nacht auf und vermisste den lehmigen Geruch der Erde, den Dunst des Morgentaus auf dem Gras, den Duft eines reifen, noch sonnenwarmen Pfirsichs.
Es war beinahe April. Die Erntezeit begann Mitte Mai. Selbst wenn die Plantage sich „praktisch selbst führte“, wie Hope gesagt hatte, würde doch jemand dort sein, Entscheidungen treffen und die Abläufe beaufsichtigen müssen.
Einen Moment lang gestattete sie sich, sich vorzustellen, sie wäre diese Person. Sie schloss die Augen, während ihr Atem ihren Körper in einem langen, entlastenden Atemzug verließ.
„Kyle … Ich werde mehr als nur einen Tag brauchen, um das hier zu klären. Wenn du abreisen musst, fahr schon vor. Ich komme dann in ein paar Tagen nach.“
Dem würde er nie zustimmen. Aber vielleicht würde der Gedanke daran, dass sie ohne ihn hierbleiben könnte, ihn ein bisschen flexibler machen. Mit Kyle zu sprechen war manchmal, wie Schach zu spielen.
Er schaltete zum nächsten Kanal um. Und zum nächsten.
Er brauchte ihr nicht zu sagen, was er von ihr erwartete. Wenn es nach ihm ginge, würde sie einen Makler anrufen und das Anwesen listen lassen. Die Angelegenheiten aus der Ferne lenken. Sich von Copper Creek und allen, die dort wohnten, distanzieren. Allein, ihn dazu zu bringen, die Reise zur Beerdigung mitzumachen, hatte sich angefühlt, als hätte sie einen Berg versetzen wollen.
Aber auf einmal wusste sie, dass sie nicht tun würde, was er wollte. Sie konnte all das nicht ungeordnet hinterlassen. Sie hatte Granny bereits einmal im Stich gelassen. Diesmal würde sie ihr gerecht werden – was auch immer das bedeuten würde.
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